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David Pfister

Rasierklingen, Schokolade, Zentralnervensystem, Ananas, Narzissmus und Ausgehen.

8. 4. 2013 - 10:34

Zwischen Reinkarnation und Nostalgie

Im März 2013 haben die Britpopper Suede ihr Comeback-Album "Bloodsports" veröffentlicht. Ihre Reunion-Tour führt die Briten am Freitag nun auch nach Österreich. Eine Betrachtung der Wiederauferstehung bisher.

Thanks to all of you that braved the freezing wilds of one of the most hard-to-get-to places in North London to come and revel at Alexandra Palace on Saturday night.
Brett Anderson, 31. März 2013

Noch zwei Stunden bis zum offiziell anvisierten Konzertbeginn. Alexandra Palace, im Londoner Volksmund auch Ally Pally genannt, wurde für eine Nacht in einen Suede-Wurstelprater umgebaut. In der riesigen Lounge jazzt sich eine Easy-Listening-Band durch Suede-Hits. Das ist witzig. Und das aus aller Herren Länder herbeigereiste Publikum evoziert Kraft kollektiver Nostalgie einen universellen Britpopgeist.

Vielen ist die längst vergangene hedonistische Jugend in das Gesicht geschrieben. Aber nicht nur die Generation Parklife interessiert sich für das Comeback der Glamrocker Suede; ein Drittel der BesucherInnen hat noch nicht das Alter von Zwanzig erreicht und auch die gut ausgesuchten Vorgruppen Spector und Temples stellen eine neue Generation britischer Rockmusik dar. Natürlich leben Suede 2013 von ihrem Nostalgie-Bankkonto, aber nur in der Vergangenheit will man sich nicht positionieren.

Suede

Suede

Alexandra Palace wurde übrigens 1873 als Freizeitpark auf einer Anhöhe im Norden Londons gebaut und ist verteufelt schwer zu erreichen. Die Folge meiner An- und Rückreise wird ein grippaler Infekt sein. Aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht und soll auch nicht weiter Thema dieser Geschichte sein. Ich habe noch eine Stunde Zeit totzuschlagen und so kaufe ich mir am Merchandising-Stand eine Kerze mit dem Logo von Suede und bei der Möglichkeit daneben einen sehr zahm gewürzten Sweet Chili Burger. Aber zurück zum Beginn.

Sometimes I Feel I'll Float Away

Mit ihrem gleichnamigen Debütalbum aus dem Jahr 1993 wird die Londoner Band Suede gerne als Initialzünder des Britpop gehandelt. Allerdings war das musikalische Spektrum von Suede, zwischen Glamrock, Prog, Folk und Sixties-Pop, immer ein größeres als bei vielen anderen Britpop-KollegInnen.

2003 löste sich die Band auf. Grund scheint mir jetzt rückblickend nicht mangelnde Qualität der Lieder, sondern problematische neue Klangfarben. Nach dem großen Hit-Album "Coming Up" experimentierten Suede auf der Platte "Headmusic" mit elektronischen Sounds und dann auf ihrem letzten Album "A New Mornin" vermehrt mit folkloristischen Elementen. Das hatte zur Folge, dass vor allem auf der letzten Arbeit "A New Morning" die dekadente, verwegene und abgründige Ästhetik, für die Suede bei ihrem Publikum so beliebt waren, verloren ging.

Suede

Suede

Sänger Brett Anderson und seine Bandkollegen kümmerten sich um musikalische Soloaktivitäten. 2010 wurde die Band allerdings gebeten bei einem Benefiz für krebskranke Kinder ein einmaliges Konzert zu geben.

Das einmalige Konzert wurde dann in Folge zu einer Reunion-Tour und dann stand die Gruppe auch schon im Studio. Neue Musik wollte man aber nur veröffentlichen, wenn sich diese mit den hohen Standards der Suede-Klassiker messen könnten. Das Ziel scheint aus Sicht der Band rund um Sänger Brett Anderson erreicht worden zu sein. Am 15. März 2013 veröffentlichten Suede ihr Comebackalbum "Bloodsports". Referenzen zum gleichnamigen Album der Sneaker Pimps gibt es keine. Nur diese, dass beide Musikgruppen die Geburt der jeweiligen Platte als hart und anstrengend erachten.

It Starts And Ends With You

Die harte Arbeit merkt man "Bloodsports" an. Suede haben auf ihre wichtigsten Stärken fokussiert. Das könnte auch der größte Kritikpunkt an diesem glücklichen Comeback sein. "Bloodsports" will eine perfekte Suede-Platte sein. Die Band hat sich als Koordinaten bei der Arbeit die künstlerisch und kommerziell erfolgreichsten Werke ihrer Bandgeschichte "Dog Man Star" und "Coming Up" ausgesucht und hat an der Verdichtung und Verständigung dieser doch sehr unterschiedlichen Musiksammlungen gearbeitet.

Suede

Suede

Dem exaltierten Pop von "Coming Up" wird mit dem schwermütigen Progrock von "Dog Man Star" begegnet und das Ergebnis klingt so, wie sich wohl viele den Nachfolger zum musikalischen Zenith "Coming Up" gewünscht haben. Mit zeitgeistigen Indiepop-Standards verglichen ist "Bloodsports" freilich sehr unmodern, aber an den bisherigen Reaktionen gemessen, stellt sich das als Stärke dar. Die Band steht zu sehr für einen autonomen Sound, als das Modernisierung oder übertriebene Innovationen hilfreich wären.

Brett Anderson verfolgte in seinen Texten stets die Darstellung des großen Dramas des Alltags. Die Leiden der einsamen Hausfrau und des Jugendlichen, der einer verzehrenden Sucht an heimgefallen ist, beispielsweise. Dadurch ist Anderson zu einem großen englischen Volkserzähler geworden. Und auch auf "Bloodsports" besinnt er sich seiner textlichen Stärke und erhöht wieder die Tristesse des Alltags und bringt sie auf die große Bühne.

Suede

Suede

Gemeinsam mit den Co-Songwritern Gitarrist Richard Oakes und Keyboarder Neil Codling hat Brett Anderson neun neue Songs geschaffen, die mühelos klassische Suede-Standards fortsetzen. Als Produzent hat man Ed Buller engagiert, der für die wichtigsten Produktionen der Band verantwortlich war und das Artwork ist ein Zitat der großen, schon erwähnten Platte "Coming Up".

Das Konzert wird dann eine gesexte Glamrock-Revue und Neunzigerparty aber auch endgültige Wiedergeburt. Jetzt stehen Suede vor der Herausforderung die Balance zwischen Reinkarnation und Nostalgie so behände weiterzuführen.

A New Morning

14. November 2013: Sieben Monate nach Veröffentlichung der Platte "Bloodsports" darf die Wiederauferstehung von Suede als erfolgreich bewertet werden. Überwiegend positive Kritiken, sogar einige Hitparadenplatzierungen, drei Single-Auskopplungen, ein frisch auf Vinyl aufgelegter Backkatalog des gesamten Suede-Werkes, eine recht anständig ausverkaufte Tour.

Suede

Suede

Natürlich wird diese Wieder-Leib-Werdung größtenteils von den kompromisslos loyalen Fans aus den Neunzigern getragen. Aber nicht nur. In Asien beispielsweise wurden Suede erst mit den letzten Arbeiten ("A New Morning", "Attitude") vor ihrer Auflösung, die ihnen in Europa des Genick brachen, zu richtigen Stars. Dort wird die Band von einer jungen Generation völlig anders wahrgenommen.

Ein weiteres Album sollte sich in absehbarer Zeit kräftemäßig für Suede noch ausgehen. Und am Freitag werden im Gasometer Wien alle alten FreundInnen wie Animal Nitrate, Beautiful Ones, We Are The Pigs usw. dabeisein.

Suede spielen am Freitag, 15. November 2013, im Gasometer Wien. Support kommt von der neuen Londoner Band Telemann. Die rekrutieren sich aus Teilen der inzwischen aufgelösten Formation Pete And The Pirates. Modischer und leichtfüßig-romantischer Indiepop.