Erstellt am: 15. 3. 2013 - 11:15 Uhr
Kinder im Knast
"I’m here for manslaughter. I did two years and then went home, but did a curfew violation or something. Been back here for four months. My mother comes every Sunday and braids my hair. My Father is still in Africa. It’s really boring here. Really boring. Boring. Boring. Boring."
Richard Ross
Das erzählt ein 18-jähriger Teenager, der lieber anonym bleiben will und sich B.F. nennt. Momentan sitzt er in Jugendgewahrsam in einem Youth Custody Services Center in den U.S.A. "Jugendgewahrsam" - auch nur ein schöneres Wort für "Gefängnis".
Richard Ross
Während andere Kids draußen Parties feiern, mit anderen anbandeln, irgendwo in einer Shopping Mall abhängen, sitzt er hier und wartet. Ja, worauf eigentlich? Sein Alltag ist geprägt von Langeweile und außer den paar Stunden Pflichtschuluntericht gibt es hier nicht viel zu tun. Manch einer oder eine ist noch gar nicht verurteilt und wartet überhaupt erst auf einen Prozess. Und auch das kann manchmal bis zu fünf Jahre dauern.
Über 70.000 Kinder und Jugendliche sitzen in den U.S.A. jeden Tag in Gewahrsam. Manche nur ein paar Tage, manche ein paar Wochen oder ein paar Monate. Und andere sitzen ihre gesamte Kindheit und Jugend im Gefängnis ab.
Richard Ross
Richard Ross ist Fotograf und lebt in Santa Barbara, Kalifornien.
Er hat für den World Monuments Fund, Canadian Center for Architecture, Nike, The New York Times, Los Angeles Times, San Francisco Examiner, Vogue, Esquire, la Repubblica, Le Monde, COLORS Magazine, Courrier, und viele andere fotografiert. Er ist auch Professor an der University of California, Santa Barbara, wo er seit 1977 lehrt.
Der Amerikanische Fotograf Richard Ross hat sich mit seiner Kamera in die Jugendgefängnisse begeben, mit den Kids gesprochen und sie anschließend, wenn sie damit einverstanden waren, fotografiert.
Juvenile in Justice nennt sich seine Serie, in der er die Unterbringung und Betreuung von amerikanischen Jugendlichen in Einrichtungen, in denen sie eingesperrt und bestraft werden, dokumentiert hat. Richard Ross hat insgesamt sieben Jahre und viel Mühe investiert, in der Hoffnung eine Reform der amerikanischen Gesetzgebung einzuleiten - und natürlich um den jungen Insassen eine Stimme zu geben. In keinem anderen Land werden so viele Jugendliche eingesperrt. In 22 Staaten in den U.S.A. kann das schon einem Siebenjährigen passieren. Dementsprechend verstört waren viele Kids auch, die Richard Ross getroffen hat. Und es war nicht immer einfach ihr Vertrauen zu gewinnen, wie er im Interview erzählt:
"Each time I go into a cell I knock on the door. I ask permission of the child if I could come in. I take my shoes off before I go into the cell. And I sit on the floor. And the child sits above me and can cut off the conversation at any point. And I talk to the kid for about an hour or more. And I ask them to help me to figure out how to make an image of them without their face showing, so they can never be harmed by the photograph if they get out of jail."
Richard Ross
Angeblich war es nicht so schwer Zutritt zu den Anstalten zu bekommen. Manchmal reicht es eben einfach höflich zu fragen, meint der Fotograf. Und natürlich galt es diverse Auflagen zu erfüllen, dass hier niemandem Schaden zugefügt wird.
Über 250 Einrichtungen in 30 Staaten der U.S.A. hat er sich mit eigenen Augen von innen angesehen. Und mehr als 1.000 Jugendliche und Angestellte getroffen und mit ihnen Interviews geführt. Herausgekommen sind beeindruckende Porträts junger Häftlinge, die vor allem viele Fragen aufwerfen. Denn auch wenn die Bilder ästhetisch gelungen sind, die Schönheit der Fotos steht hier natürlich nicht im Vordergrund, sondern vor allem die Kritik am Amerikanischen Rechtssystem.
Richard Ross
Denn was kann ein 10-Jähriges Mädchen bitteschön schlimmes angestellt haben, dass man es ins Gefängnis stecken muss? Und was soll es bringen, einen 13-Jährigen gewalttätigen Jungen aus dysfunktionalen Familienverhältnissen jahrelang hinter Gittern zu sperren, um ihn in einer sogenannten "Besserungsanstalt" auf die Gesellschaft "da draußen" vorzubereiten?
Dass kaum eines der Kinder "da draußen" eine bessere Kindheit hatte, versteht sich von selbst. Erschreckend, was Richard Ross erzählt:
Denn wenn ein Kind von Zuhause wegläuft, weil es die Zustände nicht mehr aushält, out of control ist, dann landet es in den U.S.A. eben auch in Jugendgewahrsam. Es hat also die Wahl zwischen Gefängnis oder Wahnsinnig werden:
"I was at Maryvale, which is in Los Angeles. And there were 88 girls there. And there I asked the director what percentage of the girls have been abused. And his response was: "What percentage? All of them. Every one of them, all 88 girls here. They have all been either emotionally, physically or sexually been abused."
Richard Ross
Es braucht eben nicht viel, um in Amerika als Kind im Gefängnis zu landen. Anderswo würde man vielleicht Hausarrest bekommen, im schlimmsten Fall von der Schule geschmissen werden. Nicht so in Kansas, wie der 12-jährige N.R. Richard Ross bei den Aufnahmen erzählt hat:
"A kid was calling my mom bad names. I punched him and left school and started beating up a car. Cops came for me and I wouldn’t put on my seat belt when they put me in their car. So that was another violation. I told them I didn’t want to come here ... but here I am. I’ve been here a week and have a week to go. I’m “sanctioned” for two weeks."
Wann, Wie, Was, Wo?
Die Bilder und zugehörigen Interviews kann man sich in der Ausstellung "Juvenile in Justice" ansehen. Die Ausstellung läuft vom 15. März bis 30. April in der Anzenberger Gallery in Wien. Der großartige Fotoband zur Serie ist dort ebenfalls erhältlich.
Richard Ross verbindet seine Ausstellungen immer auch mit ausgedehnten Vorträge, denn mit ein paar Bildern ist es nicht getan. Heute kann man seinen Erfahrungen, die er während der Aufnahmen gesammelt hat auch persönlich lauschen. Am besten hinschauen:
Lecture by Richard Ross: Freitag, 15. März, 19 Uhr, in der Anzenberger Gallery. Das ist in den renovierten Räumen der ehemaligen Ankerbrotfabrik, übrigens ein großartiger Ort mit vielen neuen Galerien und viel Platz für Fotografie.