Erstellt am: 8. 4. 2013 - 17:18 Uhr
Die melancholische, die schöne Symbiose
"Love & Devotion" klingt anders als alle Unternehmungen, in denen Mike Paradinas im Lauf seiner langen Karriere bislang seine vielen Finger gehabt hat. Ebenso erscheint das Debütalbum des mit seiner Ehefrau Lara Rix-Martin betriebenen Projekts Heterotic auf dem von ihm unterhaltenen, meist großartigen und tendenziell weltoffenen Label Planet Mu ein wenig als Fremdkörper. Aber ein guter.
Seit 1995 erforscht der englische Produzent Paradinas mit den Releases anderer Künstler auf Planet Mu und mit eigenen Produktionen - vor allem unter seiner bekanntesten Alias μ-Ziq - die Weiten von vertrackter Elektronik: Weirder Techno, Einflüsse von Breakbeat und Drum’n’Bass, hysterisch torkelnde IDM, Jazz und Ambient - Paradinas hat das breite Feld der Maschinenmusik äußerst weitläufig durchmessen. So wie er selbst - im Sinne der Breitenwirksamkeit - oft ein wenig im Schatten weit bekannterer Produzenten wie Aphex Twin oder dem Squarepusher stand, so wurde sein Label Planet Mu oft als kleinere, weniger populäre Schwester des im Ansatz ähnlich gelagerten Labels Warp Records gehandelt.
Während Warp Records - bei zugegebenermaßen in den meisten Fällen immer noch hoher Qualität - mit Platten von Grizzly Bear, Darkstar, !!! und Jamie Lidell immer mehr im avancierten Mainstream zuhause ist, hat Planet Mu in den letzten Jahren mit Releases von Kuedo, Machinedrum oder Ital und vor allem großartigen Compilations, die schon früh die Chicagoer Footwork- und Juke-Szene dokumentierten, seine Ohren konstant und weit deutlicher in den Zeitgeist des Dancefloors und des elektronischen Experiments gestreckt.

Heterotic
Dem Projekt Heterotic merkt man jetzt das Fehlen aller Zwänge an. Keine Not, sich als genial-verwirrter Soundtüftler zu beweisen. Eine mühelos aus den Ärmeln geschüttelte Fingerübung, die bei all dem dunklen Unterton, der das Debütalbum "Love & Devotion" trägt, vor allen Dingen eines tut: Spaß bereiten. "Love & Devotion" ist Popmusik, entstanden aus Vergnügen und Jux am heimeligen Basteln am Rechner. Zwar haben Mike Paradinas und seine Ehefrau Lara Rix-Martin die Idee Heterotic ohne großen Masterplan und Absicht gestartet - unfertig oder unüberlegt ist ihr einzig an Software und mit gerade einmal einer Handvoll Samples zusammengebauter erster Longplayer trotzdem nicht geworden. "Love & Devotion" ist eine acht Stück starke, nicht einmal vierzig Minuten lange Soundmeditation, die sich vor allem auf den Geist von 80er-Jahre Synthie-Pop stützt.
Das Duo hat behutsam gearbeitet und lässt glücklicherweise alle schrillen Signale vermissen, die andere doofe Dance-Popper und -Rocker der Gegenwart gerne auffahren, wenn es darum geht, die 80er - missverstanden - einzig als Jahrzehnt von Koks, komischen Haaren, Glitzer und Schulterpolstern zu interpretieren. "Love & Devotion" ist sensibel gearbeiteter Art-Pop, der sich eher an der Feinsinnigkeit der frühen Human League und OMD, von Heaven17 und Talk Talk als an der Geckenhaftigkeit von Duran Duran und Visage orientiert.
Vier der Stücke auf "Love & Devotion" kommen, abgesehen von ein paar da und dort anschwellenden wortlosen Ooohs und Aaahs ohne Gesang aus. Über den Opener "Bliss", der zeigt, dass man sich zwischen sommerlicher House-Skizze und federleichtem Fleetwood-Mac-Jam nicht entscheiden muss, über zwei dunklere, John-Carpenter-hafte Sci-Fi-Motive (eines inklusive unerwartetem Softrock-Gitarren-Gedaddel) hin zum abschließenden, seinem Titel alle Ehre machenden "Fanfare" werden hier locker vier Schnappschüsse aus der Geschichte der Instrumental-Musik entworfen, die zwar überdeutlich auf Eckpunkte des Vergangenen Bezug nehmen, dabei aber frisch und unverkrampft daherkommen.

Heterotic
Sie bilden den Kitt für die - fast durchgehend alternierend eingeschobenen - anderen vier Stücke der Platte: Echte Popsongs mit Gesang. Die Stimme hat der trübsinnige Songwriter Nick Talbot beigesteuert, der sich für gewöhnlich mit seinem Projekt Gravenhurst (zuhause bei Warp) Hall beladenem Folk und zerbrechlichem Shoegaze widmet. Aus der Kombination von weicher Elektronik und Talbots immer den Tränen naher Stimme erwachsen im besten Sinne erschütternde Momente: Das Stück "Blue Lights" beispielsweise, ein gläserner, an House Music geschulter Dance-Pop-Song, der in dieser Qualität beispielsweise der Band New Order schon lange nicht mehr geglückt ist. Oder der zähflüssige Trauer-Marsch "Wartime", zu dem man am liebsten für immer unter der Bettdecke verschwinden möchte.
Bei aller Schwermut lebt "Love and Devotion" jedoch von einer Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Ein seltenes, ein seltsames Kunststück. "When We Dance, We Dance Alone" ist eine zentrale, mantrahaft wiederholte Zeile des Stückes "Slumber" - noch so ein Höhepunkt - und des Albums insgesamt. Dass Discoszenen mit Tränen im Auge und Dance Music mit Melancholie im Knopfloch mitunter das Beste sind, was Popmusik anzubieten hat, sollte nicht erst seit Robyn zur Allgemeinbildung gehören.