Erstellt am: 11. 3. 2013 - 18:53 Uhr
Kleine Explosionen
Es dreht sich also alles um die Liebe. Direkt und echt und ehrlich empfunden, manchmal durchlitten, aber in jedem Fall auf dem Himmel zugewandten Handflächen vor sich, für jeden ersichtlich, hergetragen. Dem dänischen Multiinstrumentalisten und Produzenten Robin "Hannibal" Braun und dem ursprünglich aus Toronto stammenden und ähnlich versatilen Musiker und Sänger Mike Milosh mag die Ironie zwar nicht fremd sein, im gemeinsamen Projekt Rhye wird aber zunächst einmal ohne Brechung das ganze schöne Herz ausgeschüttet. Und dessen dampfender Inhalt für das schon lange heiß erwartete, letzte Woche erschienene Debütalbum des Duos in zehn perfekt ausgemessene Popsongs gegossen.
Rhye
In den ersten kurzen, noch mysteriösen Momenten der Bekanntschaft mit dem sicher nicht ganz zufällig "Woman" betitelten Album, mag die Platte gar minimalistisch und einzig wie eine gar arg hübsch anzuschauende Oberfläche anmuten. Man soll diesem mit gerade einmal 35 Minuten Spieldauer adäquat schlank angelegten Longplayer jedoch die Zeit zur Reifung geben. "Woman" ist Coffeetable-Buch gewordene Musik – man will aber vielleicht genauer hineinschauen.
Die bereits bekannten Singles "Open" und "The Fall" haben auch nach 200 Hördurchgängen nichts von ihrem unaufdringlichen Glanz verloren und eröffnen "Woman" so mit größtmöglicher Pracht, mit höflichem Selbstbewusstsein und dem Wissen, dass hier noch lange nicht das feinste Pulver verschleudert worden ist. Das darauffolgende Stück "Last Dance" erhöht die Schlagzahl dezent und führt Rhye in eine Disco, in der die Lichter stets gedimmt sind und die Platten sich langsam drehen. Die gehauchte sexuelle Energie des späten Marvin Gaye verschmilzt mit dem weichen Indie-Funk von The Whitest Boy Alive.
Rhye - Woman
Dieses Terrain der Zärtlichkeit wird "Woman" nicht mehr verlassen, hier schlägt die Platte Richtung wohligem Jazz aus, dort nähert sie sich Pop im House-Gewand, wie ihn beispielsweise Tracey Thorn solo und mit ihrer Gruppe Everything But The Girl immer wieder sehr schön hinbekommen hat. "Woman" entstand teils kurz vor, teils kurz nach dem Umzug - unabhängig voneinander - beider Musiker. Der Liebe wegen suchten sie ein neues Zuhause.
Die Musik, die Texte, die Stimmungen vibrieren und glühen hier nur so vor Glücksgefühl und fiebrigem Übermut und fast schon wahnsinnig machender Zufriedenheit. Sicher, es gibt auch Tränen, Schmerz und merkwürdige Blicke – Rhye sind schließlich keine elf Jahre mehr alt. Am Ende aber glaubt "Woman" an die Macht des Sich-Vertrautseins und Sich-vertrauen-Könnens – und -Wollens. So oft kommt das ja in der Popmusik auch nicht vor. So kann man den Willen zur Weichheit ebenso als Rebellion gegen das Blöde verstehen.
Rhye gelingt mit "Woman" ein wunderlicher Spagat. Zum einen sind die Stücke im Kern allesamt schlicht und aus wenigen Zutaten gebaut – was dem Duo schon nur am Rande zutreffende Vergleiche mit The xx und James Blake eingebracht hat: Ein kleiner Beat oder auch gar keiner, Handclaps oder ein Tropfgeräusch, eine Bassline oder eine halbverschlafene Pianomelodie und der außerweltliche, keiner Sphäre zuordenbare, fliegende Gesang von Mike Milosh.
Schmale Popsongs, die tatsächlich Intimität und Rückzug unter die Kuscheldecke verheißen, in denen andererseits dann doch überraschend viel geschieht – man hat eben bloß nicht jede zweite Soundidee, die einem so in gut gelaunter Stimmung durch den Kopf spuken kann, mit noch einer zweiten und dritten, sicherlich noch besseren, zugekleistert. Trompete, Saxophon und Flügelhorn, Klarinette, Harfe und die Sounds aus einer Steel Drum – all das und einiges mehr ist hier zu erleben, jedoch kommt hier selten großes Instrumentarium zum Einsatz, um Pomp und die gewaltigen Gefühle zu behaupten, sondern vielmehr in Form kleiner spitzer Akzente. Durch die Reduktion, das Wegfallen und manchmal eben schlicht das Gefühl, dass etwas fehlt, entsteht das bessere Begehren.
Rhye haben auf dem Fundament von Soul, samtenem Funk und sensiblem R'n'B eine Sehnsuchts-Musik errichtet, die zwar wunderhübsch schwächlich daherkommt, aber wohl nie in sich zusammenbrechen wird. Das alles ist aber keine beiläufige Wischiwaschi-Musik. Auch wenn "Woman" sicherlich bestens zur Vertonung des Milchkaffeeschaums herhalten wird können – es sei Rhye gewünscht! –, ist das hier ein ernsthaft und konzentriert formuliertes Book of Love. Eine Musik, die klingt wie kaum etwas anderes im Moment. Eine Platte, die aber vor allem sagt: Die Liebe kann eine gefährliche Angelegenheit sein, sie ist es wert.