Erstellt am: 14. 3. 2013 - 14:55 Uhr
Lustig ist es, wenn es wehtut
Dieser Mann bedarf hier wohl keiner näheren Vorstellung mehr. Wer noch immer nicht vielfältigste und euphorische Assoziationen hat, wenn der Name Judd Apatow fällt, lebt hinter dem (Kino-)Mond. Oder geht zum Lachen in den Keller. Oder fühlt sich so sicher und selbstbestimmt in seiner Haut, dass sie oder er nur kopfschüttelnd auf die jämmerliche Welt der dahinschlitternden Existenzen hinabblickt, die der Produzent und Regisseur in seinen Filmen portraitiert.
Wir Wissenden, wir Mitleidenden, wir Mitlachenden verehren den mittlerweile 45-jährigen New Yorker als kleinen Comedy-Guru, als großen Verknüpfer von Derbheit und Intelligenz, Infantilität und Humanismus, als Förderer und Fädenzieher hinter den Karrieren von Typen wie Ben Stiller, Will Ferrell, Seth Rogen, Jason Segel, Jonah Hill, aber auch der „Girls“-Erfinderin Lena Dunham.
Vor allem ist Judd Apatow aber so etwas wie der Woody Allen der Mittelklasse. Während die früheren Meisterwerke des genialen Mr. Konigsberg allesamt in Kreisen der New Yorker Boheme spielten, in hitzigen Diskussionsrunden und nicht gemachten Betten verhuschter Lebenskünstler und Intellektuellen, siedelt Apatow seine Produktionen überwiegend im fadesten Milieu des Planeten an. Dort wo die heterosexuellen Paare und entfremdeten Einzelgänger der weißen Mittelschicht hausen.
UPI
Der Reaktorkern des Mittelklasse-Kinos
Ich kenne Menschen, die sich jetzt schon wegdrehen und die beim Gedanken an diese Umgebung das blanke Grauen erfasst, aber hey: Verdammt viele Leute wohnen in der als brav und bieder verschrieenen Zone. Inklusive dem Schreiber dieser Zeilen.
Judd steht für die personifizierte Mittelschicht. Er ist einer von uns. Er versteht unseren Drang nach Credibility, unsere bohrenden Zweifel, unsere Ausbruchsversuche und Tarnungen. Und er stellt sich filmisch den Problemen der Mittelklasseabkömmlinge sämtlicher Generationen. In TV-Serien wie „Freaks and Geeks“ oder „Girls“, die seinen Produktionsstempel tragen, werden ebenso wie in „Knocked Up“ oder „Superbad“ die Schrecken (unter-)durchschnittlicher Jugendlicher aufgearbeitet.
In „The 40 Year Old Virgin“ und dem Comedy-Meisterwerk „Bridesmaids“ untersucht Apatow auf kompromisslose Weise den Gefühlshaushalt von Männern und Frauen, die bei der sozialdarwinistischen Partnersuche der Gegenwart noch nicht erfolgreich waren.
Jetzt nähert sich Judd Apatow, nach dem wohligen Weltekel seiner unterschätztesten und für mich besten Regiearbeit „Funny People“, dem radioaktiv verseuchten Reaktorkern des Mittelklassekinos an. „This is 40“, der den eher ziemlich unnötigen deutschen Verleihtitel „Immer Ärger mit 40“ trägt, erzählt von einem Ehepaar mit Kindern, dass zirka zeitgleich auf den besonders gefürchteten runden Geburtstag zusteuert.
UPI
Im Fegefeuerfeuer der Midlifecrisis
Debbie (Leslie Mann) und Pete (Paul Rudd) sind nur bedingt in Partylaune. Sie erzählt allen, dass sie in Wirklichkeit erst 38 ist, er verzieht sich auffällig oft alleine aufs Klo. „This is 40“ beschenkt das Paar und uns Kinogänger mit einem bunten Reigen an Situationen, die wirken, als hätte Michel Houellebecq seine erste Sitcom geschrieben.
Hechelnde Fremdgehfantasien, peinigende Sexualängste oder gleich gar kein Sex sind ebenso an der Tagesordnung wie Heißhungerattacken und Fitness-Torturen. Unerziehbare Kinder in der Hölle der Pubertät schlagen den Protagonisten ebenso auf den Magen wie schmarotzende Eltern in der Hölle der Pensionierung. Den Untergang der Musikindustrie verdrängt der Indielabelbetreiber Pete ebenso wie die überfälligen Kreditraten für das Haus. Die finanzielle Krise verschmilzt mit der Kommunikationskrise und der Körperkrise zu einer milden Depression.
Natürlich zeigt „This is 40“ die Probleme gesettelter westlicher Durchschnittsbürger. Aber wer das dem Film massiv zum Vorwurf macht, weint beim weggeworfenen Pausenbrot der eigenen Kinder auch gleich Tränen für die Hungernden in Indien mit. Oder geißelt sich selbst, weil er noch immer nicht als Erntehelfer in der dritten Welt arbeitet. Unzynischer formuliert: Können satte Mittelschichtstypen nicht auch im Fegefeuer schmoren und wenn es auch nur jenes der Midlifecrisis ist?
UPI
Verblödelte Ernsthaftigkeit
Nicht auszudenken, denke ich mir wieder mal mitten im Film, wenn ein deutscher Regisseur dieses Thema verfilmt hätte, vielleicht sogar mit Til Schweiger. Bei Judd Apatow geht es jedenfalls um viel mehr als die üblichen Krisenklischees, die jedes blöde Frauen- oder Männermagazin durchkaut. Es geht um Ansätze von Aufrichtigkeit.
Nur wenige Regisseure wie David O. Russell oder auf andere Weise auch Wes Anderson nehmen ihre verblödelten Charaktere derzeit so ernst wie Apatow. Niemand blickt so tief in die Abgründe, die hinter vollgestopften Kühlschränken, properen Ikea-Küchen oder kuschelig eingerichteten Schlafzimmern aufklaffen. Der Humor in „This is 40“ beginnt, wie in „Bridesmaids“ oder „Knocked Up“, erst dort wo es weh tut, peinlich und armselig wird.
Gleichzeitig liebt Judd Apatow seine ständig stolpernden Figuren. Kein Wunder, spielt doch seine Ehefrau Leslie Mann an der Seite des wieder einmal großartigen Paul Rudd die Hauptrolle. Die gemeinsamen Töchter Maude und Iris sind ebenfalls mit herrlich hysterischen Auftritten mit von der Partie. It’s a family affair. Autobiografische Bezüge des Regisseurs sind nicht zwingend, aber naheliegend.
UPI
Monumentalepos des Scheiterns
Erwartungsgemäß dürfen auch etliche Mitglieder der Apatow-Gang in kleinen Auftritten brillieren, von Stammkomödiant Jason Segel, der köstlichen Charlyne Yi, dem charmanten Chris O’Dowd bis zur Naturgewalt Melissa McCarthy, die den Film zur immensen Freude kurzfristig völlig vereinnahmt (und auch den Nachspann kapert, unbedingt sitzen bleiben).
Der große Albert Brooks, ein Idol des Regisseurs Judd Apatow, oszilliert als Petes parasitärer Vater zwischen bitterbösen Pointen und einer emotionalen Tristesse, die man in vielen ernsthaften Indiestreifen vergeblich sucht. Sogar Megan Fox, falls sich an die noch wer erinnert, lässt Selbstironie und Humor aufblitzen.
Ein Interview mit Hauptdarsteller und US-Oberkomödiant Paul Rudd folgt demnächst hier in diesem Theater.
„This is 40“ lockt nach außen mit der gefälligen Oberfläche des Mainstreamkinos, erlaubt sich aber gleichzeitig den Verzicht auf einen normierten narrativen Überbau. Der Film mäandert stattdessen von Szene zu Szene, steht zu seinen filmischen Löchern und Durchhängern. Ein Monumentalepos des durchschnittlichen Scheiterns, einer der lustigsten und warmherzigsten und deprimierendsten Filme in diesem Frühjahr. Auf Onkel Apatow ist Verlass.