Erstellt am: 2. 4. 2013 - 17:01 Uhr
Ein Wandervogel ist sesshaft geworden
No Folk
Den Mann könnte man für so einiges hochgradig mitverantwortlich machen. Rauschende Bärte als Trendbehaarung zum Beispiel. Oder Tiermasken als Band-Accessoire. Devendra Banhart galt als der Poster Boy einer Musikszene, mit der Anfang des neuen Jahrtausends nicht unbedingt zu rechnen war. Die Popwelt hatte es sich gerade am digitalen Lagerfeuer gemütlich gemacht. Die Datenleitungen begannen ordentlich Musik zu pumpen und Techno war nicht mehr bloß ein Genre, sondern der Modus Operandi der Popmusik.
Matthias Kessler
Und dann kamen neben den Garagenbrüdern die Pfauen und Waldkäutzchen. Sie brachten Ukulelen und Harfen, wallende Gewänder und steinzeitliche Haartrachten. Sie sangen wie Kinder oder Ziegen oder wie Ziegenkinder. Die Zeiten waren finster (Bush II) und so zogen sich diese Fabelmusikanten zurück in ihre eigenen Gedankenwelten oder huldigten einem fantastischen Naturalismus zwischen Upstate New York, Mittelerde und Brooklyn.
Sie hörten auf Namen wie CocoRosie, Joanna Newsom, Vetiver, Grizzly Bear, Antony And The Johnsons oder Animal Collective. Die Welt sollte sie unter dem Sammelbegriff Freak Folk oder New Weird America kennenlernen. Doch Folk oder dessen Wiederbelebung war ihre Sache nicht. "Der Folk von heute, das ist Hip Hop", erklärte mir Devendra Banhart bei unserer ersten Begegnung 2004. Er fühle sich eher den fahrenden Sängern des Mittelalters verbunden. Von Dorf zu Dorf. Von Brot zu Brot. Von Bett zu Bett. "You moved where it was plentiful".
No Anti
Und anders als beim Anti-Folk, der sich die Dekaden davor als bewusstes Gegenprogramm zur politischen Liedermacherei (und was daraus geworden ist) verstanden hat, gab es nur wenig "Anti" in diesem neuen Sammelbecken - dafür umso mehr Queerness. Cross-Dressing, Androgynität und ein selbstbewusst ausgestellter Glam-Faktor schafften Abstand zu der "erdigen" Vorstellung von Folk.
Immer wiederkehrendes Kind: Banhart 2005
Nicht nur mit der lustvollen Aufweichung der Geschlechterrollen hatte man die Elfenohren direkt am Zeitgeist. Auch die Umkehrbewegung vom Idyll am Land zurück in das Chaos der Stadt entsprach der gesellschaftlichen Dynamik. Der sogenannte Freak Folk, das war die Urbanisierung von Americana, die Eingemeindung von Fauna und Flora in Schaltkreise und Datenleitungen. Musikalisch ging so einiges: Noise, Pop, Neo-Psychedelic, Vaudeville, Hip Hop, Außeramerikanisches, Electronica und die Wiederentdeckung zu Unrecht vergessener Altvorderer (siehe Vasthi Bunyan), das alles hatte Platz in den mit Moos und Sporen überzogenen Trendvierteln zwischen San Francisco, Chicago und NYC.
Link: Devendra Banhart
Vom Rand in die Mitte
Zehn Jahre später sind die Pop-Primitiven längst in der Mitte angekommen. Grizzly Bear inspirieren Jay-Z und lizenzieren ihre Musik für Autowerbung im TV. Das Animal Collective hat den Status als die wohl stilbildenste und einflussreichste Band der Gegenwart erreicht, CocoRosie kuratieren sich von Kunstfestival zu Kunstfestival und Antony wurde vom New Yorker Art-Establishment adoptiert.
Nonesuch
Und der Titelseiten-geprüfte Guru Devendra Banhart ist sesshaft geworden. Zumindest vorübergehend. Davon handelt auch sein neues Album "Mala". Das bedeutet auf Serbisch so viel wie "Kleiner Liebling". Auf Spanisch hat das Wort allerdings "schlechte" Attribute. Das ist typisch für den Humor und die Dialektik des Barden. Banhart, der jahrelang ohne festen Wohnsitz durch die Welt gezogen ist und höchstens mal in Kalifornien für längere Zeit andockte, hat mit seiner serbischen Verlobten, der Fotokünstlerin Ana Kras, ein Atelier in der Lower East Side von Manhattan eingerichtet. Geht es nach dem Album, ist dieser Ort nicht frei von Schatten. Verhandelt wird die Liebe zwischen kosmischer Größe und Nine-to-Five. Statt surrealer Schöpfungsmythen, vorgetragen in einer kindlichen Geheimsprache, singt der neuerdings bartlose Banhart von Untreue und dem Schmerz des gefangenen Vogels, der doch so süß ist. Ein Vagbund hält inne.
Mala
Seiner Musik schadet das nicht. Im Gegenteil. Die mit Langzeitpartner Noah Georgeson eingespielten Songs markieren einerseits eine Rückkehr zum Fingerpicking-Stil der ersten Alben. Andererseits wirken die Arrangements kompakter und konzentrierter, obwohl sie von der Artenvielfalt der Sounds her wesentlich reichhaltiger sind. Das Album mutet daher zunächst unspektakulär an. Es fehlen die "freakigen" Marker. Nur noch selten meckert Banhart wie ein falsettierender Bock im Ziegenstall. Doch nach einer Weile taucht man ein in eine Wunderwelt, die so reich ist an Impressionen wie mindestens drei HBO-Fantasy-Serien.
Wenn er schon die Wander-Mokassins an den Nagel gehängt hat und die wetterfeste Gesichtsbehaarung gen Boden gerieselt ist, so pendelt Banhart musikalisch immer noch zwischen den Kontinenten und Zeiten. Vintage Rocksteady und Bossa Nova treffen auf zarte Dance-Beats, Baukastenelektronik und Banharts musikalische Wurzeln in Venezuela.
Eine mittelalterliche Nonne als MTV-VJ
Songs sind das auch weiterhin nur selten. Wie eh und jeh pflückt Banhart Momente und konzentriert sie in Essenzen und musikalische Themen. Besonders ausgeprägt auf "Mala" sind die Harmonien des 50s-Pop, die sich in den zahlreichen Chören äußern.
Einer der Höhepunkte ist das mit Ana Kras eingesungene Duett "Your Fine Petting Duck". Es watschelt wie eine betrunkene Ente durch ein Love-Triangle, wechselt Perspektiven und musikalische Themen, in der Mitte nimmt es plötzlich an Tempo auf und am Ende singt Banhart in krummen Deutsch: "Als eine Flamme reist du durch das essentialisierte Universum. Inzwischen trinken wir Rum. Unser Glas des Himmels Abstinenz." Wir merken: ein Wandervogel mag sesshaft geworden sein, er bleibt jedoch auch weiterhin fantastisch.