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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

31. 3. 2013 - 16:19

Abwärts

Der Song zum Sonntag: Pure X - "Someone Else"

Das Debütalbum von Pure X war 2011 überdeutlich ein Kind seiner Zeit, bzw. anders herum gedacht, es hat im Kleinen zu einer der damals vorherrschenden Soundästhetiken einen bestätigenden Beitrag geleistet. Die Platte namens "Pleasure" war eines der unaufdringlichsten und viel zu wenig beachteten unter den besseren bis besten Alben des Jahres. Das übellaunige, aber doch recht herzliche Trio Pure X aus Austin, Texas praktizierte da eine verwaschene und wabernde Psychedelik, die sich gleichermaßen aus Shoegazing, weichem, mit Hall beladenenem Beach-Pop und dem halbverschlafenen Tagediebstahl und der Slackerhaftigtkeit des Grunge speiste. Alles war ein Nebel und ein Rauschen, alles war chill.

Pure X schienen ihre Songs vom Bett aus einzuspielen, danach musste wieder ein Valium her. Die süßlichen Melodien, die auf "Pleasure" unter all dem ganzen Wabern der Gitarre begraben lagen, schienen der Band im Traum zuzufallen. Der Gesang des Gitarristen und Frontmanns Nate Grace war meist ein kaum zu entschlüsselndes Murmeln und Greinen, oft nicht mehr als ein schemenhaftes Hauchen und Säuseln. Der Sound von Pure X schien damals nicht mangelnden Geldmitteln oder einer Unfertigkeit der Band, sondern fein ausgearbeitetem Kalkül geschuldet zu sein.

Pure X

Pure X

Pure X

Den zwei dieses Jahr bereits veröffentlichten Vorab-Stücken nach zu schließen, wird das mit dem demnächst erscheinenden zweiten Album der Band anders werden. Der Song "Things in my Head" hat es vor kurzem schon angedeutet, die Single "Someone Else" bestätigt jetzt die Vorahnung: Hier wird nun echte Pop-Musik ausprobiert, mit deutlich zu verstehenden und in den Vordergrund gemischten Vocals und schlanken Strukturen.

Was aber nun nicht bedeutet, dass Pure X heute lebensfroher und zugänglicher wären – im Gegenteil: Heute geht es weniger um "Pleasure" als vielmehr um "Absturz". Das neue Album wird den Namen "Crawling Up The Stairs" tragen, was meist schon nichts Gutes verheißt. Egal, ob es nun der reumütige, geprügelte Sünder ist, der in Erwartung einer gerechten Strafe die Stufen nach oben kriecht oder bloß ein Mensch, der am Boden ist, weil er sich allzu sehr dem – welcher auch immer - Rausch hingegeben hat.

Das Stück "Someone Else" ist eine der herzzereißendsten Hymnen der Verzweiflung und der Selbstzerstörung der jüngeren Vergangenheit. "Come On Take Me Down, Deep Into Your Hell" singt Nate Grace schon in der zweiten Zeile des Stückes, und danach "Come On Make Me – Into Someone Else". Und es klingt nicht nach dem glückserfüllten Wunsch nach einem neuen, herrlichen Leben mit einer geliebten Person, sondern nach einer speziell abgefuckten Existenz, die jetzt einfach anders werden muss. Wenn weiter im Text Zeilen wie "Come On Burn Me, Til This Body Is Dust" folgen, oder auch "Come On Make Me Feel Something, Baby, I Dont Give a Fuck", drängt sich die Vermutung auf, dass hier nicht unbedingt ausschließlich von Liebe die Rede ist, sondern ebenso vielleicht von anderen bösen Süchten.

Nate Grace wechselt in seiner Stimme mit scheinbarer Mühelosigkeit zwischen aus rauer Kehle gepresstem Whiskey-Atem und hauchdünnem Falsett, was "Someone Else" einen merkwürdigen Dreh verleiht: Er vereint zwei beliebte Ausdrucksformen des weinerlichen Jungmännertums zu einem absurden Heulgesang, der in seiner merkwürdigen Überhöhung und Künstlichkeit nur anrührender und so schließlich begreifbarer wird. Einen Höhepunkt findet "Someone Else" in den Zeilen "You Know I Earned It, So - Come On! - Give Me All You Love", in denen Nate Grace dann endgültig – in einem letzten versuchten Aufbäumen – die Stimme wegbricht. Wenn man sein Recht auf Liebe durch eigene Verdienste herbeiargumentieren muss, ist es wohl zu spät.