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Andreas Schindler

Geschichten vom Ende des Ölzeitalters. Wurm- und Mikrobenlobbyismus, permakulturelle Gedankenwut.

13. 3. 2013 - 15:16

Plant some shit!

Vom Leben in der urbanen "food desert" und wie man sie bekämpft. Eine Gartengeschichte aus South Central LA, "where drive-throughs are killing more people than drive-bys!"

Den Süden von Los Angeles kennt man als Wiege von Gangsterrap und Drive-By-Shootings. Hohe Arbeitslosigkeit & Kriminalität, Drogen, Gang-Culture, Bloods vs. Cribs: South Central LA ist sozialer Brennpunkt und wohl auch eben deshalb eine nicht versiegende Quelle von Kreativität und Renitenz.

"I'm fortunate you believe in a dream. This orphanage we call a ghetto is quite a routine." Kendrick Lamar

Der Afroamerikaner Ron Finley verkörpert solchen Einfallsreichtum gepaart mit Widerspenstigkeit. Finley hat eine Mission, oder besser: einen Plan. Er will, dass die Menschen in South Central Los Angeles ihr Ghetto in eine essbare Landschaft verwandeln. Wie Millionen andere US-Amerikaner lebt er in einer Lebensmittelwüste, einer "food-desert". Dieser Begriff bezeichnet ein stadtplanerisches Totalversagen, das den Alltag von Millionen US-Bürgern prägt. In einer "food-desert" ist das nächste Fastfood-"Restaurant" näher als der nächste Supermarkt (wo es, zumindest theoretisch, frische Nahrung gibt).

Laut einer Studie des US-Landwirtschaftsministeriums leben gegenwärtig 23,5 Millionen US-Bürger in Gegenden, wo der Weg zum nächstgelegenen Supermarkt eine oder mehr Meilen beträgt (1 Meile = 1609 Meter). Im Extremfall sind es fünf Meilen, wie in Teilen Chicagos oder Detroits. Da diese Communitys ein extrem niedriges Durchschnittseinkommen aufweisen, verfügen viele Bewohner über kein Auto, geschweige denn über das notwendige Geld, um tatsächlich frische und nahrhafte Lebensmittel erwerben zu können. Wal-Mart und Co verkaufen diesen Menschen "heavily processed, convenient food". Nahrung, deren Verzehr langfristig allzu oft zu Mangelerscheinungen und chronischer Krankheit führt.

"Drive-Throughs töten in South Central Los Angeles mehr Menschen als Drive-Bys!", subsummiert Ron Finley bei seinem TED-talk (siehe unten). Softdrinks, Snacks und Fertigprodukte machen seine Community krank. Jedes zweite Kind dieser Gemeinschaft wird im Laufe seines Lebens an Diabetes erkranken. Allerorts werden Dialyse-Zentren eröffnet. Ron Finley sagt: "This has to stop. So I plant shit." Shit meint hier: Broccoli, Radieschen, Tomaten, Paprika, Spinat, Knoblauch, Zwiebel... (also das, was den "Fertiggerichte-Scheiß" zumindest ergänzen soll.)

In den USA sind die unterschiedlichen Gesundheitsstandards zwischen gesellschaftlichen Minderheiten wie Latinos, Afroamerikanern, Native-Americans, asiatischen Amerikanern und Weißen gut dokumentiert. Die Minoritäten sind weit häufiger chronisch krank, sterben früher und sind ganz allgemein weniger gesund. Erwachsene Latinos und Afroamerikaner erkranken beispielsweise doppelt so häufig an Diabetes (diabetes mellitus) wie gleichaltrige weiße Amerikaner.

Den sozial Schwachen wird "Toxic Fastfood" zugemutet. So nennt Finley die Produkte, die den Körper zwar mit Energie versorgen, aber eben nicht mit lebenswichtigen Vitaminen, Enzymen oder Mineralstoffen. Finley, Designer, Sammler und eben "urban gardener", hat die Versorgung mit diesen essentiellen Stoffen in die eigenen Hände genommen, einen Gärtnerkurs besucht und mit dem erlernten Wissen ein Stück Rasenfläche vor seinem Haus umfunktioniert. Der Garten war sofort produktiv. Zu produktiv, denn obwohl die Nachbarschaft mindestens so begeistert von der Großzügigkeit einiger weniger Quadratmeter Bodens war wie Finley selbst, wurde er von örtlichen Behörden aufgefordert, ihn zu zerstören. Per Gesetz sei diese Fläche als Rasen zu gestalten. Das Gras dürfe dabei nicht höher als 7,62 Zentimeter sein (3 inches). Sollte Finley die Auswüchse seiner gärtnerischen Aktivitäten nicht rückgängig machen, müsse er Strafe zahlen.

Zum Glück ist Finley ein Kommunikationstalent. Er informierte Medien, die die bizarre Geschichte gerne verfolgten, überzeugte einflussreiche Beamte und darf sich heute auf die Fahnen schreiben, mitgeholfen zu haben, das Gesetz, das unproduktiven Rasen schützt und Gurken und Tomaten verbietet, gekippt zu haben. Im Moment wird eine entsprechende Novelle vorbereitet, durch die der Anbau von 100 verschiedenen essbaren Pflanzen auf den öffentlichen Kleinstflächen (Parkways) erlaubt wird. Diese Geschichte hat Ron Finley zu einiger Bekanntheit verholfen, die er nützt, um städtisches Gärtnern zu promoten.

"Growing your own food is like printing your own money!"

Finley, ganz Showman, fordert den "gangsta gardener" ein, denn "we gotta make this sexy." Das sei ganz wichtig, denn viele Afroamerikaner betrachteten Gartenarbeit als eine Art Rückschritt. Die Arbeit mit Erde und deren Früchten werde in der afroamerikanischen Community häufig immer noch mit Sklaverei assoziiert. Finley hält dem einen ganz anderen Ansatz entgegen: Gärtnern befreit. Zumindest von der Totalabhängigkeit von Trash-Nahrung. "When food is the problem, food is the solution."

Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten.
800 Millionen Menschen weltweit sind im Bereich urbaner Landwirtschaft tätig und leisten einen oft unterschätzten Beitrag zur Ernährung der städtischen Bevölkerung. Eine Stadt mit 10 Millionen Einwohnern importiert 6000 Tonnen Nahrung täglich. Städtische Haushalte mit Niedrigeinkommen geben 40% bis 60% ihres Jahresverdienstes für Lebensmittel aus.
250 Millionen hungernde Menschen leben in Städten.

Ron Finley verfolgt die Vision eines essbaren Los Angeles nicht alleine. Neben vielen Community-Gärten gab und gibt es in der Stadt auch Ansätze von NGOs, urbane Landwirtschaft zu etablieren. Das Know-how von mexikanischen Einwanderern steht dabei im Zentrum.
Viele von ihnen waren in ihrer alten Heimat Bauern, bis Mexiko der nordamerikanischen Freihandelszone beitrat und die (staatlich geförderten) US-Maisüberschüsse den mexikanischen Markt überschwemmten. Abertausende Bauern wurden arbeitslos und strömten vielfach Richtung Norden. In Kalifornien kamen sie in der Baubranche zum Einsatz, bis ihnen die aktuelle Wirtschaftskrise auch diese Arbeit nahm. Da sie auch in ihrer ursprünglichen Heimat arm waren, und daher auf teuren Kunstdünger und chemischen "Pflanzenschutz" verzichten mussten, sind sie de facto "Bio"-Bauern, die ob ihrer Erfahrung auch mit der notorischen Trockenheit Kaliforniens umgehen könn(t)en.

Die Nachfrage nach "organic food" ist in Los Angeles und Umgebung enorm. Das einzige, was diesen Bauern fehlt, ist der Zugang zu Land. Einige von ihnen haben sich daher zusammengetan, um Flächen für den Anbau von Obst und Gemüse zur Verfügung gestellt zu bekommen. Was sie damit anzufangen wissen, konnten sie beispielsweise von 1994-2006 mit der South Central Farm unter Beweis stellen. Auf 5,7 Hektar (ca. acht Fußballfelder) bauten dort mexikanische Familien 150 verschiedene Kulturpflanzen an. Diese Community Farm war überaus erfolgreich, beliebt und laut Schätzungen der größte Gemeinschaftsgarten der USA. Nach einem Rechtsstreit, den der Vorbesitzer gewann, wurde der Garten 2006 mit Bulldozern zerstört.

Banner der South Central Farm

CC by 2.5/Jonathan McIntosh

Auch prominente Unterstützung von Martin Sheen, Ralph Nader, Willie Nelson, Tom Morello oder Danny Glover half nicht. Auch nicht die von John Baez, Daryl Hannah oder Leonardo DiCaprio. Die Stadt bot 16 Millionen Dollar an, der Besitzer lehnte ab. Nach den gescheiterten Verhandlungen sagte Bürgermeister Antonio Villaraigosa, der Vorbesitzer wolle nicht mehr Geld, sondern in erster Linie die Bauern vertrieben wissen. Am Tag der Räumung, die 250 Polizisten durchführten, gab es schließlich 40 Festnahmen. Heute wächst Gras auf dem Grundstück. Es ist eingezäunt und steht zum Verkauf. Es ist wieder in der "food-desert" der Stadt Los Angeles aufgegangen. What a waist.