Erstellt am: 16. 3. 2013 - 14:01 Uhr
Sich in Hingabe üben
Das Festival des österreichischen Films in Graz dauert noch bis Sonntag, 17. März.
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Der Freitag ist wie auch die Abendvorstellungen ein Wendepunkt auf jeder Diagonale: Das professionelle Festivalvolk mischt sich mit dem Grazer Kinopublikum. Und letzteres bringt stets Neugier und offene Kritik mit. Zu Mittag beim Werkstattgespräch mit Dominik Graf überwog die Höflichkeit. Ehrfurcht war es wohl nicht, die interessierte ZuhörerInnen fast zwei Stunden im Kinosaal verweilen ließ: Zwei Männer in Bud-Spencer-Shirts traten den Cineasten-Beweis an. Allein, das wäre nicht notwendig gewesen.
FilmmuseumSynema
Christoph Huber und Olaf Möller begeistern sich für Dominik Graf. Sie haben eine kommentierte Filmografie des deutschen Regisseurs geschrieben, die druckfrisch aufliegt. Doch in ihrer Euphorie hätten sie fast auf Dominik Graf vergessen. Der saß in der Mitte zwischen den Beiden, und zwar stumm, während die Filmexperten Szenen seines Werks mit jenem anderer Regisseure in Analogien zu setzen trachteten.
Graf kam dann ab und an doch noch zu Wort. Das "Werkstattgespräch" verließ man mit einigen wenigen Anekdoten (wer einen Spielfilm plant, sollte sich Szenen in Zügen gut überlegen, die deutsche Bahn hat das letzte Wort), zweckdienlichen Hinweisen für einen pragmatischen Zugang ("Es ist 17 Uhr, um 18 Uhr geht die Sonne unter und du hast noch fünf Seiten Text zu drehen - wie du damit umgehst, lernst du auf keiner Filmhochschule") und Filmtipps (die nur vier Folgen von "Der Kommissar" des tschechischen Regisseurs Zbynek Brynych! Mit "organisierter Musikfolter", wie Dominik Graf es lächelnd kommentiert. Brynych verwendete bevorzugt ein Lied als Soundtrack, Hits wie diesen und das bis zum Nimmerwiederhörenkönnen.)
Mit der Welt kommunizieren
Draußen vor den Kinos ging ein Wind in Graz, wie ihn WienerInnen gewohnt sind. Uns im Süden streckt der sogleich nieder, die vergessenen und leeren Taschentücherpackungen auf Kinositzen häufen sich. Im großen Saal des KIZ Royal bittet ein insgeheimer Star der Diagonale das Publikum, die Mobiltelefone jetzt abzudrehen. "Und ich vergaß zu präzisieren: bitte auch nicht das Display zu verwenden, es kommt ständig zu Beschwerden", ergänzt die Saalregie Georg Gregoriadis in einem Tonfall, der im Katastropheneinsatz garantiert Leben retten würde. Der Mann bekommt immer Applaus für seine Höflichkeit und Verwendung des Präteritums.
Gregoriadis' Ansagen wünscht man sich für die Foyers der Diagonale-Kinos, wenn allabendlich kurzzeitig die innerliche Klaustrophobie ausbricht. Sich laut singend oder summend an Wartenden vorbeizuschlängeln ist diesmal übrigens eine augenscheinlich effiziente Methode.
Um Fortbewegung und kleine Augenblicke geht es auch in Bernadette Weigls filmischer Reise "Fahrtwind - Aufzeichnungen einer Reisenden". "Meine Füsse haben Sehnsucht nach dem Meer und ich habe Lust zu verschwinden, in dem was ich sehe." Eine junge Frauenstimme erklärt zu Beginn des Films, was sie vor hat. Danach übernehmen für achtzig Minuten Bilder und Atmosphären die Erzählung. "Fahrtwind - Aufzeichnungen einer Reisenden" führt nach Rumänien und in die Ukraine und weiter nach Georgien, Aserbaidschan und Kasachstan. Das Meer schäumt, Wind saust. Erst am Ende wird die Filmemacherin wieder ihre Stimme erheben und fragen: Wann weiß man, wann eine Reise zu Ende ist?
Bernadette Weigel
Montiert aus einzelnen Augenblicken überwiegt ein poetischer Realismus. Minutenlanges Getöse des Schiffsmotors, der Hafen kommt in Sicht, junge Hunde äugen über eine Betonbrüstung, einmal, zweimal, leises Schmunzeln im Publikum. Beim ersten Landgang schaut man zu Boden auf teils verdorrtes Gras. "Touristen gucken immer nach oben", stellte Tex Rubinowitz einmal richtig fest, auch Weigls Blick wird sich in Städten nach oben richten. Beim Sightseeing flippen die Bilder von einem Gebäude zum nächsen, auf Märkten begegnen einem die Standler in stummen Porträts.
Super 8 mit Charme und Erschöpfung
Bernadette Weigl war alleine unterwegs, sie lässt ihr Publikum auch alleine mit ihren filmischen Mitbringseln. Weigel geht in die Welt hinaus "wie Hänschenklein und man kennt ja die Welt nur aus dem Fernsehen", erklärt sie im anschließenden Publikumsgespräch. Unvoreingenommen und neugierig schaut sie sich in den gelinde gesagt demokratiefernen Ländern Georgien, Aserbaidschan und Kasachstan um. "Die Kamera war immer meine Möglichkeit, mich mit der Welt zu verbinden", erklärt die Regie- und Kamerastudentin der Filmakademie Wien.
Vom Reisen, Suchen und Finden handelt "1+8", der auch gesehen werden will und hoffentlich einen Kinostart schafft.
Auf Super 8mm hat Bernadette ihre Reise dokumentiert. Wie lange sie ausbleiben würde, war unbestimmt - einzig das teure Filmmaterial würde irgendwann einmal aufgebraucht sein. Weigl hatte eine Rollen-Beschränkung. Ein Kofferraum voller Äpfel als mobiler Laden. Die Gesichter auf Ikonen, dazu Chorgesang. Nonnen, die beim Glockenläuten abheben und eine Taube auf der Potemkinschen Treppe. Immer wieder der neugierige Blick in Hinterhöfe und immer wieder Kinder und Tiere. Die Schafe auf einem Berghang muss man erst ausmachen, die Bilder üben sich in Unschärfe. Wie bei langen Reisen erschöpft sich der körnige Charme von Nostalgie auch einmal.
Bernadette Weigel
Das Sounddesign von "Fahrtwind - Aufzeichnungen einer Reisenden" ist hervorragend. Dabei hatte Weigl nur einen ZoomH4, einen portablen MP3-Recorder mit. Sounddesign wird übrigens auf dieser Diagonale erstmals mit zwei Preisen - einen für Spielfilm, einen für Doku - gewürdigt werden.
Endlich: Party!
In der Nacht von gestern auf heute tagten die Jurys, während im Kunsthaus eine schöne Diagonale Nightline vor sich ging. Das Konzert von Modell Doo, der Band der Film- und Kulturjournalisten Stefan Grissemann und Markus Moser, hat den Sprung aus den Achtzigern locker in die Gegenwart geschafft. Tatsächlich wurde gestern zaghaft getanzt! Das muss festgehalten werden, denn der Mangel an Premierenpartys und Tanz war schon aufgefallen. Das gestrige DJ-Rundgangerl von Paul Poet, Christian Fuchs, Christoph Prenner und Thomas Ballhausen tat gut.
Beim Abschlussfest im Grazer Orpheum treten Clara Luzia, Mirijam Unger und Philipp Hochmair als DJs an. Ab 23 Uhr wird gefeiert. Erste Preise gab es schon: Der Thomas Pluch Hauptpreis in Höhe von 11.000 Euro ging gestern an Petra Ladinigg und Umut Dağ für Drehbuch zu "Kuma". Gratulation. Heute wird es spannend: Wer kriegt den Großen Diagonale Spielfilm-Preis? Michael Haneke? Ulrich Seidl? Oder gar ein/e NachwuchsfilmemacherIn? Tipps werden angenommen!