Erstellt am: 16. 3. 2013 - 08:50 Uhr
Sterben Wegziehen Wiederkehren
Avant-Verlag
Zeina Abirached wurde 1981 in Beirut geboren - inmitten des Bürgerkriegs. Das Haus, in dem sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder lebte, stand direkt neben der Demarkationslinie, der "Green Line", die Beirut in den muslimischen Westen und den christlichen Osten teilte. Heckenschützen, Stacheldraht, Straßenblockaden und Angriffe waren Teil des Alltags. Trotzdem hätten sie manchmal ein ganz normales Leben führen können und sie habe eine glückliche Kindheit erlebt, erzählt Zeina im Interview. Ihre Eltern und die Nachbarn hätten sie beschützt und als Kind habe sie sich den Gegebenheiten angepasst, sie kannte nichts anderes.
Verschämt lachend erinnert sie sich, wie sie nach Luftangriffen im Hof spielen durfte und ihr kleiner Bruder Splitter von Munitionen gesammelt habe. Die seien mit ihren unterschiedliche Farben und Formen interessant gewesen.
Was in ihrem Kriegsalltag alles merkwürdig war, sei ihr erst nach Kriegsende aufgefallen. Etwa, als sie das erste Mal mit fließendem Wasser duschen konnte.
Zeina Abirached/Avant Verlag
Generell wird über die Zeit im Krieg geschwiegen. Auch heute noch sei das so. Sie habe ihrer Großmutter oft Fragen gestellt, die alle unbeantwortet blieben. Und doch war es die Großmutter, die den Ausschlag für die autobiographische Geschichte "Das Spiel der Schwalben" gab. Zeina sei zufällig im Internet auf eine Dokumentation eines französischen Senders über den libanesischen Bürgerkrieg gestoßen. Darin kamen auch etliche EinwohnerInnen zu Wort, auch die Großmutter von Zeina. Die Großmutter konnte sich gar nicht mehr an das Interview erinnern, für die Enkelin war hingegen klar, dass sie ihren Familienalltag erzählen wollte. Dass sie unbedingt an die Dinge erinnern wollte, die den besonderen Alltag ausmachten und die ihr erst im Nachhinein als solche auffielen.
1984 sagte die Großmutter in die Kamera: "Auf jeden Fall, zumindest glaube ich, dass wir hier trotz allem vielleicht mehr oder weniger in Sicherheit sind."
Diesen Satz zitiert Zeina auf Seite 17 und siedelt das Geschehen auch 1984 an.
Zeina Abirached/Avant Verlag
Erzählt werden nur wenige Stunden - vom späten Nachmittag bis in die Nacht. Zeina und ihr kleinerer Bruder sind daheim - eine ältere Nachbarin passt auf die Kinder auf, bis die Eltern von einem kurzen Besuch bei der Großmutter zurück sind. Aber es kommt zu Angriffen - die Rückkehr zögert sich hinaus und die Nervosität steigt. Währenddessen versammeln sich immer mehr Nachbarn in der Diele der Wohnung, dem sichersten Ort im ganzen Haus. Jeder von ihnen hat die ihm eigene Rolle - einer ist für die Unterhaltung zuständig, ein anderer kümmert sich um Gas und Wasser. Der eine bringt Getränke mit und ein anderer Salat - noch dazu gewaschenen.
Das sei ein besonderes und seltenes Geschenk gewesen, erzählt Zeina. Die starke Solidarität der Nachbarn sei ihr in guter Erinnerung geblieben.
Nachbarn und die Familie haben ihr bei der Recherche geholfen - der erzählte Abend ist nicht genau so passiert, sie wäre damals ja erst drei Jahre alt gewesen. Aber der Abend kann als Konzentrat des Alltags verstanden werden.
Zeina Abirached
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Marjan Satrapi - Copy Paste
Zeina zeichnet schwarz-weiß und kopiert verschiedene Motive häufig in ihrer Geschichte. Mitunter zieht sich so ein und dasselbe Motiv über mehrere Seiten, häufig mit minimalen Änderungen. Nicht immer kann das als Stilelement verstanden werden.
Mit ihrem Stil erinnert Zeina sehr stark an Marjan Satrapi, die in der Graphic Novel "Persepolis", die von ihrer Kindheit im Iran und der islamischen Revolution erzählt.
Beide zeichnen ähnliche Ornamente und auch die Figuren - gerade die erwachsenen Frauen - scheinen optisch verwandt.
Die Ähnlichkeit sei ein großer Zufall, erklärt Zeina. Sie habe Persepolis nicht gekannt, als sie in Frankreich einen Verlag für ihren Comic suchte. Alle Verleger hätten sie dann auf die Ähnlichkeit mit Persepolis angesprochen.
Sie habe aber schon als Kind viele Comics gelesen. Es gab eine Buchhandlung in Beirut, die belgische und französische Arbeiten und auch welche vom österreichischen Zeichner Nicolas Mahler im Angebot hatte. Eigentlich kaum vorstellbar, dass dieser Laden dann ausgerechnet die mehrfach ausgezeichneten Arbeiten von Marjan Satrapis nicht im Programm hatte,... Wie auch immer.
Zeina erklärt sich die visuelle Verwandtschaft mit Satrapis vielmehr durch den französischen Zeichner David B. Dieser habe nicht nur sie sehr stark beeinflusst, sondern auch Satrapis, hat er doch das Vorwort zu Persepolis geschrieben. Im Iran oder im Libanon haben Comica keine lange Tradition und man müsse sich seine Vorbilder daher im Westen suchen. David B. hingegen holt sich seine Inspiration aus dem Arabischen, Persischen und Indischen Raum. So schließe sich der Kreis.
Es gibt eine französische Schulversion von "Das Spiel der Schwalben". Mit dieser würden wenigstens einige Kinder an den Krieg erinnert. Denn nach wie vor gäbe es keine Aufarbeitung, nicht einmal genaue Zahlen von Opfern oder Vermissten würden existieren, von Denkmälern ganz zu schweigen
Mit Zeina Abirached kommt jedenfalls eine interessante neue Geschichtenerzählerin in die deutschsprachige Comiclandschaft.