Erstellt am: 27. 3. 2013 - 15:30 Uhr
Fußball-Journal '13. Eintrag 10.
Das ist das Journal '13, meine regelmäßige Web-Äußerung in ungeraden Jahren. Im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 heuer nicht täglich.
Heute wieder mit einem Eintrag ins Fußball-Journal 13 mit einer kritischen Nachlese zum gestrigen WM-Quali-Auswärtsmatch in Dublin, Eire.
Hier die drei nachhaltigen Analysen des heutigen Tages, auf die ich Bezug nehme: Die Taktik-Analyse von laola1.at, das Match-Fazit von abseits.at, die Analyse von ballverliebt.eu und die nach Fertigung dieses Texts publizierte Standard.Situation auf derstandard.at.
Auch interessant: die Netzwerkanalyse des Standard.
Es quoll synchron aus den Mündern von Spielern und Verantwortlichen und selbstverständlich sangen und singen die analysefernen und von kritischem Denken befreiten Mainstream-Medien es leitmovitisch nach: das verletzungsbedingte Out von Zltako Junzovic war der Knackpunkt in diesem Spiel! Das in der Schlussphase durch heldenhaftes Anrennen gerade noch zu einem Remis - 2:2 durch Alaba in der Nachspielzeit - gebogen werden konnte.
Subtext: ein nicht wieder gut zu machender Schicksalsschlag hat uns, die ewige Fatalisten-Nation, diesmal nicht wie früher kaputtgemacht, sondern zur finalen Erhebung der jugendlichen Kräfte geführt; Wahnsinn, tolldreister!
Diese Behauptung und die Schlussfolgerung sind allerdings nur teilweise richtig. Weil nämlich der Ausgangspunkt gelogen ist: Junuzovic' Out war ein Schlag, aber keiner, den man unwidersprochen als gottgegeben hinnehmen muss. Für genau solche Situationen hat der Fußball-Sport die Coaches, die Trainer: sie sind gefragt schnell und richtig zu handeln, derartige Entwicklungen durch geschicktes Flicken und Reparieren auf/hintanzuhalten.
Der Ausfall von Junuzovic kann also gar kein Knackpunkt sein, nur der unzureichende Umgang im Krisenmanagement der Situation.
Das war der wahre Knackpunkt im österreichischen Spiel. Marcel Koller und seine Compagnons verstanden es erst in der 69. Minute (also fast 50 Minuten nach Junos Verletzung) richtig zu reagieren.
Der erste, laue Versuch Junuzovic in seiner Rolle adäquat zu ersetzen scheiterte, für jeden sichtbar, noch in der 1. Hälfte - Knackpunkt 1.
Knackpunkt 2: auch zu Beginn der 2. Halbzeit gab es keine Reaktion. Erst mit der Hereinnahme von Weimann stellte Koller wieder ein System her, mit dem die auf dem Platz befindlichen Spieler g'scheit arbeiten konnten. Davor waren sie dazu außerstande - und das nicht aus eigenem Unvermögen, sondern wegen struktureller, von Koller verordneter Hemmnisse.
Ich habe das bereits wiederholt als Sukkus des letzten Jahres angemerkt: Kollers einzige wirklich große Schwäche ist seine Zögerlichkeit. Vor der 60. Minute wagt er keine Wechsel im System. Und das ist, wenn er sich in seiner Grundaufstellung, oder, noch schlimmer, in seiner notgedrungenen Spontan-Reparatur geirrt hat, ganz übel, fast eine Katastrophe.
Nochamal: das Kollersche Versagen im Detail
Ein Hinweis für alle Oberflächlinge, die aus dieser Kritik an Koller Munition für Geschrei nach einem der einheimischen Coaches nützen möchten: das Level auf dem Koller gestern gepatzt hat, ist immer noch deutlich höher als das, auf dem sich 95 Prozent der heimischen Trainer bewegen. Aber auch ein international denkender Mann ist vor Fehlern nicht gefeit; und die gehören angesprochen.
Anm.: dieses Kapitel können sich nur oberflächlich Interessierte oder jene, die ohnehin gestern intensiv dabei waren, sparen.
Im offiziellen ÖFB-Bericht zum Match heißt es: "Junuzovic konnte nach einer Rissquetschwunde am linken Knie nicht mehr weitermachen und musste durch Julian Baumgartlinger ersetzt werden."
Falsch. Er musste keinesfalls just durch Baumgartlinger ersetzt werden. Er hätte auch nicht durch den leicht vorgezogenen Kavlak ersetzt werden müssen.
Er hätte vielmehr durch jemanden ersetzt werden können, der das zuvor blenden funktionierende 4-2-4, das Junuzovic in einer Art Andy-Möller-Rolle als Taktgeber auf einer Linie mit Arnautovic, Hosiner und Harnik sah, aufrecht erhalten hätte.
Da gab es mehrere Möglichkeiten: Ivanschitz wäre die noch vorsichtigste gewesen, Weimann könnte das, auch ein von links in die Mitte gezogener Arnautovic - das hätte auch den Vorteil gehabt ihn von der Rolle auf seiner Seite, die sich von der 1. Minute an nicht richtig anfühlte, zu befreien (Jantscher hätte ihn dort ersetzen können) - nur in den wenigen Minuten, in denen er zentral spielen durfte, war seine kreative Lust spürbar.
All das passierte weder nach Junos Verletzung in der 20. Minute noch in der Halbzeit.
Stattdessen kam Baumgartlinger, löste Kavlak als hinterer halbrechter Sechser ab, während der vielseitige Besiktas-Akteur sich seinerseits zentral ein wenig vor den Mainzer und Alaba schob - was ein italienisches 4-3-3 mit drei defensiven Mittelfeldspielern zur Folge hatte.
Die einzig richtige Entscheidung inmitten einer falschen Grundpatterns war es Kavlak und nicht Alaba auf die vordere der drei zentral-defensiven Positionen zu ziehen: Alaba war aufgrund seiner körperlich vergleichsweise sehr mäßigen Tagesform gar nicht in der Lage einen verkappten Zehner zu spielen.
Mit diesem gänzlich der spielerischen Intention und der Anfangsformation widersprechenden System durchlief das ÖFB-Team alle nur erdenklichen Tiefs, wurde reingedrängt, seitlich und zentral überspielt und verlor die Chance auf Gegenwehr - weil die für all das dringend notwendige Position nicht besetzt wurde.
Und, nochmal: die Spieler trifft keine Schuld, wenn der Coach eine zentrale strategische Schaltstelle ohne Not freilässt.
Aufarbeitung: Fehlanzeige.
Zumindest ebenso bedenklich wie dieser grobe Fehler und der fahrlässige Umgang mit den Chancen ein vorentscheidendes Match offen zu halten, ist allerdings der Umgang mit diesen Versäumnissen nach dem Spiel.
Ich verlange keine schlaue Analyse in den Flash-Interviews der Spieler; auch keine triftige Ansage des Teamchefs direkt nach dem Match.
Was aber dringend nötig ist: eine selbstkritische Aufarbeitung am Tag danach.
Davon ist kollerseits aber keine Rede. Sätze wie "Wir hatten dann bis zur Pause Probleme, und die Iren haben das ausgenützt", sind allenfalls selbstentlarvend.
Nichts erwarte ich, wie immer, von den Mainstream-Medien, die nichts weiter vermögen als biedere, nacherzählungshafte Schilderungen dessen abzuliefern, was es an Emotionen und wichtigen Aktionen auf dem Platz gab und kritiklos das abzubilden was die Proponenten auf Null-Fragen an Stehsätzen abzusondern gedachten. Das findet wie immer ohne Nachhaken, bar jeglichen Nachdenkens statt, das ist reiner Copy-Paste-Journalismus.
Weil es aber genau dieses mediale Nichts gibt, kann sich Koller vor einer öffentlichen Aufarbeitung (eine interne wird es sehr wohl geben, nicht alle ÖFB-Verantwortlichen sind blind und sprachlos) drücken. Das mag angenehm für ihn sein - kritisches Denken und kritisches Fußball-Anschauen fördert es nicht. Aber auch dafür, so habe ich Ruttensteiners einführende Worte beim mit der Koller-Bestellung einhergehenden Neustart verstanden, hat sich der ÖFB als zuständig erklärt.
Die andere immer noch offene Baustelle rund um den nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte tätigen, für die aktuelle Tormannkrise mitverant-wortlichen Tormanntrainer Otto Konrad hat mit der heutigen offiziellen Bekanntgabe seines Engagements im Team Stronach einen neuen Höhepunkt. Und wird von Koller als diskussions-unwert weggeblockt.
Gegen diese nur teilweise bewusste Verdummung wirken die Taktik-Analysen von laola1.at, von abseits.at, das Match-Fazit von ballverliebt.eu oder die Standard.Situation auf derstandard.at. Sie haben allesamt drüber geschlafen und mit frischen Blick das aufgedröselt, was schon in der Live-Analyse nicht übersehbar war.
Diese intensiven Ausnahme-Auseinandersetzungen machen klar, dass es nicht so sehr das ÖFB-Team war, das einen Punkt erobern konnte, sondern vielmehr Marcel Koller und sein Trainer-Team zwei Punkte vercoacht haben. Und es zudem im Nachlauf versäumt haben, ehrlich mit den tatsächlichen Knackpunkten des Spiels umzugehen.