Erstellt am: 31. 3. 2013 - 07:00 Uhr
Dirk Stermann in der FM4 Bücherei
- Die FM4 Bücherei mit Dirk Stermann gibt es am Ostersonntag, 31. März in FM4 Connected (13-17 Uhr) zu hören.
- Alle bisherigen Gäste der FM4 Bücherei
Die FM4 Bücherei ist keine herkömmliche Bücherei, in der man Bücher ausleiht, sondern eine, in der Bücher vorgestellt werden.
Der oder die BesucherIn der FM4 Bücherei stellt seine oder ihre drei Lieblingsbücher vor, bzw. Bücher, die man lesen sollte.
Diesmal zu Gast: Dirk Stermann
Der "Deutsche in Österreich" liest viel. Auf Tour kommt er weniger dazu, aber er hat immer ein Buch dabei. Heuer wird er als Juror von Wortlaut auch einige Kurzgeschichten lesen...
Dirk liest jedes Buch zu Ende. Bei den folgenden drei Büchern empfiehlt er das auch jeder und jedem.
radio fm4/Zita bereuter
John Irving: Garp und wie er die Welt sah.
Rowohlt Verlag
Ich war so 18 oder 19 Jahre alt und hatte unglaublich hohes Fieber und war mehrere Wochen im Spital – so irgendwie im Dauerdelirium.
Da hat mir eine Freundin das Buch gebracht. Ich kannte das damals nicht, fand das aber so adäquat zu meinem Fieber.
Weil das auch so eine große verwobene Geschichte ist, wo man dann mit oder ohne Fieber denkt: "das kann gar nicht mehr zusammenkommen". Aber es kommt dann doch noch irgendwie zusammen und ist mit "Gottes Werk und Teufels Beitrag" für mich Irvings bestes Buch.
Außerdem war in dem Buch eine zentrale Stelle, nämlich die, wo der Held Garp in Wien ist mit seiner Mutter und ins, glaub ich, Raimund-Museum geht und dann Raimund liest und Raimund ganz schlecht findet und aufgrund dessen, dass er einen anderen Schriftsteller ganz schlecht finden kann, deswegen Schriftsteller werden kann. Weil er dadurch die Ehrfurcht vor Literatur verliert und das ist ja immer das Entscheidende, dass man die Ehrfurcht verliert.
Das hab ich irgendwie cool gefunden und hab dann im Fieberwahn parallel zum Selbstlesen angefangen, eine Geschichte zu schreiben über jemanden, der auch Fieber hat.
Jedenfalls war Garp für mich sehr wichtig, seinerzeit.
Garps Mutter ist eine Sanitäterin im Zweiten Weltkrieg und die möchte ein Kind, aber keinen Mann. Und da ist ein Bordschütze: TS Garp. Und sie schafft es irgendwie, dass der eine Erektion kriegt, kurz vor seinem Tod und setzt sich auf ihn drauf und er spritzt ab und das ist eben sein Vater. Sie zieht ihn alleine groß und geht mit ihm nach Europa und sie wird irgendwann zu einer Art feministischer Vorkämpferin. So eine Vorzeigefrau, die immer in einem Krankenhauskittel ist. Sie ist für viele merkwürdige Frauen ganz wichtig. Da gibt es z.B. eine Vereinigung von Frauen, die sich alle die Zunge abgeschnitten haben, in Solidarität zu einem Mädchen, der die Zunge abgeschnitten wurde, nach einer Vergewaltigung, sodass sie nicht sagen konnte, wer sie vergewaltigt hat. Und alle anderen schneiden sich dann auch die Zunge ab. Und kommunizieren immer mit Blöcken miteinander.
Und Garp selber wird Schriftsteller, wächst in Wien auf oder ist lange Jahre in Wien, wie in allen John Irving Büchern ist Wien ein zentraler Ort.
Es geht um die Schriftstellerwerdung und die Vaterwerdung von Garp, der dann auch viele Dramen erlebt in seinem Leben. Ein ziemlich berührendes und buntes Buch, das unglaublich intelligent dann alle Geschichten zusammenführt.
Walter Kempowski: Tadellöser & Wolff
btb
Walter Kempowski ist ein deutscher Schriftsteller, der seine Familiengeschichte erzählt. Diese Familienchronik verbindet das, was er am besten kann, am besten: Nämlich das Recherchieren und Sammeln von Alltagsmomenten aus den jeweiligen Epochen mit einer Geschichte und einer sprachlichen Komik, die - finde ich - ihresgleichen sucht.
Kempowski war mein Einstieg in Humor, wenn ich ganz ehrlich bin.
Das ist eine Familiengeschichte, die von vor dem ersten Weltkrieg bis in die 50er Jahre in der DDR führt. Es ist die Reedersfamilie Kempowski, der eigentliche Teil der Familie lebt in Rostock und ein Teil lebt in Hamburg, die Debonsacks, die werden im Buch immer Von Bohnensack genannt.
Es ist eine sehr bürgerliche, eigentlich spießige Familie, aber mit großem Humor. Walter selbst nennt sich immer, weil er so eine Tolle hat, Walter von der Vogelweide. Er hat einen unheimlich lustigen Bruder, Robert. Dann hat er noch eine Schwester, die sehr nervig ist. Das Ganze führt eben von vor dem Ersten Weltkrieg bis in die 50er Jahre, als ist so, dass Walter Kempowski schließlich in der DDR ins Gefängnis kommt und dort auch viele Jahre in der Realität verbracht hat.
Und deswegen in der Nachkriegs-BRD kein linker Schriftsteller war, sondern von allen Linken etwas gedisst wurde, weil er halt immer gegen die DDR geschrieben hat. Weil er ja dort im Gefängnis saß und das nicht so cool fand.
Es gibt fantastische Dokumentationen über ihn – irrsinnig köstliche Gespräche, weil er wahnsinnig komisch war.
Das letzte Gespräch führte Stuckrad-Barre mit ihm für den Spiegel – übrigens auch das Beste, was Stuckrad-Barre je geschrieben hat.
Walter Serner: Die Tigerin
btb
Das Buch war für mich entscheidend, als ich so 17 oder 18 und von einer Frau verlassen worden war.
Walter Serner ist ein "Dada" – ein Dadaist. Normalerweise schreibt der so Dadatexte, die ulkig sind aber schwierig zu lesen. Ich mag die sehr. Aber "Die Tigerin" ist ein Roman.
Es ist eine Liebesgeschichte von zwei emotional abgefuckten Typen, total kalt. Die sehr kalt miteinander umgehen, sehr kalte Dinge tun, kriminell sind. Und wenn man gerade verlassen wurde und das Gefühl hat, dass sowieso alles emotionale Schweine sind, und jeder außer einem selber ein emotionaler Kühlschrank ist, dann passt das irgendwie ganz gut, dieses Buch zu lesen.
Ich weiß nicht mehr, woher ich das Buch hatte. Aber falls es jetzt wer liest, kann er sagen, er hat es wegen dem Stermann …