Erstellt am: 15. 3. 2013 - 17:02 Uhr
Eine kleine R’n’B-Geschichte
Saints And Villains
Vor allem unter außeramerikanischen Musikauskennern galt R’n‘B lange Zeit als weggelegtes Kind des Soul oder die etwas zu süße Schwester des Hip Hop. Der Vorwurf von Kritikern in den USA wog schwerer: Zeitgenössischer R’n’B wäre die Pop gewordene Anbiederung schwarzer Musiktradition an den weißen Mainstream-Geschmack, hieß es vor allem in den achtziger Jahren. So musste sich etwa die posthum zur afroamerikanischen Popikone erklärte Whitney Houston als „Whitey“ Houston beschimpfen und bei der Verleihung der Soul-Train-Awards ausbuhen lassen.
Stichwort Houston: Warum der contemporary R’n‘B vielen Musikgourmets als zu cheesy galt, hatte vor allem mit so aaglatten Einschleimer-Typen wie dem singenden Schmalspur-Casanova Bobby Brown zu tun. Brown hatte die Pop-Diva geehelicht und anschließend – wie viele meinen – in den Ruin getrieben. Das süße Säuseln und schlechte Benehmen ist dem R’n’B bis heute treu geblieben – nur die Namen der Protagonisten lauten jetzt Chris Brown und Rihanna.
MCA
Dabei legte der moderne R’n‘B 1982 mit Marvin Gayes Befruchtungsklassiker „Sexual Healing“ einen potenten Start hin. In den 90ern kam es schließlich zu Höhepunkten künstlerischer Natur. Hip Hop rulte und es setzte ein Crossover ein, der neben vielen Schandtaten (R.Kelly) viele großartige R’n’B-Songs hervorbrachte (R.Kelly). Frauen, bisher in die Rolle der Verlassenen oder Verpönten gedrängt, traten nun selbstbewusster auf - allen voran die viel zu früh in den R’n’B-Himmel entfahrene Aaliyah, die mit Missy Elliot und Timbaland kongeniale Partner in Sachen Songwriting und Produktion zur Seite hatte. Dann waren da auch noch Destiny’s Child mit einer gewissen Beyoncé Knowles an einem der drei Mikrophone. Letztere hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den R’n’B künstlerisch zu rehabilitieren. Der aus Texas stammende Star ist damit ziemlich weit gekommen. Spätestens seit dem furiosen Auftritt beim letzten Superbowl gilt Beyoncé in den Staaten als uneingeschränkte Queen of Pop.
Künstlerische Höhenflüge 1998 - Aaliyah
Nu Generation & Autre Ne Veut
Und nun haben wir es mit einer neuen Generation von R’n‘B-Musikern zu tun. Frank Ocean, Miguel und Drake, Beyonce’s junge Schwester Solange (Knowles), Janelle Monáe, aber auch viele Bewohner des globalen Dorfes Hipsterhausen machen derzeit aus Käse Gold und suchen mit neuen künstlerischen Ansätzen ihren Platz in einer fragmentierten Popwelt. Einer von ihnen ist Arthur Ashin aka Autre Ne Veut aus Brooklyn, der soeben auf dem Label des Elektronik-Wiz Daniel Lopatin sein zweites, äußerst gelungenes Album „Anxiety“ veröffentlich hat. Das Label heißt Software und ist in einem großzügigen Studio/Office-Komplex in Greenpoint, BK untergebracht. Und genau dort habe ich Arthur zum R’n’B-Talk getroffen:
Christian Lehner
Wie bist du zum R’n’B gekommen?
Ich bin ein Kind der 90er. Da war der Sound einfach big. Ich hörte aber auch Nirvana, Pavement, Sonic Youth und all den Alternative-Rock der Zeit. Meine erste Band war eine Punk Band. Ich habe aber auch im Schulchor gesungen. Du siehst, ich hab’s mit Widersprüchen. Die Liebe zum R’n’B hat bei mir jedenfalls nie nachgelassen und sie ist auch ziemlich hardcore. Noch heute rollen meine Freunde mit den Augen, wenn ich mit Bobby-Brown- oder Boys-II-Men-Platten antanze.
Vom Punk ging es aber nicht direkt zum Pop, wie man deiner Bio entnehmen kann
Stimmt. Im College habe ich mich zunächst mit Musiktheorie beschäftigt. Christoph Cox vom Wire Magazine und Daniel Warner waren meine Lehrer. Ich war total angefixt. In meinem Kopf tobte der Sounddiskurs. Atonale Musik, Drones, Elektroakustik und das nächtelange Nachdenken über Musik haben mein Leben bestimmt. Die ersten Gehversuche als Produzent und Brian-Eno-Nacheiferer scheiterten aber kläglich. Ich habe realisiert, dass ich das gar nicht machen will. So habe ich wieder zurück zum Pop gefunden. Das war um 2005 herum.
Wie war dieser Weg zurück zur ungefilterten Emotion?
Sich von der Theorie frei machen, fällt tatsächlich schwer. Aber ich musste da durch. Meine Musik handelt auch von diesem Konflikt zwischen Kopf und Herz, dem alles Zerdenken und einfach Loslassen-können. Ich meine damit gar nicht so sehr die Lyrcis sondern vielmehr die Musik und ihre Struktur. Hilfreich waren auf alle Fälle die langen Gespräche und Sessions mit Dan Lopatin (Oneothrix Point Never), der auch am Album dabei ist.
R’n’B ist wieder dick da. Was den experimentellen Ansatz angeht, warst du 2010 mit deinem Debütalbum schon relativ früh dran. Und jetzt erneuert sich das Genre auch von innen, wird ambivalenter bis hin zur Sexualität.
Es ist schon interessant, dass meine Musik jetzt gar nicht so anders klingt, als zum Beispiel die Platten der jungen R&B-Stars Frank Ocean und Miquel oder von How To Dress Well, der mir künstlerisch näher steht. Wir alle haben wahrscheinlich aus anderen Gründen begonnen, mit dem Genre zu experimentieren und unsere Lebensumstände sind total unterschiedlich. Und doch treffen wir in diesem speziellen Moment anscheinend den gleichen Ton.
Früher hätte man von einem Trend oder von Zeitgeist gesprochen. Heute scheint es ja fast so, als gäbe es alles gleichzeitig und überall und der digitale Zufall führt Regie in der Auswahl der Hypes.
Aber das ist in gewisser Weise auch eine Generationsfrage. Für mich persönlich hat sich der Umbruch von Pop vor ungefähr acht bis zehn Jahren abgezeichnet, als Bands wie das Animal Collective oder TV On The Radio aufgetaucht sind. Diese Formationen haben die unterschiedlichsten Ansätze – Rock, Post-Punk oder Weltmusik – mit Pop zusammengeschlossen und damit auch die Indie-Welt auf den Kopf gestellt. Das war ein völlig neuer konzeptueller Ansatz der sich beliebig weiterdrehen lässt. Es war also bloß eine Frage der Zeit, bis sich irgendwelche Kids auf diese Art und Weise an R’n’B und Soul heranmachen würden. So zufällig ist diese Entwicklung also gar nicht.
software
R’n’B ist das melodramatische Fach des Pop. Die Musik stellt sich völlig in den Dienst der großen Gesten und Gefühle. Was interessiert dich denn als Künstler an diesem opulenten Genre?
Mich faszinieren diese übergroßen Motive des R’n‘B - das Begehren, das Schmachten, der Verlust, die Verzweiflung. Ich versuche, diese Blöcke ineinander zu verschieben. Du hast das Wort Genre verwendet. R’n’B ist üblicherweise pures Genre mit strikten Konventionen. Ich spiele mit diesen Klischees. Eine Liebesgeschichte wird nicht auf die übliche Weise erzählt, sondern im Form von Neurosen. Oder der Song „Counting“. Vordergründig erzählt der Text von Liebe und Verlustängsten. Natürlich denkt man da im Pop- und R’n’B-Kontext zunächst an die Freundin oder den Freund. Dabei richtet sich der Text an meine 90jährige Großmutter. Seit das bekannt ist, werde ich immer zu ihrem Gesundheitszustand befragt. Es geht ihr gottseidank noch sehr gut.
Auffällig ist, dass deine Synth-Sounds und Beats aus dem Reservoir der achtziger Jahre schöpfen, sich aber eher bei der unterkühlten Schule des britischen Elektropop wie Yazoo oder The Catch bedienen als bei den amerikanischen R’n’B- und New-Jack-Swing-Poppern der Dekade.
Meine Mutter war ein Fan von Peter Gabriel und Phil Collins, das prägt (lacht)! Ich wollte eigentlich irgendwo zwischen Timbaland und Dr. Luke landen. Das ist nun daraus geworden.
Die Stimme steht im Zentrum von R’n’B. Dabei habe ich oft den Eindruck, dass es vielen Sängern und Sängerinnen mehr um Gesangsathletik als Empfindung geht. Das merkt man auch bei den vielen Casting-Shows. Da wird drauflosgeknödelt und das Timbre strapaziert, dass die Farbe von den Wänden bröckelt. Bei dir klingt das hingegen so leicht und unangestrengt.
Ich habe bereits als Kind Gesangsunterricht genommen. Was bei R’n‘B und Soul fasziniert, ist das Sich-Hingeben. Es klingt so einfach, so natürlich, ist aber extrem schwierig. Das ist das Geheimnis einer Patti LaBelle: Ohne jahrelanges, formales Training und eine gewisse Disziplin funktioniert das einfach nicht. Die Kunst ist, loslassen zu können, aber dennoch die Kontrolle zu behalten. Dabei geht es gar nicht so sehr um Perfektion. Du musst die Emotion und ihre Nuancen treffen, Schwingungen abrufen, die tief aus deiner Empfindung entspringen. Darauf kommt es an - egal ob im Punk oder R’n’B. Auch im Punk reicht es nicht, einfach möglichst laut zu schreien.
software
Du hast Psychologie studiert, hast dich auch schon mal in Therapie begeben, dein Album heißt „Anxiety“. Man könnte meinen, du bist der Dr. Freud des R’n’B.
„Anxiety“ ist ein weitläufiger Begriff. Im Grunde genommen geht es um Alltagsängste, Angst vor Verlust der Liebe, aber auch Angst davor, sich in bestimmten Momenten unter Menschen zu begeben. Ich hatte zunächst Edvard Munchs Bild „Der Schrei“ am Cover, weil es der expressivste und bekannteste Moment von „Anxiety“ ist. Auch einer der wertvollsten. Der Kapitalismus gibt ihm einen Rahmen, der auch am Cover zu sehen ist. Wir haben dann aber rausgefunden, dass das Urheberrecht auf das Werk in Norwegen noch zwei Jahre läuft. Dem Label wurde das zu heiß. Wir haben das Bild wieder aus dem Rahmen genommen. Das hat ja auch ein gewisse Symbolik. Jetzt klebt auf den CDs ein schwarzer Sticker. Falls er abgeht, kommt „Der Schrei“ wieder zum Vorschein.
R’n’B gilt auch als Sexmusik. Die Wortspiele drehen sich häufig um Verführung – mal witzig, mal verklausuliert, meistens aber ziemlich unmissverständlich und direkt.
Ein Freund hat mir erzählt, dass er früher „Freak Me Baby“ von Silk aufgelegt hat, wenn er ein Mädchen verführen wollte. Ich konnte das einfach nicht glauben. Sexmusik hat doch viel mehr mit Masturbation gemein. Sie ist für die Fantasie da, für die Vorstellung. Sex-Jams funktionieren wie innere Monologe. Sie adressieren zwar ein Gegenüber, sprechen aber doch bloß zu sich selbst. Es ist eine Wunschvorstellung: "Ich will dich! Wir werden das und jenes miteinander machen. Du wirst es lieben usw." Aber bitte, wenn zu meiner Platte Babies gemacht werden, lege ich natürlich keinen Einspruch ein.