Erstellt am: 7. 4. 2013 - 13:28 Uhr
Sinn und Sinnlichkeit
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "I Am Sold" macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Mit einer schlichten Textzeile, die in „I Am Sold“ als tragendes Mantra des Songs wieder und wieder wiederholt werden wird, hebelt James Blake ein oft vorgegaukeltes falsches Dilemma aus: ...“Speculate What We Feel“. Wir spekulieren, grübeln darüber nach, legen uns mit Raison zurecht, was wir denn fühlen bzw. was wir vielleicht besser fühlen sollten. Die Konkurrenz von Verstand und Gefühl ist ein beliebtes Thema in der Kunst, in der Literatur und in der Musik, sie speist einen ganzen Fundus für Kalendersprüche und Selbsthilferatgeber.
Das Wunderbare an James Blakes vor zwei Jahren unter berechtigtem Applaus erschienenen Debütalbum namens „James Blake“ war vor allem, dass hier üblicherweise nicht selten als Widersacher behauptete und oft eben wirklich nur scheinbar entgegengesetzte Pole ganz mühelos – und zärtlich – zueinanderfanden: Das „authentische“ Fühlen und Durchleiden des Lebens eines „ehrlichen“ Singer/Songwriters, die wahre Sensibilität des jungen Schmerzenmannes am Piano hier; das Begreifen von Pop als Kunst, als gemachte Konstruktion, ausgedacht und zusammengenknobelt, entworfen an kalten Maschinen und lebloser Elektronik als Programm da.
Zwar ist ohnehin nahezu alles Mischform, Hybrid, Umdeutung und Verwässerung - so hatte man das aber noch nicht gehört. Das Ineinanderauflösen der Geister von Nick Drake, Joni Mitchell und Burial, Stevie Wonder in inniger Umarmung mit der stolpernden Nostalgie-Elektronik von Boards of Canada. Danach war alles nur mehr eins und ebenso alles dazwischen.
James Blake
Auf „Overgrown“, seinem jetzt erschienen, zweiten Album, hat sich James Blake selbst verfeinert: Die Nummer „I Am Sold“ ist sicherlich nicht das hittigste oder aufsehenerregendste Stück der Platte, in ihrer Bescheidenheit und Unaufdringlichkeit spiegelt sich jedoch am Besten, worum es bei James Blake – unter anderem – geht: In der ersten Minute des Stücks singt Blake mit sich selbst im Duett und im Widerstreit. Falsett, klare unverfälschte Stimme, manipulierte, verfremdete Stimme. Darunter einzig ein paar einsame Töne aus dem Klavier. Ein Beat kommt auf und bleibt von einem konstanten Zischeln der Becken abgesehen karg. „Speculate What We Feel“ ...der Song ist ein einziges Hadern.
Der Titel – „I Am Sold“ – bedeutet so viel wie „ Ich bin überzeugt“, aber eher nicht im Sinne von tatsächlicher, selbst verspürter Überzeugung oder innbrünstiger Gewissheit, sondern viel mehr als matte Zustimmung: „Man hat mich überzeugt“, „Du hast mich überredet“ oder auch bloß „Na gut, okay, ich bin einverstanden“. James Blake vertont das Zaudern und das Zweifeln in einem perfekt geformten Song - mit selten gehörtem Selbstbewusstsein. Wir wissen, dass wir dauernd nicht wissen, was wir denken und fühlen sollen. Am Ende des Songs braust stürmisch der Ozean auf, James Blakes Stimme ertrinkt darin und der junge Mann scheint ganz glücklich damit zu sein.