Erstellt am: 1. 4. 2013 - 13:01 Uhr
Für Gott, Kaiser und Vaterland
"Was wäre wenn...": Die Frage, die unter HistorikerInnen verpönt ist, wird in der Unterhaltungsbranche umso lieber aufgegriffen. Besonders populär sind dabei Szenarien wie jenes, dass der Zweite Weltkrieg verhindert worden ist oder anders ausgegangen ist, Hitler gar nicht zum Diktator geworden oder alternativ noch am Leben ist. Timur Vernes Roman "Er ist wieder da" etwa, in dem Adolf Hitler in Angela Merkels Deutschland wieder aufersteht, hält sich schon seit Monaten in den Bestsellerlisten.
Monarchen statt Diktatoren
galiani berlin
Hannes Stein lässt in seinem Debütroman "Der Komet" den Zweiten Weltkrieg auch ausfallen, allerdings aus einem anderen Grund. Bei ihm findet nicht einmal der erste Weltkrieg statt. Der habsburgische Thronfolger Franz Ferdinand lässt sich 1914 in Sarajevo nicht erschießen, sondern zieht nach dem ersten, gescheiterten Attentatsversuch den Rückzug an. Der Habsburgermonarchie fällt somit der Grund weg, dem Königreich Serbien den Krieg zu erklären, und die komplexen Militärbündnisse, die den kleinräumigen Konflikt zum Weltkrieg machten, werden nicht schlagend.
Was folgt, ist ein durchaus interessantes, wenn auch nicht sehr realistisches Gedankenexperiment: Die europäische Landkarte bleibt in den nächsten hundert Jahren nahezu unverändert und so ist die Habsburger-Monarchie zur Jahrtausendwende immer noch ein Weltreich. Hannes Stein übt sich in amüsanten Großmachtfantasien. Denn die Habsburgermonarchie baut nicht auf militärische Stärke, sondern auf ihre Rücksichtnahme, Schlampigkeit und Gemütlichkeit. Es ist ein Reich, dessen Realität die Peripherie und nicht das Zentrum ist, das die moderne Entwicklung nur zögerlich aufgreift. "[K]eine Internationale, wie die Austromarxisten sie vergeblich herbeiträumten, sondern – viel praktischer – eine Hinternationale. Reaktionär, fortschrittlich und human."
Wien als kulturelles Weltzentrum
Inmitten des Vielvölkerreiches, das durch die Person des Kaisers zusammengehalten wird, blüht die Residenzstadt Wien. Sie hat dreieinhalb Millionen Einwohner, ist immer noch jüdisch geprägt und vor allem in kulturellen Belangen führend. Die Rosenhügel-Studios in Wien Hietzing produzieren Kino-Blockbuster mit den Weltstars Romy Schneider, Christoph Waltz und Arnold Schwarzenegger – selbst Billy Wilder und Steven Spielberg, der hier unter Szczepan Szpilberg fungiert, sind in Wien daheim. Auch die Popkultur wird von k.u.k. Künstlern dominiert, mit elektronischer Balkanmusik. Almdudler hat weltweite Softdrink-Hegemonie erlangt.
Mit der großen Harmonie wird es jedoch bald vorbei sein, denn ein riesiger Komet nähert sich der Erde.
Der Autor als Oberlehrer
Hannes Stein ist in München geboren, aber in Österreich aufgewachsen. Als Journalist hat er u.a. für die FAZ und den Spiegel geschrieben. Mittlerweile lebt er in den USA und ist Teil des Blogportals Achse des Guten.
Hannes Steins Roman beginnt als lustiges Gedankenspiel, nützt sich aber sehr schnell ab. Das liegt einerseits an der Sprache, deren Antiquiertheit man noch gelten lassen kann, wenn man die Handlungsorte berücksichtigt – literarische Salons und Kaffeehäuser. Doch dass sich Stein nicht zwischen Dialektausdrücken und Hochsprache entscheiden kann, stößt immer wieder auf. Stein bemüht nämlich immer beide: "triezen" ist "sekkieren", "hässlich" ist "schiach" und die "Mitesser" sind in Wien die "Wimmerln". Stein will seine Leserschaft belehren, was noch offensichtlicher wird im angehängten 30-seitigen Glossar, in dem er historische Begebenheiten der "Realgeschichte" erklärt. Doch Oberlehrer kommen selten gut an.
Kitsch und Klischees
Außer diesen Erklärungen und Monarchie-Nostalgie hat Stein allerdings nicht viel zu bieten. Der Roman hat keine wenig Handlung; den Protagonisten und Protagonistinnen kommt man nur wenig nahe. Die sind nicht viel mehr als einerseits Vehikel für erotische Sehnsüchte, andererseits Kaffehausphilosophen.
"Der Komet" ist kein Ausflug in eine alternative Gegenwart, sondern ein Blick zurück durch eine rosarote Brille. Selbst das Ende, der Epilog ist ein einziges Österreich-Klischee vom Wein und der Gemütlichkeit.