Erstellt am: 14. 3. 2013 - 10:45 Uhr
Die faszinierende Fanni und die Film-Förderung
Das Festival des österreichischen Films in Graz dauert noch bis Sonntag, 17. März.
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Eine der interessantesten Begegnung der diesjährigen Diagonale tut sich heute auf: Fanni sollte man nicht verpassen. Diese Frau gibt einem zu denken. Bald jedoch schaut man ihr nur noch fasziniert zu. Fanni bewegt sich in der gehobenen Gesellschaft, eröffnet Geschäftspartnerinnen gewinnversprechende Investitionsoptionen zum Mittagessen und probiert neue Kollektionen in Designerboutiquen an. Letztere verlässt sie in einem neuen Mantel, selbstverständlich ohne zu bezahlen, und hinterlässt ihre alte Jacke in der Umkleide. Das Display des Bankomaten sagt: Derzeit keine Behebung möglich. Fanni trainiert Karate und presst die Hände bei jeder Rumpfbeuge fester gegen ihren Kopf.
Fanni ist die Hauptfigur in Daniel Hoesls Langspielfilmdebüt "Soldate Jeannette" und ein weiblicher Byronic Hero. So eine ist einem im österreichischen Spielfilm bislang noch nicht untergekommen. Es ist ein Spaß mit und dank Fanni, unwillkürlich. Mit einer Selbstverständlichkeit, die lässiger ist, als man sich eingestehen will, begeht Fanni allerlei, für das unser Recht Fachtermini kennt.
Die Realität scheint für andere zu existieren. Auf unangenehme Nachfragen reagiert Fanni empört: "Ich bitt' dich". Ohne Ausrufezeichen, einfach als Feststellung. Denn während Fannis Welt wie ein Kartenhaus einstürzt, weil ihr das Geld wohl schon vor langer Zeit ausging, marschiert sie durch den Tag, als würde ihr Schlüssel die Türe zu ihrer Wohnung weiterhin öffnen.
Formal streng mit einer - bis auf wenige Szenen - starren Kamera von Gerald Kerkletz, erzählt Regisseur Daniel Hoesl die Geschichte eines zweifachen Befreiungsschlags vielfach in Details. Die Kette im Nacken, die Stimme zur Trägerin nur im Off etwa, dazu nur minimale Dialoge, die sowas von sitzen.
The European Film Conspiracy 2012
Freiheit oder Flucht, das ist hier die Frage
Johanna Orsini-Rosenberg, die man bis auf "Mahler auf der Couch" noch nicht im Kino gesehen hat, brilliert in der Darstellung der Fanni. Die Lust an dem Irrsinn, den Fanni wie mit Verve betreibt und dabei doch eine Getriebene ist, hält bis zum finalen Showdown an. Und der gestaltet sich leise.
Zwei Welten, Stadt und Land, treffen mit der Begegnung der Mittvierzigerin Fanni und einer Magd, Anna (Ende Zwanzig und gespielt von Christina Reichsthaler), aufeinander. Wie die Stimmung der einen die andere in Bewegung setzt, ist Filmkunst. Welch spannender Schauplatz eine moderne Landwirtschaft sein kann, führt "Soldate Jeannette" darüberhinaus auch vor Augen. Die Milchglastüre zur Stub'n, die dampfende Gülle und der Heukran! Das Töten und vor allem das anschließende Zerlegen einer Kuh ist Schwerarbeit, der Gesichtsausdruck der Magd spricht Bände. "Soldate Jeannette" ist ein Hit.
The European Film Conspiracy 2012
"Weil ich schnell produzieren will"
Und diesen Hit hat Daniel Hoesl gemeinsam mit dem Kameramann Gerald Kerkletz (der bereits mit Regisseur und Schriftsteller Klaus Händl den Spielfilm "März" unter ähnlichen Bedingungen binnen weniger Wochen mit kleinstem Team und drei Dutzend Laien/SchauspielerInnen drehte) und Katharina Posch produziert - mit einem Budget von 65.000 Euro für 25 Drehtage binnen sechs Wochen.
Gemeinsam sind Daniel Hoesl, Gerald Kerkletz und Katharina Posch die European Film Conspiracy. "Wir sind von der Filmförderung genötigt, so zu produzieren, weil ich schnell produzieren will", trotzte Hoesl vom Podium einer gestrigen Veranstaltung mit drei weiteren JungregisseurInnen und vielen Jugendlichen im Publikum. Es ging um Perspektiven für den Filmnachwuchs.
Sie seien zwar jung, aber alle über dreißig, wurde vom Podium aus vorausgeschickt. Die Jungregisseure haben interessante Frisuren, inhaltlich unangepasst gab sich aber nur einer. Richtig geraten: Daniel Hoesl.
The European Film Conspiracy
Für ihn habe es überhaupt kein Vertrauen gegeben, dass er diesen Film hätte machen können. "Glaubst du, Jean-Luc Godard hätte bei ScriptLab eingereicht? Oder Haneke oder Seidl?", fragte Hoesl, mehr rhetorisch am Podium.
Am Freitag wird auf der Diagonale ordentlich über die Filmförderung diskutiert werden: Zahlen, Fakten und Visionen liefert eine Recherche zu den Budgets sämtlicher heimischer Filmförderstellen in den letzten zehn Jahren.
Zu Hoesls Argumentation muss noch ein Name hinzugefügt werden und ein Verweis drängt sich auf: Christoph Schlingensief forderte eine Filmförderung für Deutschland, die das Experiment für junge Menschen zuließe, das öffentlich gemacht werden solle, damit man daran teilhaben könne - und nicht etwa Hollywood zu simulieren. Wunderbar festgehalten ist das in "Ich weiß, ich war's", das ein tolles Buch über die Liebe speziell zum Film ist: Junge Leute bräuchte es, "denen nicht von vornherein vorgeschrieben wird, was und wie sie es zu machen haben, die in sich selbst etwas Neues entdecken, neue Bilder, neue Gedanken, neue Fragestellungen". Denn: "Wie sollen denn sonst Visionen entstehen? Wo sollen denn sonst die Utopien herkommen, die wir doch nun wirklich dringend benötigen?"
Gerade die kleinen regionalen Förderstrukturen ermöglichten dies, hatte Schlingensief festgehalten.
Entwickeln, entwickeln, bis zum total politisch korrekten Charakter?
Kurz ging es in der Podiumsveranstaltung auch um die Verwertung österreichischer Filme, die keinen Kinostart schaffen. Vielleicht wäre das ja eine Möglichkeit, Werke on demand zugänglich zu machen?
Der 31jährige Daniel Hoesl studierte Multimedia-Art in Salzburg und zitiert mit Freude Regie-Großmeister zur Verstärkung seiner Meinung herbei. Die Filmförderung funktioniere für jene, die sich darauf einließen - bis die Charakterentwicklung der Figuren total politisch korrekt sei und auch noch der Fernsehredakteur des Nachbarlandes Gefallen an ihnen fände, sagt Hoesl: "Das kleinste Übel werde durchgewunken" in den Jurys und alles Innovative fiele heraus. Es ist eine Provokation. Allein, seine RegiekollegInnen bleiben stumm und seitens Fördergebern ist nur ein steirischer Mitarbeiter im Raum.
Just von der Steiermark hatte Hoesl 5.000 Euro für "Soldate Jeannette" bekommen, unterstützt wurde das Projekt "nur von der kleinen Filmförderung", bm:ukk Innovative Film Austria, und einigen Ländern, wie Hoesl bei der Podiumsveranstaltung betonte.
Andererseits habe er als Mitarbeiter von Ulrich Seidls Filmen auch von der Filmförderung profitiert, hält Hoesl fest. Aber ein gefördertes Werkstattprojekt für sein langes Erstlingswerk zu bekommen, das hätte Jahre gedauert. Unter "Werkstattprojekten" versteht man Erstlingsfilmvorhaben, die als Nachwuchs- und Innovationsprojekte gefördert werden, und bei denen der Kollektivvertrag für Filmschaffende sowie Kameraleute herabgesetzt werden kann. Dadurch sind die Gagen niedriger und die Produktion günstiger.
Hoesl hätte die Vorbereitung zuviel Zeit gekostet. Also sei ihm nichts anderes geblieben, als "das Schiff im Werner Herzogschen Sinn über die Berge zu schleppen".
The European Film Conspiracy 2012
Filmförderung? Bashing!
Richard Wilhelmer ist wieder auf der Diagonale vertreten, diesmal mit einer extraterrestrischen Invasion "U.F.O.s above Berlin 2 - Last Resistance". Der gebürtige Steirer, der an der Berliner Universität der Künste studiert, kümmert sich herrlich wenig um klassische Plots.
Ein neues Experiment hat auch Judith Zdesar zu bieten: In "Vakuum" stellt sie sich der Trauerarbeit und ihrem Großvater, der um seine Frau und ihre Oma trauert. Die Doku läuft morgen Freitag noch einmal. Schon in den tollen "Farben einer langen Nacht" von 2011 setzte sich Zdesar einer Extremsituation aus und testete die Reaktionen: Damals in einem Dorf in Grönland, in der lange währenden Dunkelheit.
Dass "Soldate Jeannette" zum renommierten Sundance Festival eingeladen und beim Filmfestival Rotterdam ausgezeichnet wurde, werte der Regisseur allerdings nicht als Genugtuung. "Erfolg war, als der Film fertig war. Alles andere ist eine Buchhalterfreude. Eine Genugtuung ist das nicht. Ich hoffe, es gibt den Anstoß, Förderinnovationen zu überlegen", so Hoesl.
Wie könnten diese Innovationen gestaltet werden? "Man muss mehr wagen, mehr Richtungen zulassen. Es darf nicht das Oder regieren, nicht 'entweder oder', sondern das 'und'", sagt Hoesl.
Endlich kommt Konter, und zwar aus dem Publikum. Ein junger Deutscher will von den JungregisseurInnen wissen: Ob sie denn, wenn sie ein unbegrenztes Budget zur Verfügung bekämen, einen Film machen könnten, der ihre künstlerische Integrität nicht verletzen, aber ein Massenpublikum erreichen würde? Und der junge Mann im Publikum setzt eines drauf: "Ich hab' das Gefühl, dass österreichische Filme so gemacht werden, dass ein Massenpublikum sie niemals anschauen könnte!" Es folgte zustimmender Zwischenbeifall.
Die Form, in die der österreichische Film seine Themen verpacke, sei sehr elitär. "Macht man Filme für Menschen oder für sich?", stellt der junge Mann die Gretchenfrage.
Es antwortet Jean-Luc Godard, zitiert von Daniel Hoesl: "Warum soll ich mich für ein Publikum interessieren, dass sich nicht für mich interessiert?"
Was sonst noch geschah
Peter Kern verkündete vor Beginn der Uraufführung seines Spielfilms "Diamantenfieber - Kauf dir lieber einen bunten Luftballon" den Namen des neuen Papstes. Im Kino hört man Kirchenglockenläuten ja nicht.
Georg Friedrich wird vermisst. Oder weniger drastisch ausgedrückt: Dies scheint die erste Diagonale seit langem ohne den Schauspieler zu sein. Philipp Hochmair hingegen ist zunehmend präsent: In "Der Glanz des Tages" von Tizza Covi und Rainer Frimmel sowie in Katharina Mücksteins Langspielfilmdebüt "Talea" ist er zu sehen. In "Talea" gibt es auch ein Wiedersehen mit Nina Proll als Haftentlassene, die nach dem Strafvollzug wieder mit ihrer Tochter konfrontiert wird. Die weiblichen Figuren sind in Bewegung: in minutenlangen Kamerafahrten und in ihrer Beziehung zueinander.
La Banda Film
Nach "Schlagerstar" ist die Vorfreude auf bzw. das Bedürfnis nach der ersten Diagonale Nightline heute sehr groß!
Die Doku begleitet den volkstümlichen Sänger Marc Pircher mit einer distanzierten Perspektive, Marco Antoniazzi und Gregor Stadlober stellen Pircher nicht eine einzige direkte Frage. Die Einblicke ins Schlager-Geschäft unterhalten. Kauft Pircher tatsächlich die für die Goldene Schallplatte erforderliche Anzahl an CDs selbst und vercheckt sie eigenhändig bei Konzerten an seine Fans, bis die Auszeichnung erreicht ist? Das Schlagerstar-Leben jedenfalls gestaltet sich ziemlich indie, allein die Gagen sind höher und die Tourneen ganzjährig.
Pirchers Schunkelnummern treiben Christof Kurzmann und Bernhard Fleischmann als DJs garantiert aus dem Gehör - "bei der Sonne, dem Mond und den Sternen, ich schwör!". Heute, Donnerstag, bei freiem Eintritt, 22.00, Kunsthaus Graz, oh ja.