Erstellt am: 28. 3. 2013 - 08:30 Uhr
Nimm es persönlich
Selbst ein Computerspiel zu entwickeln ist richtig schwer. Also eines, das spielerisch, visuell, akustisch und erzählerisch aus der Masse heraussticht und auch Jahre nach der Veröffentlichung noch Eindruck hinterlässt. Die Chancen, sich dabei in Details zu verlieren oder in einem überhöhten Perfektionismus zu verschanzen, dem man nie gerecht werden kann, sind nicht zu unterschätzen. Dazu kommt: Es wird immer schwieriger, je länger der Entwicklungsprozess andauert. Das ist ein bisschen wie beim Schreiben der Diplomarbeit: Wenn ich schon über zwei Jahre daran sitze, muss das jetzt aber auch richtig gut werden!
Durchwachsene Projektplanung und Scheitern auf hohem Niveau waren zwar nicht die Themen des diesjährigen Independent Games Summit, einer kürzlich zu Ende gegangenen, zweitägigen Unterkonferenz beim wichtigen westlichen Spieleentwicklergipfel Game Developers Conference in San Francisco, trotzdem sind viele "So habe ich mein Spiel entwickelt"-Vorträge genau darauf hinausgelaufen. Selbst, wenn es am Schluss meist ein Happy End gibt (Spiel veröffentlicht, Burn-out gerade noch umschifft und Beziehung gehalten): die steinige Strecke dazwischen wird oft ausführlich und persönlich offen gelegt. Nicht vergessen: Indie Games erzählen vom Leben, also müssen ihre Gestalter/innen es ihnen gleichtun.
Work/Life-Balance
Ursprünglich hätten es nur ein paar Monate Entwicklungszeit sein sollen, aber dann ist für Richard Flanagan alles ganz anders gekommen. Der kanadische Grafikdesigner wollte nur einen kleinen Exkurs in die Spielewelt machen, doch so schnell lässt sich eine gute Idee eben nicht in ein handfestes Spiel gießen. Flanagans Synthesizer-Game FRACT hat bereits im Frühjahr 2011 beim Independent Games Festival
den Studenten-Preis gewonnen. Doch erst viele verpasste Meilensteine später und nach der Geburt von Baby Zoe erscheint das Spiel nun so gut wie fertig, nach insgesamt über zwei Jahren Entwicklungszeit.
Robert Glashüttner
Queere Textadventures
In diesem Jahr nicht auf der Bühne des Indie Games Summit vertreten, aber im Publikum mit dabei, ist die queere Game Designerin Anna Anthropy. Sie ist im Vorjahr durch das Buch "Rise of the Videogame Zinesters" bekannt geworden, das Selbstermächtigung bei der Spieleentwicklung propagiert und eine Revolution von unten in Aussicht stellt. Demnach soll jede und jeder Computerspiele als individuelle Ausdrucksform verwenden können. In einem aktuellen Interview des umtriebigen Kollegens Dennis Kogel auf superlevel.de nennt Anthropy das Textadventure als gute Möglichkeit, persönliche, interaktive Geschichten zu erzählen. Besonders hilfreich sei dabei das Programm Twine, das auch von anderen queeren Spieleautorinnen wie Porpentine oder Christine Love derzeit viel benutzt wird.
Ob mit Hyperlinks verkettete Kurzgeschichten nun als Computerspiele im engeren Sinn bezeichnet werden können, muss jede/r für sich entscheiden. Mit Twine erstellte Stories sind jedenfalls eine gute Überlieferung der früher vor allem bei kreativen Kindern und neugierigen Nerds beliebten Spielbücher in den digitalen Raum. Darüber hinaus, so Emily Short von Linden Lab, sei bloßer Text als Gestaltungsform "nicht nur billig", sondern bei durchdachter Anwendung ein ebenso niederschwelliges wie starkes Werkzeug für interaktive Geschichten.
Die rohe Natur
Es gehe bei seinem Spiel um die wilde, unbändigbare Darstellung von Natur, sagt "Incredipede"-Autor Colin Northway. Seine Frau und er haben viele Monate lang, unter anderem auch in Wien, Inspiration für ihre Games-Projekte gesammelt. Sie haben quasi einmal um die Welt entwickelt, wie auch hier auf fm4.ORF.at zu lesen war. Gemeinsam mit dem Grafiker Thomas Shahan ist während der Entwicklungs- und Reisezeit die unkonventielle Holzschnitt-Ästhetik für "Incredipede" entstanden, die der Protagonistin - dem Auge Quozzle, das man nach Belieben mit Gliedmaßen und Muskelsträngen ausstatten kann - und ihrer Umgebung eine gleichsam pittoreske wie bedrohliche Aura verleiht.
Robert Glashüttner
What would Molydeux?
Wie aus kuriosen Ideen zu fiktiven Spielen ein handfester Game Jam werden kann, beweist die russisch-amerikanische Spieleprogrammiererin Anna Kipnis. Sie arbeitet tagsüber bei der Games-Firma Double Fine ("Brütal Legend", "The Cave", usw.), um dann des Nächtens aus unterhaltsamen Tweets eine Herausforderung für den kreativen Spielemachernachwuchs zu machen.
Robert Glashüttner
So wurde dank Kipnis' Anregung aus den Kurztexten des Comedy-Twitter-Accounts @petermolydeux - eine humorvolle Hommage an den idealistischen Game Designer Peter Molyneux ("Populous", "Black & White", ua.) - die Grundlage für den sogenannten Molyjam. Das Konzept: so abgedreht und wunderlich kann eine Spielidee gar nicht sein, dass sie es nicht wert ist, umgesetzt zu werden. Über zwei Dutzend Städte und rund 900 Teilnehmer/innen hat der Molyjam vor einem Jahr zusammengebracht, demnächst startet die diesjährige Ausgabe. Nur unkonventionelle Zugänge geben hier den Ton, pardon, den Pixel an.
Von Zweisamkeit und Zwangsstörungen
Von betörender Ehrlichkeit war der Vortrag von Matt Gilgenbach, Hauptverantwortlicher des Games-Projektes "Retro/Grade". Das Spiel ist eine Art rückwärtsgespultes Shoot 'em up, das aber weniger wie ein frenetisches "Bullet Hell"-Game sondern eher wie ein Puzzlespiel anmutet. Sein großes Schicksal: "Retro/Grade" sieht auf den ersten Blick aus wie eine Mischung zwischen schlecht gerenderten 3D-Figuren aus den frühen 90ern und dem glatten, glänzenden Look der frühen Xbox 360 Spiele.
Der Aufwand hinter dem Aussehen von "Retro/Grade" ist dafür enorm. Gilgenbach hat sich in Details verstiegen, die nur die technisch Versiertesten unter uns erkennen, geschweige denn nachvollziehen können. Anstatt spielerische Inhalte weiterzuentwickeln oder das visuelle Konzept völlig neu zu überarbeiten, wird das vorhandene 3D-Modell in immer größerem Programmieraufwand stets noch mehr verfeinert. In einer entwaffnend offenen und sympathischen Weise erzählt Matt Gilgenbach beim Indie Game Summit von seinem kolossalen Scheitern aufgrund der aus dem Ruder geratenen Technikfeatures. Seine Frau hätte unter seiner Zwangsstörung immer mehr gelitten, doch immerhin war zwischendurch noch Zeit, eine kleine, virtuelle Welt für einen Heiratsantrag zu erstellen.
Robert Glashüttner
Drei Preise für ein echtes Leben
Nach zwei Tagen Indie-Konferenz öffnet am dritten Tag der Game Developers Conference erstmals die Ausstellungshalle, wo dann nicht nur gesprochen, sondern auch eifrig gespielt wird. Jede und jeder Nominierte beim jährlichen Independent Games Festival (IGF) hat dort einen eigenen Spielestand, wo er oder sie für die kommenden drei Tage sich und sein Werk präsentiert. Gleich am Mittwoch Abend folgt die Award-Show, das wohl wichtigste Ereignis der gesamten westlichen Indie-Entwickler/innen-Gemeinschaft, das bereits Monate im Voraus freudig erwartet wird. Schon eine Nominierung in einer der acht Kategorien beim IGF alleine gleicht szenenintern einem kleinen Ritterschlag, ein tatsächlich gewonnener Award ist dann eine umso nachhaltigere Würdigung.
Einer, der dieses Jahr gleich drei IGF-Awards entgegennehmen durfte - darunter den Hauptpreis - ist der selbstkritische Illustrator und Künstler Richard Hofmeier aus Seattle, Gestalter der unbarmherzig-poetischen Lebenssimulation "Cart Life". Dachte man zuerst noch, seine knappen Wortmeldungen auf der Bühne seien eine Mischung aus subversiver Show und Koketterie, merkt man im anschließenden Interview, dass sich die Situation für Hofmeier wirklich unwirklich anfühlt und er das eindeutige Votum der Jury für ihn und sein Spiel noch nicht so recht nachvollziehen kann. "Es hat doch noch so viele Bugs." How indie.
ORF / Peter Krajewski