Erstellt am: 8. 4. 2013 - 16:59 Uhr
The Knife: "Shaking the Habitual"
The Knife sind unser FM4 Artist Of The Week
"End Extreme Wealth!" Pink und Türkis knallen die Farben, blinkt der Slogan auf theknife.net und im Booklet: Das neue Doppelalbum "Shaking the Habitual" ist ein Drone-Soundtrack zur Info-, Wirtschafts- und sonstigen Apokalypsen.
Sieben Jahre sind seit "Silent Shout" vergangen, vor drei Jahren haben Karin Dreijer-Andersson und Olof Dreijer überlegt, ob sie nach der Soloplatte von Karin als Fever Ray wieder zusammen arbeiten wollen. Und, falls die Antwort ja ist, ob sie einen Weg finden, ihre musikalischen mit ihren politischen Interessen zu verbinden.
The Knife
The Knife haben - nicht nur in der Herangehensweise - ihre Kommunikationsstrategien und ihren ästhetischen Referenzrahmen geändert. War es bisher das Unheimliche, Masken und Kostüme gekoppelt mit totaler Kommunikationsverweigerung gegenüber Medien, so arbeiten The Knife jetzt mit Slogans und Agitprop und einer Ästhetik, die an Riot Girrl Fanzines der frühen 90er Jahre erinnert. Klar und unmissverständlich zu sein ist Karin Dreijer-Andersson und Olof Dreijer ein Anliegen. Mag ihre Musik isoliert vom Rest des Pakets noch immer kryptisch anmuten, haben die Videos, die Interviews der Band und die Coverästhetik einen eindeutig politischen Anspruch.
Wie man Wissen in multimedialen Popkontext transportieren kann und die eigene privilegierte Position mitdenkt, damit haben sich The Knife während der Produktionsphase beschäftigt. Und sie haben eine Leseliste von Texten zu politischen Theorien und Genderstudies erstellt, die sie parallel gelesen haben, um wieder einen gemeinsamen Wissenspool zu haben, der zur Grundlage von "Shaking the Habitual" werden sollte.
End extreme wealth!
Zu "Shaking the Habitual" gibt es zwei Comics. Diese Comics sind ein politisches Manifest, in denen die sprachlichen Strategien, die minoritäre Gruppen in eine handlungsunfähige Opferrolle drängen, einfach umgedreht werden. Nicht extreme Armut ist das Problem, sondern extremer Reichtum und die destruktive Ignoranz dieser Klasse.
The Knife
Das Album kreist um das Hinterfragen von Normen, warum wir uns von wem regieren lassen und ähnliche Fragen. The Knife fordern uns auf: Wir müssen mit dem Gehorsam aus Gewohnheit brechen, deshalb auch der Titel "Shaking the Habitual". Im Video zur zweiten Single "A Tooth for an Eye" sieht man ein Kind, ein junges Mädchen als Sportinstruktorin im Schiedsrichterkostüm. Ein Angriff auf patriarchale Autoritäten. Die Band hat zum Video folgendes Statement veröffentlicht:
"A Tooth For An Eye" deconstructs images of maleness, power and leadership. Who are the people we trust as our leaders and why? What do we have to learn from those we consider inferior? In a sports setting where one would traditionally consider a group of men as powerful and in charge, an unexpected leader emerges. A child enters and allows the men to let go of their hierarchies, machismo and fear of intimacy, as they follow her into a dance.
Im Film zur ersten Single "Full of Fire" werden Klassen und Geschlechterbilder vorgeführt und durch Irritationsmomente untergraben. Die Business-Lady, die auf die Straße pisst, das von The Knife selbst gespielte Ehepaar, das einen alten Herren als Putzfrau beschäftigt, die Bondage-Lesben auf ihren Motorrädern. The Knife meinen, dass "Full of Fire" sich mit der Überschneidung von auf Klasse, Ethnizität und Geschlecht beruhenden Diskrimierungsformen beschäftig. Kämpfe gegen Diskriminierungen müssen in Allianz geführt werden.
Wie sangen schon die Riot Grrrls Bikini Kill in den 90ern in der Nummer "Liar": "Eat meat, hate blacks, beat your fucking wife, it´s all the same thing." In der akademischen politischen Theorie, die The Knife jetzt in Popmusik überführen wollen, heißt das "Intersectionality". Im Pitchfork-Interview sagen sie:
"We’ve been talking about the importance of making your privileges transparent in order to be able to say something political. It's something I learned from reading about intersectionality, which is a way to analyze power by looking at its different categories - gender, race, class, sexuality - and how they interact. We have a privileged position as people being able to make music and study and get asked about what we think about the general political situation. This brings responsibility."
The Knife
Kaum eine der 18 Nummern von "Shaking The Habitual" ist unter sechs Minuten lang, das längste Stück "Old Dreams Waiting to be Realized" ist eine 19-minütige Drone-Symphony. Im Interview benennen the Knife auch einige dieser altenTräume: "Classless society, real democracy, all peoples' right to move and be in the world with the same circumstances."
Die dronigen Electropopstücke von "Shaking the Habitual" sind aus ewigen Jam Sessions entstanden, die sie zwischen Studios hin und her geschickt haben, eine Arbeitsweise, die sie bewusst gewählt haben, weil sie sich in ihr nicht sicher fühlen. "Shaking the Habitual" auch hier.
Was dazu führte, dass auf dem Album auch die formale Strukur von Popsongs gesprengt wurde. Statt romantisch aufgeladener Elektro-Sounds, die auch im Club funktionieren würden, wird die Platte von organischem Dröhnen dominiert. Die auf bisherigen Alben eher körperlose, elektronisch bearbeitete Stimme von Karin Dreijer-Andersson bricht aus, schreit, lässt Emotionalität zu, wo es zuvor nur die abgeklärte und geisterhafte Souveränität der Fabelwesen gab, als The Knife posierten. Es geht nicht mehr um romantisierendes Selbstmitleid und Spuk in der Indie-Disco; The Knife wollen uns auf den Barrikaden sehen.