Erstellt am: 10. 4. 2013 - 14:34 Uhr
Hängender Kaffee für alle
Ich hatte gedacht, in einem Kaffeehaus kann mich nichts mehr überraschen. Jetzt, wo ich die berühmte Wiener Kaffeehauskultur kenne..
Ich kenne den Unterschied zwischen "großer Brauner", "Melange" und "Kaffee Latte", nur vom "hängenden" Kaffee hatte ich noch nie was gehört. In den letzten Wochen aber wurden überall in ganz Bulgarien in vielen Lokalen diese "hängenden" Kaffees angeboten. Vor einigen Monaten, als ich das letzte Mal in meinem lieben Heimatland war, hatte es sowas noch nicht gegeben.
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Ich lasse mich von meinem Freund Mischo aufklären. Die Initiative "hängender" oder "schwebender" Kaffee begann in Italien. Am 10 Dezember 2010 wurde in Neapel der erste Tag des "hängenden" Kaffes gefeiert. Erfunden für Menschen in den Arbeitervierteln, die sich keinen heißen Kaffee leisten konnten. Ein Gast kann mehrere Tassen Kaffee bezahlen, trinkt selber aber nur einen davon. Die anderen gelten als "hängend". Später, wenn ein Gast kein Geld hat, bekommt er den Kaffee. Diese italienische Tradition wurde vor kurzer Zeit in Bulgarien eingeführt. Überraschend viele Lokale in ganz Bulgarien haben bei der Initiative mitgemacht.
"Weißt du von jemandem, der sich solche Kaffees kauft?", frage ich Mischo. Er hat keine Ahnung, er trinkt keinen Kaffee. Die Initiative verbreitete sich zuerst in Facebook, wird jetzt aber im "wirklichen Leben" mit weiteren Lebensmitteln ausgeweitet. Außer Kaffees kann man sich auch "hängendes" Brot oder "hängende" Milch bestellen. Einige Lokale bieten sogar "hängende" Cevapcici und andere Grillprodukte an.
Diese Solidaritätswelle im ärmsten EU-Land ist eine Art Antwort auf die steigende Zahl der Selbstanzündungen.
Sieben Männer haben sich im letzten Monat verbrannt. Direkt vor einer Behörde. Als Protest gegen die Misere und ihre Arbeitslosigkeit. Die Aussichtslosigkeit, sagt man, quält die Menschen am meisten. Kann man sie durch einen "hängenden" Kaffee beruhigen? Ich glaube nicht. Trotzdem finde ich die Initiative sympathisch. Hoffentlich kommt sie eines Tages auch nach Wien. Und plötzlich bekomme ich eine "hängende" Miete. Oder mindestens ein "hängendes" Bier.