Erstellt am: 8. 4. 2013 - 12:15 Uhr
Thor, Thor, I wea narrisch!
Vielleicht ist Nomen nicht immer Omen, aber man heißt auf keinen Fall einfach so Thor. Der Name ist das erste Wort, das in "Kon Tiki" fällt, gebrüllt von einer Horde kleiner Kinder, die durch Schnee und Eis einem Jungen hinterherstapfen, der ihnen nicht nur einige Meter, sondern auch etliches an Stursinn voraushat. Dieser Thor sucht keinen Hammer, sondern eine Säge. Der kleine Thor Heyerdahl wird beim Versuch, das Werkzeug von einer Eisplatte auf einem zugefrorenen Teich zu holen, ins Wasser fallen. Er solle versprechen, nie mehr etwas derart törichtes zu machen, zetern die Eltern später und Thor, fest eingepackt in die Tuchent, presst als Antwort nur ganz leicht die Lippen aufeinander.
filmladen
Der sture Thor
Wo andere Filme mit solch einem symbolreichen Prolog binsenweise in nostalgischem Retro-Kitsch ersticken würden, beweist "Kon Tiki" die Fähigkeit, allzu vertraute Leinwand-Sentimentalitäten, die sich bei wahren Geschichten gerne auf der Leinwand breit machen, zu umgehen. Der furchtlose Blick, den der kleine Thor Heyerdahl direkt ins Publikum wirft, wiederholt sich kurz später ebenso wie die leicht zusammengepressten Lippen. Pal Sverre Hagen spielt den erwachsenen Heyerdahl, und betont in seiner ersten Szene die beiden mimischen Platzhalter für die vielleicht wichtigsten Eigenschaften der außergewöhnlichen Geschichte, die "Kon Tiki" erzählt: Mut und Sturheit. Seinen Blick wirft er einer Fotokamera entgegen, die seine Frau Liv am Strand von Fatu Hiva aufgebaut hat. Da steht der blonde Hüne die Inselbewohner weit überragend und gleicht einem skandinavischen Peter O'Toole, der statt wie Lawrence von Arabien sich mit der Wüste anzulegen, im Ozean seine Herausforderung suchen und finden wird.
filmladen
Denn dieser Mann hat nicht nur einen schönen, sondern auch einen theoriereichen Kopf. Heyerdahl entwickelt die These, dass Polynesien nicht wie angenommen, aus dem Westen besiedelt wurde, sondern von Südamerika aus. Die zahlreichen Wissenschafter in New York, die Abenteuergeist gegen Schreibtischjobs und ein Glas Whiskey in der Hand eingetauscht haben, lachen in ihre Bärte und sagen etwas, was sie wohl für sich behalten würden, wenn sie die Demonstration der Sturheit in der Eingangssequenz von "Kon Tiki" gesehen hätten: "Wenn Sie das glauben, dann fahren Sie doch mit dem Floß von Peru nach Polynesien". Challenge accepted. Aus einem Witz wird eine Mission. Eine 8000-Kilometer-Strecke auf dem pazifischen Ozean - ohne moderne Ausrüstung abgesehen von einem Funkgerät - die Sterne und Strömungen nutzend, wie es - laut Heyerdahl - wohl schon Jahrhunderte vor ihm jemand gemacht hat.
filmladen
Ein wahnwitziger Nichtschwimmer
Im April 1947 begibt er sich auf ein 80 Quadratmeter großes Floß aus Balsaholz mit einer kleinen Hütte in der Mitte. Fünf Männer folgen dem Norweger, der noch nicht einmal schwimmen kann, auf dieser Überfahrt. In den 37 Minuten bis das Floß ablegt, hat "Kon Tiki" den Abenteurer so sehr als charismatischen, überzeugenden und vor allem von seiner Mission überzeugten Mann etabliert, dass man die Motivation des Rest der Crews nie in Frage stellt. "Kon Tiki" inszeniert Heyerdahl mit dem Hauch einer "larger than life"-Glasur, ohne jemals in die Gefilde der Heldenverehrung abzudriften. Dieser Thor ist der Alptraum aller Eltern. Die Frage, ob man, wenn der Thor in die Donau springt, nachspringen würde, würde man ohne mit der Wimper zu zucken bejahen.
filmladen
Noch auf See
Sechs Herren in schicken Anzügen, weil die Hässlichkeit der praktischen Outdoorkleidung noch nicht über die Welt hereingebrochen ist, winken noch ein letztes Mal der jubelnden und kopfschüttelndem Menge im Hafen zu. Die halsbrecherische Überfahrt, die 101 Tage dauern wird, packen die Regisseure Joachim Rønning und Espen Sandbergund in eineinhalb Stunden, in denen man die eigene Existenz in Kinosaal vergisst. Mein Notizbuch finde ich, als der Abspann läuft, am Boden wieder, das einzige, was ich notiert hab, ist "Peter O'Toole". "Kon Tiki" betört und verschluckt einen.
filmladen
Man wird zum Teil der Crew, fürchtet nächtliche Stürme, Haie und gefährliche Strudel. Und fürchtet andererseits gar nichts, weil der Heyerdahl wirds schon richten. Die Kamera kombiniert elegant und mitreißend die Klaustrophobie des Floßes mit der Weite des Meeres. Weil die tatsächliche Überfahrt der "Kon Tiki" zwar tatsächlich aufregend, aber eben auch harmonisch war, stricken die Drehbuchautoren aus Seemansgarn einen Spannungsbogen, der ein wenig hinzudichtet bzw verstärkt. Wer sich für reine Fakten interessiert, kann ja zur Dokumentation aus dem Jahr 1950 greifen. Wer aber mauloffen miterleben will, wie dem abgehalfterten und schnarchigen Genre namens "Abenteuerfilm" neues Leben eingehaucht wird, der sollte "Kon Tiki" nicht versäumen. Ein streckenweise ungezähmtes Biest von einem Film, das einem am Schlawittl packt und durchbeutelt. Eine Auseinandersetzung mit Courage, Ideenreichtum und Willensstärke an der Grenze zum Starrsinn.
filmladen
"Kon Tiki" läuft bereits in den österreichischen Kinos
Maelstrom statt Datenhighway
Die bisher teuerste norwegische Produktion aller Zeiten, die in Norwegen auch für einen Einspielrekord gesorgt hat, kommt zu einem guten Zeitpunkt in die Kinos. Als ich gestern ein paar Minuten von "Eagle Eye" im Fernsehen erwische, wird mir klar, warum - unter anderem - "Kon Tiki" so fasziniert: Weil sich viele Filme der letzten Jahre, die Spannung versprachen, in Bits, Bytes, Nullen, Einsen verloren haben. USB-Stick-Thriller, in denen viel rauf- und runtergeladen wurde und das Digitale und Virtuelle zur Bedrohung wurde.
Nach all dem wirkt plötzlich das Alte wie das aufregende Neue, wird das altmodische Konzept eines Abenteuerfilms zu hoher See wie eine Frischzellenkur für die Konzeption von Spannung. Wind! Wasser! Wellen! Walhai! Und das alles ohne das religiöse Potpourri von "Life of Pi". Dass Heyerdahls Theorie, von wo aus die Südseeinseln besiedelt wurden, nie viele Anhänger und vor allem keine weiteren Anhaltspunkte hatte, tut weder dem Wissenschaftler noch dem Film Abbruch. Wie Heyerdahls Frau Liv es formuliert: die Reise war immer das, was ihn angetrieben hat, nicht die Ankunft. Nachdem man "Kon Tiki" gesehen hat, will man ein Floß bauen, sich in Thor umbenennen oder zumindest endlich wieder mal ans Meer.