Erstellt am: 15. 3. 2013 - 15:02 Uhr
Von Spannung und Spannern
"Hitchcock" läuft ab 15. März 2013 in den österreichischen Kinos
Call me Hitch, hold the cock sagt Anthony Hopkins in "Hitchcock". In einem Fatsuit und einem schwarzen Anzug steckend gibt er den Regisseur mit dem er sich die Initialen teilt: Alfred Hitchcock. In Sacha Gervasis Film spielt Hopkins den Meisterregisseur, der sich das "Meister" in dieser Bezeichnung tatsächlich verdient hat. Fast gleichzeitig wie "Hitchcock" ging "The Girl" in Produktion, ein HBO Film, der sich um die Dreharbeiten zu "The Birds" und Hitchcocks Obsession mit seiner Hauptdarstellerin Tippi Hedren dreht. Zotige Limericks sind nur die Spitze des Eisbergs seines übergriffigen Verhaltens. There was a young man from Nantucket / Who had such a large cock he could suck it. / He looked in the glass / And saw his own arse / And broke his neck trying to fuck it.
gemeinfrei
Tippi Hedren und Hitch
Der dirty old man und der sadistische Regisseur sind Prototypen des Showbusiness-Anekdoten-Kanons. Dass Alfred Hitchcocks Verhalten seinen Hauptdarstellerinnen gegenüber aber fallweise kein Herrenwitz, sondern sexuelle Belästigung war, weiß jeder, der schon mal ein Interview mit Tippi Hedren gelesen hat, in dem sie von den Dreharbeiten zu "The Birds" und "Marnie" erzählt.
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Faszination der dunklen Seite
An der Stelle, wo man nun eigentlich nur entsetzt sein sollte, faszinieren aber diese schrecklichen Geschichten Journalisten, Autoren und Leser gleichermaßen seit Jahrzehnten. Der voyeuristische Blick aus seinen Filmen wiederholt sich in der Auseinandersetzung mit seiner Person. Die Faszination für die Person Hitchcock rührt unter anderem auch daher, weil die Geschichten um ihn die konsequente Fortsetzung von Motiven aus seinem Werks sind (oder umgekehrt). "You know that tormented soul Jimmy Stewart played in "Vertigo"? That's Hitch", erklärt Jessica Biel als Vera Miles in "Hitchcock".
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Es ist so einfach wie stellenweise zutreffend Hitchcocks Figuren als Reflektion seiner selbst zu sehen. Scottie, der in "Vertigo" eine Frau nach seinem Ideal erschafft, so wie Hitchcock - mit genauem Auge auf Kleidung, Frisur, Make Up - Grace Kelly oder Tippi Hedren zu unnahbaren, angebeteten Leinwand-Heldinnen aufbaute. Hitchcock als Voyeur wie Norman Bates in "Psycho", der durch ein Loch in der Wand ins Zimmer von Marion Crane linst oder Jeff in "Rear Window", der mit einem Fernglas die Nachbarschaft beobachtet. Mit Gipsbein und im Rollstuhl ist er ebenso einer der impotenten männlichen Figuren Hitchcocks wie der von Höhenangst geplagte Jeff in "Vertigo".
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Auf ins Motel
Hitchcok selbst machte keinen Hehl aus seiner sexuellen Abstinenz, immer wieder findet man in Büchern überlieferte Anekdoten, dass er sich selbst als impotent bezeichnete. Ergänzt mit dem Versuch, seine blonden Filmfiguren nicht nur auf, sondern abseits der Leinwand zu kontrollieren und seinen Träumen, dass etwa sein Penis aus Bleikristall sei, dann versteht man umso mehr, warum Popkultur und Psychoanalyse so einen Narren an Hitchcock gefressen haben. Weil Künstler und Werk von den gleichen Themen beherrscht sind. Kein Wunder also, dass man sich früher oder später daran versuchen würde, ein Porträt des Regisseurs ins Kino zu bringen. Während sich "The Girl" an die dunkelste Seite des Regisseurs macht, geht Sacha Gervasis "Hitchcock" mit uns in "Bates Motel" und unter die Dusche: Sein Film - beruhend auf Stephen Rebellos Buch "Alfred Hitchcock and the making of Psycho" - skizziert und imaginiert Hitch zunächst in der Schaffenskrise.
CentFox
Der Regisseur in der Krise
Auf die umjubelte "North by Northwest"-Premiere folgt in "Hitchcock" die Frage eines Reporters, die den Master of Suspense aus der Bahn wirft. "You're 60 years old, shouldn't you just quit while you're ahead?". In Rebellos Buch gibt es diesen Vorfall nicht, bloß eine vorsichtig formulierte Vermutung: " (...) there is reason to suspect that the fifty-nine-year-old suspense maestro felt bullied by his brilliant present and past." Von einer Schaffens- oder auch nur Projektfindungskrise ist weder in Patrick Gilligans "The Life in Darkness and Light", noch in Charlotte Chandlers "It's only a movie" noch in Truffauts "Mr Hitchcock, wie haben sie das gemacht?" die Rede.
Als "North by Northwest" im Juli 1959 Premiere feiert, arbeitet James Cavanaugh bereits an einem Skript für "Psycho". Aber erstens ist ein zweifelnder, suchender Künstler eine weitaus interessantere Figur für einen Film und zweitens ist der größte Fehler und möglicherweise auch Spaßverderber an derartigen verfilmten true stories, dass man alles für bare Münze halten soll. Dass Gervasi an einer bleiernen Anekdotennachspielung wie "My week with Marilyn", die schon verstaubt, während sie gedreht wird, nicht interessiert ist, macht er von Anfang an klar.
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Good evening ...
Da sehen wir gleich zu Beginn wie Ed Gein - Mörder und Inspiration für Norman Bates in "Psycho" - seinem Bruder eins mit der Schaufel überzieht. Einen kleinen Schwenk nach rechts und dem Einsetzen der "Alfred Hitchcock presents"-Titelmelodie später, steht da auch schon Anthony Hopkins als Hitch und spricht zu uns. Dass er sich ans Publikum wendet, ist zwar auch Hommage an Hitchcocks eigentümliche Trailer und seine Auftritte in "Alfred Hitchcock presents", das Durchbrechen der vierten Wand in der ersten Minute ist aber auch augenzwinkernder Hinweis darauf, dass der Film weiß, dass er ein Film ist. Das ist ein hilfreicher Kniff, denn ansonsten scheint es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, einen Regisseur, bei dem sich nicht nur seine Filme, sondern auch tatsächlich sein Gesicht und seine Statur im kollektiven Gedächtnis eingenistet haben, darzustellen, ohne sofort zur Parodie zu erstarren.
Anthony Hopkins schlägt sich also wacker darin, was Gervasi von ihm verlangt: No impersonation, but a channeling of Hitchcock. Mit Fatsuit und einem Gesicht - inklusive Ohrläppchen - aus Silikon gemaskenbildnert, formuliert er Hitchcocks immer von am hinteren Ende des Gaumens zu kommen scheinende Worte. What if someone really good made a horror movie, fragt er sich zum Beispiel, immer noch leicht Cockney-eingefärbt. Horror ist zu dieser Zeit gleichbedeutend mit B-Movie; William Castle, Roger Corman und die Hammer Studios produzieren mit Herz- und Kunstblut Filme wie "A Bucket of Blood", "The Wasp Woman" oder "The Revenge of Frankenstein". Paramount, bei denen Hitckcock unter Vertrag ist, will "Psycho" nicht produzieren, Hitchcock macht das, was man später independent filmmaking nennen wird und finanziert ihn selbst, Paramount ist bloß Distributionspartner.
Dusche und Toilette
"Psycho" wird ein Einschnitt (no pun intented) in der Filmgeschichte. Empathie für eine Hauptfigur, die ein Verbrechen begangen hat und die dann in Minute 30 ermordet wird. Und was machen wir, das Publikum dann, so ganz ohne Bezugsperson? Wir empfinden Empathie für Norman Bates, den wir zu diesem Zeitpunkt zwar nicht für einen Mörder aber immerhin für einen Mitwisser halten. Das ist neu im amerikanischen Kino, das von den strengeln Regeln des Production Code dominiert ist. Die Duschszene allein treibt Zensoren den Schweiß auf die Stirn, ist doch schon allein das Zeigen einer Toilette (deren Spülung auch noch betätigt wird) ein Ding der Unmöglichkeit.
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Die Frau im Schatten
Von all diesen Dingen erzählt Sacha Gervasis Film ganz nebenbei. Aber, dass "Hitchcock" ein Film über die Dreharbeiten zu "Psycho" sei, kann man fast als MacGuffin bezeichnen, denn das Scheinwerferlicht strahlt hier nicht auf Vorgänge hinter den Kulissen, sondern die Frau an der Seite Alfred Hitchcocks: Alma Reville. 54 Jahre waren die beiden verheiratet und genauso lange war sie seine engste und wichtigste Mitarbeiterin. Als Assistentin der Regie, Drehbuchautorin und Cutterin. Beim Schnitt - so Hitchcock-Biograph Patrick Gilligan - hatte Reville das letzte Wort. Stehen Rebello führt in "Alfred Hitchcock and the Making of Psycho" zwei Beispiele für ihre Arbeit an: Ohne sie wäre die Duschszene ohne Bernhard Hermanns Soundtrack und ihren Adleraugen ist es zu verdanken, dass eine Szene in der man Janet Leigh - als bereits tote Marion Crane - am Badezimmerboden des Motels liegen und schlucken sieht - nicht im fertigen Film landet.
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Die klugen Frauen
Alma Reville und seine langjährige Produktionsassistentin Peggy Robertson (eine wie immer supere Toni Colette) sind wie die kurzhaarigen, bebrillten Frauen, die sich in seinen Filmen immer als Gegenpol zur kühlen Blondine finden. Frauen, die schnell und viel sprechen, das formulieren, was andere nicht auszusprechen wagen. Helen Mirren spielt Alma Reville klug, selbstbewusst, sportlich und als eine ebenso von Film (und Skripten) besessene wie Hitchcock. Dass sich Reville während der Dreharbeiten mit "Psycho" immer wieder mit Drehbuchautor Whitfield Cook trifft und so die Eifersucht Hitchcocks weckt ist faktisch, aber nicht zeitlich wahr. Die Annäherung zwischen Cook und Reville fand fast 20 Jahre vor "Psycho" statt, doch Drehbuchautor John J. McLaughlin rüttelt an der Chronologie, um "Hitchcock" eine erzählerische, kausale Dynamik zu verpassen.
Zu wenig "Psycho"
Weil der Regisseur also vermutet, dass seine Frau eine Affäre hat, wird er umso mehr zum Despoten am Set, zum launischen Tyrannen, der Janet Leigh Regieanweisungen zubrüllt ("Even your boss can smell the rancid, pungent scent of sex all over you") und des Nachts gierig den Kühlschrank leert. Dass er nicht an Fakten klebt, macht den Reiz an "Hitchcock" aus, es ist ein Versuch, die Themen, die Arbeitsweisen, die Obsessionen und die Privatperson Hitchcock in einen konventionellen Erzählrahmen zu packen. Dass man nicht mehr von den Dreharbeiten zu "Psycho" sieht ist schade - und hat rechtliche Gründe. Weder durften tatsächliche Ausschnitte aus "Psycho" verwendet werden, noch "nachgespielt" werden. So sehen wir nur einmal Janet Leigh beim Drehen des mittaglichen Schäferstündchens, der Autofahrt, die im Motel endet und der Duschszene.
Die übliche Seltsamkeit, wenn berühmte Schauspieler berühmte Schauspieler spielen, umgeht "Hitchcock". Es gibt ohnehin nur wenige Szenen mit Scarlett Johansson als Janet Leigh, Jessica Biel als Vera Miles und James D'Arcy als Anthony Perkins und nur eine einzige, in der alle drei zu sehen sind. D'Arcy gelingt in seinen wenigen Auftritten Unglaubliches, er schafft es - ohne, dass er bei einem Lookalike Contest auch nur annähernd Chancen hätte - Perkins zu spielen und dessen schüchternes Charisma kombiniert mit einer konstanten Beunruhigung leinwandfüllend erstrahlen zu lassen.
centfox
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Die Details in "Hitchcock" machen vielleicht sogar den höheren Reiz aus, als der Geschichtenbogen: Dass die Titelschrift gleich wie die von "Psycho" gestaltet ist, das Ertönen der Serienmelodie, das Auftauchen von wichtigen Figuren in Hitchcocks Karriere wie Robertson oder Lew Wasserman. Das heimliche Trinken und Essen Hitchcocks, die ein obsessives Verhalten andeuten, ohne es auszuschlachten, kleine Metallvögel in seinem Büro, die auf das ausgestopfte Federvieh von Norman Bates und die ganz und gar lebendigen Tiere in Hitchcocks nächstem Film "The Birds" verweisen. Sein voyeuristischer Blick durch Jalousien und in die Garderobe der Schauspielerinnen durch ein Loch in der Wand seines Büros. Was ich für eine plumpen Einfall des Drehbuchautors halte, stellt sich - in diesem Interview mit Gervasi - als eine tatsächliche Beobachtung heraus. "Hitchcock" streift Themen, Personen und Arbeitsweisen eines längst nicht mehr existierenden Hollywoods. Dabei ertrinkt es weder in theatralischer Ernsthaftigkeit, noch in rührseliger Nostalgie.
Plauschen mit Ed Gein
Ein Ausflug in inszenatorische und erzählerische Extravaganz ist der einzige Störfaktor in einem nicht aufregenden, aber schlüssigem und charmantem Film. Immer wieder sehen wir Hitch im Gespräch mit dem imaginierten Ed Gein. Der transzendentale Tratsch mit dem Mörder aus Wisconsin ist die ein bisschen gar plumpe Art und Weise, die Faszination des Regisseurs mit dem Bösen zu versinnbildlichen. Trotzdem hat man nach "Hitchcock" Lust auf mehr Hitchcock. Und das ist das wahre Faszinosum an seinem Werk. Man wird seinen Filmen und der Beschäftigung damit, nicht überdrüssig. Er selbst beschrieb seine Filme als ein Stück Kuchen, also lasst uns Kuchen essen.