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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

20. 3. 2013 - 17:20

Durchgeknallt im Wunderland

Nicolas Mahler montiert in seiner neuen Graphic Novel "Alice in Sussex" Lewis Carolls Kinderbuchklassiker mit H.C. Artmann und vielen anderen.

Alice in Sussex

Suhrkamp

Nicolas Mahler: Alice in Sussex - Frei nach Lewis Carroll und H.C. Artmann. Suhrkamp 2013

"Unter einer Comicadaption eines Buches verstehen viele eine Art Lesehilfe für Leute, die dicke Bücher nicht schaffen", ärgert sich Nicolas Mahler, denn bei Filmen sei die Intention auch nicht, dass man nach dem Anschauen eines Filmes das Originalbuch liest. Ein Regisseur dreht einen Film, weil ihn der Stoff interessiert. Und für ihn sei es mit Comics ebenso: Der Stoff muss ihn interessieren.

Weil seine letzten Adaption – Alte Meister von Thomas Bernhard – sehr werkgetreu war, wollte er diesmal was Neues ausprobieren und verschiedene Werke montieren. Das funktioniert nur mit bekannten Charakteren und so fiel seine Wahl schnell auf "Alice im Wunderland". Von dort war es nur ein kleiner Schritt zu Alice bei "Frankenstein in Sussex" von H.C. Artmann. "Artmann ist ja auch einer, der einfach so vorhandene Figuren nimmt und dann herumspielt und ein bisschen verändert."

Daneben zitiert Mahler Voltaire ebenso wie Tolstoj, Melville oder das Vorlesungsverzeichnis der Universität Wien. Bemerkenswert in diesem Remix sind auch Titel wie "Schwankende Gestalten" von Rudolf Stürtzer, "Vom Nachteil, geboren zu sein" oder "Wider die Jugend".
Den kleinsten gemeinsamen Nenner all dieser Werke sieht Nicolas Mahler im Witz.

comic - alice und kaninchen stehen vor einem kaninchenbau

Nicolas Mahler/Suhrkamp

Dazu muss man wissen, dass Mahler einen sehr eigenen Humor hat. Wirklich lachen kann er über wenig ("Das war immer schon ein großes Problem"), über sich selbst schon gar nicht. "Es gibt schon Leute, die mehr über sich lachen können, als ich. Das ist ein schweres Manko." Bleibt der schwarze, skurrile, groteske Humor.

comic kaninchen steht vor der bücherwand und findet "vom nachteil geboren zu sein"

Nicolas Mahler/Suhrkamp

Von dem quillt die Geschichte geradezu über, öffnet sie Wege in die eine oder andere Richtung. Eine gefährliche Welt, aufregend und unberechenbar.
Und alles andere als langweilig und wirklich. Alice trifft auf das weiße Kaninchen, das ihr ein Buch leihen will und sie so mitnimmt in sein unterirdisches Reich. Dort leben auch die Grinsekatze oder Frankensteins Monster.
Die beiden letzteren haben übrigens – eine Rarität in Mahlers Werken – ein Gesicht.

Weil die Köpfe groß genug waren, meint er knapp. Sonst haben seine Figuren nur Nasen. "Damit man weiß, wo vorn und hinten ist, aber die Köpfe sind so klein, dass ich Schwierigkeiten habe, was reinzukriegen."
Der Stil ist also gewohnt minimalistisch und reduziert.

comci alice mit grinsekatze

Nicolas Mahler/Suhrkamp

Ursprünglich war "Alice in Sussex" ein Comicstrip in der FAZ. Als solcher hatte er einen anderen Rhythmus, musste die Geschichte doch täglich funktionieren. Außerdem erschien der Strip im Querformat und konnte so nicht einfach in Buchform publiziert werden. Das wäre auch nicht im Sinn von Nicolas Mahler gewesen – gesammelte Zeitungsfolgen hält er für genauso langweilig wie eine Kolumnensammlung. Also hat er die Geschichte komplett umgestaltet, ihr einen neuen Erzählfluss gegeben und sie neu gezeichnet.

comic kaninchen bekommt einladung von königin

Nicolas Mahler/Suhrkamp

"Das Buch ist mehr oder minder eine Improvisation." Er habe parallel mehrere Bücher gelesen und das sei dann "ohne großem Plan" irgendwie eingeflossen. Wenn er bei seiner Arbeit Stellen in Büchern unterstreicht und anzeichnet, wird er umgehend von seinem Sohn geschimpft. Denn der darf das nicht. "Ich muss dann immer vortäuschen, dass ich das Buch zweimal gekauft habe. Einmal so und einmal als Arbeitsbuch." Denn "in Bücher darf man nicht reinschreiben, keine Eselsohren machen und nicht schiach umblättern" erklärt der strenge Vater Mahler. "Und wenn er nicht hinschaut, mache ich genau das." Hoffentlich liest der Sohn das jetzt.