Erstellt am: 15. 3. 2013 - 16:22 Uhr
Genosse Gazprom
Er war der letzte und vielleicht auch der umstrittenste rote Bundeskanzler in Deutschland:
Gerhard Schröder, für seine Gegner der Genosse der Bosse, für seine Freunde der Retter und Obersanierer der Bundesrepublik Deutschland. Vor zehn Jahren hat er im deutschen Bundestag erstmals seine "Agenda 2010" vorgestellt - ein umfassendes Reformprogramm, das etwa flexiblere Arbeitsmärkte oder auch die umstrittene Hartz IV-Reform gebracht hat. Und während heute selbst die aktuelle schwarz-gelbe Regierung diese Agenda 2010 lobt, ist sie vielen Sozialdemokraten noch immer ein Dorn im Auge. Für diese Kritiker von links war Schröder der neoliberale Wegbereiter in Deutschland, die SPD hat seitdem auch einen hohen Preis zahlen müssen und die Macht verloren.
Fakt ist aber auch, dass die Bundesrepublik heute nicht mehr der kranke Mann, sondern die Zugmaschine Europas ist.
Paul Pant und ich stellen diesen wirtschaftlichen Streit, der mitten durch die Sozialdemokratie geht, nun im verbalen Boxring nach…
Kontra
Okay, klar, wenn Philipp Rösler sie super findet, dann muss sie eigentlich ganz toll sein, die Agenda 2010. Not.
Aber mal von vorne.
Am 14. März 2003, als Schröder im Bundestag seine Brandrede hielt, war der Schulterschluss zwischen den Spitzen der deutschen Industrie und der deutschen Sozialdemokratie längst besiegelt. Nun muss man einem Regierungschef natürlich nicht vorwerfen, dass er sich bemüht, die großen Industrien bei Laune zu halten und in Deutschland ist das natürlich noch immer die Autobranche. Wenn aber ein Bundeskanzler jener Partei, die einst antrat um die geknechteten Arbeiter zu befreien, plötzlich die Standortinteressen von Volkswagen über jene der Beschäftigten stellt, dann ist sicher ein Zustand erreicht, der dieser Partei ihre wesentliche Daseinsberechtigung entzieht.
EPA
Denn mit dem Argument von Lohnstückkosten zu argumentieren, die aus dem betriebswirtschaftlichen Fachjargon übersetzt nichts anderes als "Wettbewerbsvorteile" oder "Produktivität" bedeuten, konnten Thatcher oder Reagan auch schon. Dass es selbst Tony Blair konnte, stimmt zwar, lässt sich aber eher unter "Anfang vom Ende der Sozialdemokratie" einordnen, der in Großbritannien noch früher als in Deutschland vollzogen wurde.
Denn was waren denn die Eckpunkte der Agenda 2010? Mit der permanenten Rute namens "Alternativlosigkeit" im Fenster machte sich Anfang des neuen Jahrtausends eine dezent depressive Stimmung in Deutschland breit, die Arbeitslosigkeit war hoch, das Wachstum hingegen maximal bescheiden. Die Verschuldung drohte aus dem Ruder zu laufen und selbst Deutschland hatte nicht nur in diesen ersten Nuller-Jahren Probleme die Maastrichter Konvergenzkriterien einzuhalten, verstieß also gegen die selbst auferlegten Regeln.
Doch die Lösungen von Schröder und den seinen hätten ebenso gut von der FDP sein können. Nicht mal im Traum dachte man daran, die Verteilung gerechter zu machen, etwa Vermögen zugunsten von Arbeit stärker zu besteuern, oder dem Steuerdumping einen Riegel vorzuschieben. Man hätte die arbeitende Bevölkerung stärker am Produktivitätsgewinn der Konzerne beteiligen können und so Kaufkraft und weitere zusätzliche Steueraufkommen lukrieren können. Stattdessen hat man gemacht, was auch aktuell als einzig gangbarer Weg verkauft wird: Man ließ zu, dass die obersten Vermögens- und Einkommens-Segmente rasant wachsen und dieses Kapital fast ausschließlich als Spielgeld in die Finanzcasinos wandern.
APA/Oczeret Herbert
Währenddessen hatte die arbeitende Bevölkerung immer weniger im Börsel und musste nun auch noch weitere Verschlechterungen am Arbeitsmarkt hinnehmen, die freilich immer als "Flexibilisierung" verkauft werden. Plötzlich gibt es mitten in Deutschland Armut trotz Vollzeit-Job.
Ein-Euro-Jobs, Hartz IV, all das wurden Schlagworte eines immer unsolidarischeren Kampfes jeder gegen jeden, wo korrekt angestellte Menschen - vor allem bei den jungen Arbeitnehmern - immer mehr zu einer aussterbenden Spezies werden. Wichtig ist die Flexibilität, will heißen: Abbau von Transfers, Abbau von Lohnuntergrenzen, Abbau von Sicherheiten wie Kündigungsschutz und immer mehr atypisch und prekär Beschäftigte.
Economy Death Match
Wirtschaft im Streitgespräch von Robert Zikmund und Paul Pant.
Wenn sich die SPD dann zehn Jahre später in der Person ihres Spitzenkandidaten vom Lob der Neoliberalen in der konservativ-liberalen Bundesregierung so blenden lässt, dass sie sich selbst damit brüstet, muss der SPD-interne Lerneffekt zumindest bezweifelt werden. Offenbar reichten zwei verlorene Wahlen nicht aus, um hier ein Umdenken der Genossen auf breiter Front zu induzieren, nicht anders ist zu erklären, dass Schröder jetzt vom Lobbyisten-Stuhl aus schon wieder eine "Agenda 2020" fordert.
Pro
Harte Vorwürfe, die Herrn Schröder da vom linken Flügel der deutschen Sozialdemokraten an den Kopf geworfen werden - Vorwürfe, wie sie wohl nur Leuten einfallen können, die davon ausgehen, dass der Staat für Jobs und die Höhen der Löhne verantwortlich ist.
dpa/dpa-Zentralbild/Z1031 Jan Woitas
Kleiner Nachhilfe-Einschub an dieser Stelle: Entgegen dieser oft kommunizierten linken Sage sind in einer marktwirtschaftlichen Demokratie, die sich als Modell durchgesetzt hat, schon noch immer die privaten Unternehmen die wichtigsten Arbeitgeber. Und Unternehmen wollen in einer globalisierten Wirtschaft natürlich halbwegs akzeptable Rahmenbedingungen.
Aber vielleicht schauen wir uns mal genauer an, was in diesen zehn Jahren seit der Einführung dieser Agenda 2010, die nun auch von Union und FDP so gelobt wird, tatsächlich geschehen ist: Der Sachverständigenrat, der damals ein Zwanzig-Punkte-Maßnahmenpaket für Beschäftigung und Wachstum ausverhandelt hat, bestand neben Politikern auch aus Arbeitgebern (wie dem VW-Vorstand Peter Hartz) und Arbeitnehmern (was den Vorwurf der Einseitigkeit blitzartig erodieren lässt). Von diesen zwanzig Punkten hat die Regierung Schröder dann 2003 tatsächlich zehn Punkte umgesetzt,. Spötter meinen, dass sich der Name "Agenda 2010" daher ableitet. In den meisten Medien wird dieses Portfolio aus verschiedensten Reformen als größte Strukturreform seit der Wiedervereinigung bezeichnet und tatsächlich haben sie viele wichtige Kennzahlen für Deutschland in diesen zehn Jahren verbessert - Deutschland wurde vom kranken Mann zur Lokomotive Europas.
Neben dem Arbeitsmarkt wurden auch die Steuerpolitik und das Rentensystem reformiert. Was aber am meisten mediales Echo fand - und die SPD letztlich auch die nächsten Wahlen kostete - war die überfällige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Davon profitiert schwarz-gelb noch heute und ist insgeheim dankbar, dass ausgerechnet die SPD dafür verantwortlich war und die Watschen kassiert hat.
Neben der Hartz IV-Vereinheitlichung (mit Zusammenlegung etwa von Sozial- und Arbeitslosenhilfe) wollte man vor allem Arbeitslose und da in erster Linie Langzeitarbeitslose abbauen. Damit man mit mehr Anreizen in die Arbeit geht, setzte man neben Fördern auch auf Fordern und verlangte mehr Eigenverantwortung, die Menschen sollten sich ihren Lebensunterhalt prinzipiell selbst verdienen. Das ist auch notwendig in einem ausufernden Wohlfahrtsstaat, dessen Finanzierung durch explodierende Schuldenlasten eine immer größere Abhängigkeit von den ohnehin volatilen Finanzmärkten bedingt und damit ein Schicksal wie in Italien in den Raum stellt.
dpa/dpaweb/dpa-Zentralbild/Z1031 Jan Woitas
Schröder selbst sagte damals am 14. März 2003: "Wenn wir das jetzt nicht in den Griff bekommen werden die Märkte in einigen Jahren uns mit unerhörter Wucht strafen." Er sollte prophetisch recht behalten, wie auch ein Blick ins benachbarte Frankreich zeigt. Glaubt man den Studien von der Bundesbank und dem IWF sank die deutsche Arbeitslosigkeit vor allem durch die Arbeitsmarktreformen in diesen Jahren von 12 auf nun 6,9 Prozent. Bei der Sockelarbeitslosigkeit (also der strukturell bedingten Langzeitarbeitslosigkeit) wird gar ein Rückgang um geradezu unglaublichen 1,5 bis 3 Prozent festgestellt.
Auch wenn man anfügen müsste, dass neben der Agenda gerade auch die moderaten Lohnabschlüsse dieser Jahre das deutsche Job- und Exportwunder mit ermöglicht haben, so ist natürlich schon festzuhalten, dass Schröders Reformen den deutschen Arbeitsmarkt deutlich durchlässiger und anpassungsfähiger machten. Während in fast allen anderen, westlichen Industrienationen die Arbeitslosigkeit stieg, ging sie in der Bundesrepublik zurück. Doch trotz dieser Erfolge beklagt der linke Flügel der SPD die - ihrer Meinung nach - Schattenseiten der Agenda 2010 und meint damit die wachsende soziale Ungleichheit und die zunehmenden prekären Arbeitsverhältnisse. Alleine die Zahlen bestätigen das nicht.
Während die Arbeitslosigkeit und die Zahl der Menschen in Grundsicherung rückläufig sind, ist nämlich auch die Einkommensungleichheit etwas geringer geworden, wie man etwa am Gini-Koeffizienten sehen kann. Und auch die Aufregung über immer mehr "atypische" Beschäftigung scheint überzogen, schließlich stellen jene für viele eine willkommene Möglichkeit dar an einen Job überhaupt erst zu kommen. Außerdem entstanden seit 2005 über eine Million neuer Vollzeitarbeitsplätze.
Wenn man aus der Geschichte der Agenda 2010 also etwas lernen kann, dann vielleicht, dass sie nicht ausreicht um sich nun, zehn Jahre danach, auf ihren Lorbeeren auszuruhen.
Es wäre also schon wieder an der Zeit auf Schröder zu hören und über eine neue Agenda nachzudenken, anstatt wie viele Linke zu glauben, mit neuen Fesseln und Regulierungen für den Arbeitsmarkt das Rad einer globalisierten Wirtschaft national zurückdrehen zu können.
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