Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "So who is David Bowie?"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

25. 3. 2013 - 16:11

So who is David Bowie?

Mein Rundgang durch "David Bowie Is", die große Ausstellung des Victoria & Albert Museum.

Als ich mich nach dem Abholen der Karten und des Audio Guide zum dritten Mal anstelle, um endlich einer dichten Schlange aufgeregter Menschen in die Ausstellung zu folgen, kreuzt ein ungefähr zwölfjähriges Kind mit seinem Vater die Prozession. "So who is David Bowie?", fragt der Bub. "David Bowie..." setzt der Vater an, "is a pop..." (tiefes Atemholen) "He is a pop..."

Das Wort kommt nie heraus, und ich kann ihn gut verstehen. Wenn er jetzt einfach "star" sagen würde, wäre das für seinen im X-Factor-Zeitalter aufgewachsenen Sohn wohl keine ausreichende Erklärung dafür, warum dieses bedeutende Londoner Museum dieser Figur so eine große Ausstellung widmet, in die noch dazu so viele Leute mit einem Altersschnitt jenseits der vierzig strömen.

Nur dass wir uns recht verstehen: Ich ging mit hohen Erwartungen in diese Ausstellung. Es schien mir völlig sinnvoll, das Prinzip Popstar ins Museum zu holen, schließlich ist eine rückblickende Auseinandersetzung mit einer Utopie, an die niemand mehr glaubt, ehrlicher und sinnvoller als jenes routinemäßige Durchspielen wissender Selbstreferenzen mit wechselnden Hauptrollen, das derzeit als Popkultur herhalten muss.

Im Gegensatz zur in dieser Hinsicht konsequent selbstbetrügerischen Popindustrie muss ein Museum nicht so tun, als gäbe es der Geschichte was hinzuzufügen. Es hätte genügt, anhand des über die Jahrzehnte angesammelten Strandguts eines außergewöhnlichen Lebenswerks zu erforschen, wie und warum das mittlerweile institutionalisierte, bagatellisierte, historische Prinzip Popstar sich einst erfand. Und, vor allem, was es in seiner Blütezeit bedeutete. Hätte...

David Bowie Kataloge

Robert Rotifer

Erstaunlicherweise hielten sich die Besuchermassen an die Bitte, in der Ausstellung nicht zu fotografieren. Ich auch.

Die KuratorInnen der Ausstellung genossen freien Zugang zu David Bowies offenbar unerschöpflichem Archiv. Kleidungsstück um Kleidungsstück, handschriftlicher Text um handskizziertes Bühnenkonzept wird jede Stufe seiner Entwicklungsgeschichte dokumentiert.

Was dabei sofort auffällt, ist der Kontrast zwischen den in Fotos und Videos konservierten grellen Farben von Bowies Bühnenkleidung und den von den Jahrzehnten ausgebleichten Stoffen der Originalkostüme. Das macht bewusst, wie weit diese in der digitalen Welt so willig reproduzierbare Vergangenheit tatsächlich zurückliegt.

Bowies Zeichnungen wiederum beweisen ein gutes Auge und einen ausgeprägten Sinn für Perspektive, seine Handschrift scheint erstaunlich geordnet und säuberlich, teils beinahe kindlich.
Die den Texten beigefügten Kommentare tragen wenig Neues zum Verständnis der Worte bei.

Bezeichnenderweise erhält Bowies Gebrauch der Cut-Up-Technik bzw. einer Software, die aus Zeitungsüberschriften arbiträre neue Sätze generiert, hier die größte Aufmerksamkeit.

Während sich die Ausstellung in Bezug aufs Bowies Texte mehr für die Methode als den Inhalt interessiert, beschränkt sich die Auseinandersetzung mit der Herstellung seiner Musik mehr oder weniger auf ein Interview mit Produzent Tony Visconti ("Bowie lässt im Studio alles ganz leicht aussehen"), ein paar rauschende Bandschnipsel aus alten Studiosessions, Notenblätter und Peter Schmidt und Brian Enos legendären Kartensatz der Oblique Strategies. Da wäre wohl noch einiges gegangen.

Die Vorstellung, dass einer wie David Bowie schon seit den mittleren 1960ern akribisch seinen Nachlass archiviert, passt grundsätzlich ja nicht ganz zum Bild der rücksichtslos alles hinter sich Liegende verbrennenden Kreativitätsrakete, lässt aber zumindest den Rückschluss zu, dass niemand das Thema dieser Ausstellung obsessiver studiert hat als ihr Subjekt selbst.

Soweit sich hier erkennen lässt, kommt dieser fanatische Narzissmus wundersamerweise ganz ohne Persönlichkeitsspaltung aus – eine bemerkenswerte Kombination aus Selbstsucht und Selbstdisziplin. Wenn's wahr ist. Besteht doch der Verdacht, dass die unglaubliche Menge an kostümierten Puppen und Bildschirmen auch dazu da ist, den Blick auf die sterbliche Figur darunter so gründlich wie möglich zu verstellen.

Stattdessen unter Glas die Reliquien der Ikone aus einem anderen Zeitalter:
Ein silberner Kokainlöffel.
Ein mit Bowies eigenem Lippenstift beflecktes Taschentuch.
Eine Tagebucheintragung zur Aufnahme des Songs “Fame“ gemeinsam mit John Lennon, in der auch ein Schimmer von Statussucht durchblitzt: David Bowie hat jetzt mit einem Beatle gearbeitet. Das will gleich zweimal erwähnt sein. Dabei heißt es in dem Song doch: “Fame puts you there where things are hollow“ - Die Berühmtheit bringt dich dorthin, wo die Dinge hohl sind.

Nicht alle Kollaborationen werden hier so ausführlich behandelt. Die für bisexuelle Abenteuer aller Art offene Ehe mit seiner Frau Angie in den Siebzigern - ein ganz wichtiger Aspekt in der Erschaffung seines Mythos und auch seines Stils - kommt, soweit ich sehen konnte, nicht zur Sprache. Ob das eine Vorbedingung für Bowies großzügige Leihgaben gewesen sein mag?

Auch die in den Glam-Rock-Jahren so unschätzbar wichtige Rolle von Gitarrist und Arrangeur Mick Ronson als Verwirklicher Bowies kompositorischer Ambitionen bleibt unverzeihlicherweise unerklärt.

Vor allem aber fehlt der Bezug auf den sozialen Kontext der Ära. Wer etwa auf den Einfluss von "A Clockwork Orange" auf Ziggy Stardust verweist, muss auch den Gegensatz zwischen Bowies androgyner Persona und dem Männlichkeitskult der Skinheads jener Ära erwähnen, deren Schnürstiefel-Look Bowie in seiner Auslegung provokant mit weiblich dünnen Ledersohlen verfremdete.

Ja, um die Magie der Parallelwelt dieses exzessiven Alien wirklich nachvollziehbar zu machen, muss man auch den ganzen gesellschaftlichen Hintergrund von Ölkrise, Streikwellen und Hyperinflation zumindest ins Gedächtnis rufen. Den Grad, zu welchem Bowie nicht als Repräsentant von, sondern in Opposition zur Normalwelt der britischen Siebziger existierte.

Übrigens: Die Auslassung der 1976 aufgeflammten Kontroverse um Bowies damaliges Zitat, Großbritannien brauche einen faschistischen Führer, gefolgt vom angeblichem Hitlergruß in der offenen Limousine nach Ankunft in der Victoria Station ist mit einigem gutem Willen ja noch zu vertreten. Bowie mag im ersten Fall kokainvernebelt Sarkastisches gefaselt, im zweiten Fall tatsächlich nur mit ausgestrecktem Arm gewunken haben. Eine Ausstellung kann sowas nicht klären.

Seine Faszination mit Berlin hätte aber eindeutig eine über den kunstgeschichtlichen Name-Check von Brecht bzw. der Literatur, dem Cabaret und der Kunst der Weimarer Republik hinausgehende Auseinandersetzung verdient.
Kein Abhängen mit Kippenberger in dieser Ausstellung.

Als sich nach zwei Stunden im letzten Raum der Audio Guide bei mir für den Besuch bedankt und mich freundlich zur Rückgabe meiner Kopfhörer auffordert, schwimmt mir vor lauter Bowie schon der Kopf, gleichzeitig ist da aber auch ein leeres Gefühl.

In ihrem Kern bleibt die im Ausstellungstitel „David Bowie is“ implizite Verheißung nämlich unerfüllt, die Frage des vorbeikommenden Buben „So Who is David Bowie?“ letztlich unbeantwortet. Und das passt David Bowie vermutlich wunderbar in den Kram.

"David Bowie Is" ist nicht weniger als ein revisionistischer Triumph. In ihrer reduktiven These, dass großer Pop sich von der Kunst und der Mode ableitet und seinerseits Kunst und Mode hervorbringt, unterwirft diese Ausstellung David Bowies Werk letztlich erfolgreich der ausgehöhlten, bis zur Bedeutungslosigkeit abstrahierten Selbstzweck-Rhetorik des im Loop nichtssagender Gesten des „Erforschens“ dahintreibenden, zeitgenössischen Kunstbetriebs. Das muss man auch einmal schaffen.

"David Bowie is all around us", behauptet der letzte Raum der Ausstellung unter Verweis auf die Omnipräsenz von Bowies Ästhetik in unser aller Alltag. Und überall ist bekanntlich dasselbe wie nirgendwo.

"David Bowie Is" im Londoner Victoria & Albert Museum ist mittlerweile schon bis Juni ausverkauft, läuft aber bis August (Tickets gibt’s hier).

Bei aller Kritik ist es eine Ausstellung, die man nicht nicht gesehen haben wollte. David Bowies neues Album sagt trotzdem mehr.

V&A Vorderansicht

Robert Rotifer