Erstellt am: 5. 4. 2013 - 12:00 Uhr
Sommerkitsch und Partybitch
Der Stubenbergsee ist ein künstlich angelegter Badesee in der Steiermark. In meiner Kindheit verbrachte ich dort dank meiner Eltern einige Sommertage. Obwohl ich noch nicht schwimmen konnte, trieb mein Vater auf der Luftmatratze wilde Späße mit mir - das war wahrscheinlich gefährlich, auf jeden Fall aufregend, und ich habe gute Erinnerungen daran. "Sommer in Stubenberg" heißt auch einer der Songs auf "Krawalle und Liebe". Neodisco besingt darin die etwas fade Idylle ihrer Heimat - der Text zur eingängigen Refrainmelodie lautet etwa: "Wie immer ist nichts los in Stubenberg am See, hier bin ich zu Hause und schütze mich vor Gelsen". Wäre dieser Tune repräsentativ für das ganze Album, dann würde ich es uneingeschränkt lieben.
Sony Music
Die erste Auskoppelung des Albums präsentierte Neodisco schon voriges Jahr im FM4 Soundpark. Eine Wahl, die mich damals wie auch beim mehrmaligen Durchhören des Albums dieser Tage erstaunt hat. Denn in "Hölle" wimmelt es von „Bitches“, „Huren“ und Ansagen wie "wir versetzen Frauen" – und dafür gibt es zumindest von mir keine Sympathiepunkte. Zudem klingt der Song bemüht bombastisch, scheitert als Hymne aber an seiner Monotonie. Das Album "Krawalle und Liebe" bewegt sich auf 16 Tracks zwischen den beiden Polen, die "Sommer in Stubenberg" und "Hölle" aufzeigen.
In "Kultus" besingt die Band das alte Problem unwilliger Türsteher ("Komm lass mich ins Kultus rein, ich bin nicht zu betrunken"), wobei dem Refrain eine Bassline folgt, die jedem Dubstep- oder Drum'n'Bass-Tune gerecht würde - der Wobble-Wahnsinn findet allerdings zu einem Four-to-the-Floor-Beat statt. Produktionstechnisch befindet sich das Album auf dem Niveau von Deichkind, musikalisch unterscheidet es sich.
Dezent eingesetzte E-Gitarren treffen auf atmosphärische Synth-Pads, fröhliche Leadmelodien auf spärlich eingesetzte Vocoder-Effekte. Und nachdem mir "Kultus" mit seinem Bekenntnis "Ich bin so fett" - letzteres hier für Hip-Hop untypisch tatsächlich als Synonym für besoffen gemeint - ein breites Grinsen ins Gesicht gezeichnet und mich in Tanzstimmung gebracht hat, holt mich "Partybitch III" wieder runter. Denn die hier vorherrschende, diskriminierende Sprache gegenüber Frauen kennt man sonst eher von Berliner Aggro-Rap. Das finde ich besonders schade, weil der minimalistische, basslastige Electrotrack mit seiner schrägen Synthmelodie musikalisch genau meinen Geschmack trifft.
neodisco
Angefreundet habe ich mich dagegen mit dem Tune "Wer ist hier Rockstar", dessen brachiale Hip-Hop-Drums, E-Gitarren und Subbässe mich ein wenig an das 2010er-Album "Wir" von Blumentopf erinnern - das hatte nämlich auch diesen roughe, energiereiche Gitarrenlastigkeit, ganz ohne sich dabei an Rock oder altbackene Vorstellungen von "Crossover" anzubiedern. Auch textlich repräsentiert der Song die positiven Seiten des Albums: Selbstbeweihräucherung und Angeberei mit Augenzwinkern: "Wo sind die Groupies, wo sind die Drogen, geht das so weiter, sterben wir mit 90 allein zu Haus". Direkt darauf folgt die besoffene Partyhymne "Platz": Wieder dreht sich die Geschichte um garstige Türsteher und das Geschehen im Club. „Ich sag's dir ins Gesicht wie Bukkake" - kein schlechtes Porno-Wortspiel, den Ton geben die Four-to-the-Floor-Bassdrum und diesmal etwas dezenter ins minimalistische Electro-Klangbild gemischte Gitarren an.
"Krawalle und Liebe" erscheint am 26. April 2013
Das zwiespältige Gefühl gegenüber Neodiscos Debütalbum bleibt mir auch nach mehrmaligem Hören. Es ist bedauerlich, dass die Band in mehreren Songs mit Stereotypisierungen und Abwertungen von Frauen zu punkten versucht. Nötig hätte sie das nicht. Neodisco hat einen unverwechselbaren Rap- und Gesangstil entwickelt, produziert auf höchstem Niveau und traut sich, vermeintliche Genregrenzen zu ignorieren. Somit ist "Krawalle und Liebe" wohl ein Albumtitel, der die Ambivalenz des Produkts ganz gut beschreibt.