Erstellt am: 3. 4. 2013 - 10:33 Uhr
Romanski im Rollstuhl
FM4 Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Jeden Mittwoch in FM4 Connected und als FM4 Podcast.
Ich schließe die Wohnung von Romanski auf und versuche seinen Rollstuhl an den Löchern im Fußboden vorbeizuschieben.
„Scheiß Bullen, haben alles demoliert, die Penner!“, sagt mein neuer Bekannter und zündet seine nächste Zigarette an. „Jetzt machst du mir einen Kaffee!“, befiehlt er. Ich bade in meinem eigenen Schweiß und will dieses nach Urin und Medikamenten stinkende Loch so schnell wie möglich verlassen. Romanski schaut mich mit einem leeren Blick an. Er erwartet, dass ich seine Wünsche widerstandslos einfach erfülle. Bis jetzt tue ich es auch. Er bittet mich nicht. „Danke“ und „Bitte“ fehlen in seinem Vokabular vollkommen. Obwohl wir uns erst seit ungefähr 15 Minuten kennen.
Ich bin Pole, man nennt mich Romanski
Ich bemerkte Romanski schon in der Straßenbahn. Ich war auf dem Weg nach Hause und freute mich auf mein Mittagessen. Pasta. Der Sechser war wie immer überfüllt. Nur im vorderen Teil um einen Rollstuhlfahrer herum war Platz. Der Mann schaute fürchterlich aus. Er hatte fettige Haare und laberte unaufhörlich sinnloses Zeug.
Jeder in der Straßenbahn schaute weg. Ich auch. Wir erreichten meine Station und ich stieg aus. „Hey du, hilf mir über die Straße.“, hörte ich dann. Ohne „Bitte“.
Was soll‘s, meine Pasta daheim wird warten. "Bist du Türke oder Jugo?“, fragte mein neuer Freund. „Ich bin von dazwischen, aus Bulgarien“.
APA
„Und ich bin Pole, man nennt mich Romanski“. Wir erreichen die Stiege im Gemeindebau, wo er wohnt. An der Treppe musste ich mit dem Katheter aufpassen, damit er nicht reißt.
„Bruder, was ist mit dir passiert, dass du so bist?“ Die Polizei habe seine Wohnung gestürmt. Er sagt, er hätte einen Raubüberfall verübt, einen Mann getötet. Während die Spezialeinheiten versuchten die Tür aufzubrechen, krabbelte er aus dem Fenster heraus. Er stellte sich verzweifelt an den Fensterrand mit der Hoffnung, dass sie ihn nicht finden. Natürlich fanden sie ihn. „Ihr fängt mich nie, ihr Scheiß Bullen!“, schrie er und sprang.
Ich frage mich, ob er alles erfunden hat, um sich interessant zu machen. Es kann aber auch die Wahrheit sein, der Gestank ist auf jeden Fall echt. „Schau mal im Kühlschrank nach, ob da ein Eis liegt und gib es mir!“
Aus dem Fenster
Ich schwitze. Wie bin ich bloß da rein geraten?
In dem Moment betritt ein anderer Mann die Wohnung. „Wer bist du?“, fragt er. „Niemand! Ich wollte nur mit dem Rollstuhl helfen!“
Ich verabschiede mich. Keiner sagt was.
Auf der Straße frage ich mich, ob das jetzt tatsächlich passiert ist. Ich schaue hoch und sehe den Fensterrand von Romanskis Wohnung. Wenn er damals tatsächlich gesprungen ist, dann ist er genau dort aufgekommen, wo ich gerade stehe. Ich habe keinen Bock mehr auf Pasta.