Erstellt am: 12. 3. 2013 - 11:53 Uhr
Was den Junkie in uns weckt
"In jedem von uns steckt ein Junkie", sagt Kurosch Yazdi, Psychiater und Leiter der Suchtabteilung der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. Von Natur aus fähig zur Sucht sind wir, weil unser Gehirn über ein Belohnungszentrum verfügt. Kleine Dopaminkicks machen uns glücklich, ursprünglich im Zuge jener Verhaltensweisen, die unser individuelles Überleben (also z.B. durch Essen) oder das Überleben der Spezies (durch Paarung) sichern. Yazdis unbequeme Erkenntnis: Die Wirtschaft hat unseren natürlichen Hang zur Sucht erkannt. Artifizielle Reize, die unser Belohnungszentrum stimulieren steigen in der Zahl, sie werden intensiver und sie werden leichter zugänglich. Der Kontrollverlust beim Kaufen, Spielen und bei der Nutzung neuer Medien bringt einigen Menschen viel Geld - und immer mehr Patienten zu Ärzten wie Yazdi.
Süchtig - das ist für viele der ungewaschene Heroinjunkie, der in der U-Bahnstation herumlungert, oder der arbeitslose Säufer. "Die Klischees helfen uns, das Thema Sucht wegzuschieben", sagt Yazdi. Die Gesellschaft erkennt nur zögernd, dass Verhaltenssüchte ein Problem darstellen - und welche Rolle neue Medien beim Entstehen neuer Verhaltenssüchte spielen. Eines meiner Lieblingsbeispiele in dieser Hinsicht: Gary Wilsons TEDx-Vortrag zu den neurochemischen Veränderungen, die der exzessive Konsum von Internet-Pornographie bewirkt. Wer "The Great Porn Experiment" noch nie gesehen hat, sollte sich das vielleicht einmal anschauen:
Mehr Hintergrundinformationen zu Wilsons TEDx-Vortrag gibt es auf dieser Website.
Der mit Plastiksackerln beladene, pathologisch Einkaufssüchtige sieht im Einkaufszentrum aus wie du und ich. Spielsüchtige sitzen in kleinen Automatenkabinen, pathologische Internetnutzer brauchen die Wohnung gar nicht mehr zu verlassen, um ihrer Sucht nachzugehen. Der Großteil der Menschen, die unter einer substanzungebundenen Sucht leiden, ist höchst unauffällig. Seine Erfahrungen mit diesen kauf-, spiel- und onlinesüchtigen Patienten hat der Linzer Psychiater Yazdi in seinem Buch "Junkies wie wir" niedergeschrieben.
Es ist nicht das erste Werk zu diesem Thema. Das 2009 im Springer-Verlag erschienene, hervorragende Werk "Rausch ohne Drogen" von Dominik Batthány und Alfred Pritz stellt neben einzelnen Formen substanzungebundener Süchte auch ihre neurobiologischen Aspekte dar und bietet Überlegungen zu Therapie, Behandlung und Prävention. Für den Laien ist dieses Buch mitunter etwas schwierig zu lesen. Kurosch Yazdis Debut hingegen ist leichter verdaulich. In "Junkies wie wir", erschienen im Verlag edition a, schreibt der Autor aus dem Alltag seiner Tätigkeit in der Suchtabteilung, wagt eine düstere Zukunftsprognose und stellt konstruktive Überlegungen ein, wie ihr Eintreten noch zu vermeiden wäre. Dazu gibt er Empfehlungen für den Umgang mit unser aller Suchtdisposition im familiären Umfeld und in der Politik.
Mehr Stimuli
Yazdi beschreibt den Fall einer vierzigjährigen Patientin, die so viele Möbel kauft, dass sie die unausgepackten Gegenstände in der ganzen Wohnung und im Keller stapelt. Nicht der Empfang der Ware oder das Auspacken des Möbelstücks aktiviert das Belohnungszentrum in ihrem Gehirn, sondern der Akt des Einkaufens selbst: Der Dopamin-Kick beim Kauf sorgt für ein kleines Glücksgefühl - oder bei der bereits pathologisch Einkaufsüchtigen für ein Vermeiden von Entzugserscheinungen. Neben Einrichtungsgegenständen, bei denen Möbelhäuser sehr attraktive Ratenmodelle anbieten, hatte seine Patientin auch Dutzende Mobiltelefone um "0 Euro mit Vertrag" gekauft – und über die Jahre gewaltige Schulden angehäuft.
edition a
Stimuli, die das Belohnungsystem zur Ausschüttung von Dopamin bewegen, gibt es heute mehr denn je. Einkaufsportale locken mit Sofort-Kaufen-Buttons, Smartphones mit 1-Euro-Apps. Free-to-Play-Onlinegames sind so gestaltet, dass man ständig kleine Belohnungen erhält, locken mit kostenpflichtigen Premium-Gegenständen im Spiel und sind dank mobiler Gadgets allgegenwärtiger denn je.
Zu den Patienten von Yazdi gehören pathologische Social-Media-User, die nach Likes, Pokes und Tweets süchtig sind genauso wie der sechsundzwanzigjährige Student, der seit acht Jahren World of Warcraft spielt und das Zimmer im Haus der Eltern kaum mehr verlässt. Facebook und WoW spielen für Yazdi in derselben Liga: "Beide Plattformen basieren auf der folgenschweren Verwechslung, dass Online-Freunde echte Freunde seien. Dabei handelt es sich bloß um Suchtkumpanen, die dem Suchtmilieu den Anstrich einer funktionierenden Gemeinschaft geben". Ein hartes Urteil des Psychiaters, das meiner Lebensrealität nicht ganz entspricht: Ich habe durch soziale Netzwerke und Onlinegames tatsächlich echte Freunde gewonnen, die ich in der physischen Welt sehe, berühre und liebe. Andererseits: Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann ist wohl weniger als ein Prozent meiner Onlinefreunde, -spielpartner und -chatkumpels später zu echten Freunden geworden. Zum investierten Zeitaufwand steht das wohl in keinem so guten Verhältnis.
Mangelndes Problembewusstsein
"Die Gesellschaft hat verstanden, dass Heroin oder Alkohol ein großes Problem sein können. Doch wenn es um Online- und Verhaltenssüchte geht, existiert noch kein Problembewusstsein", so Yazdi. Immer wieder kämen Süchtige oder deren Angehörige zu ihm, die meinen, sie hätten ja nicht gewusst, dass das Verhalten potenziell suchtauslösend sein könnte. Im zweiten Halbjahr 2012 hätten sich doppelt so viele Menschen mit einer Verhaltenssucht oder deren Angehörige an die Ambulanz für Suchterkrankungen in der Linzer Landesnervenklinik gewandt als im Halbjahr zuvor. "Die Zahlen explodieren, das erzählen mir auch Kollegen aus anderen Spitälern".
Scham spielt eine große Rolle bei der Verdrängung eines Suchtproblems und führt zu noch größerer Isolation des Abhängigen. Hinter der Sucht stecke aber immer die Suche nach Beziehung, sagt Kurosch Yazdi. Menschen, die wenig soziale Kontakte haben, z.B. weil sie in dysfunktionalen Familien aufwachsen oder arbeitslos sind, seien besonders suchtgefährdet. Wer aber einmal Dutzende unausgepackte Möbelstücke in seiner Wohnung stapelt, lädt aus Scham niemanden mehr in die Wohnung ein, um die Krankheit zu verschleiern. Der oder die pathologisch Einkaufsüchtige isoliert sich genauso wie der Glücksspiel- oder Internetporno-Süchtige. Die zunehmende Einsamkeit verschlimmere dann das Problem, denn: "Der Mensch ist ein Rudeltier. Wir brauchen Beziehungen für unser normales psychisches Funktionieren. Wenn wir zuwenige Beziehungen haben, also einsam sind, oder wenn unsere Beziehungen nicht befriedigend sind – der Chef hackt nur auf mir herum, ich fühle mich einsam in der Partnerschaft, was übrigens viele Menschen so empfinden – dann werden wir automatisch Möglichkeiten suchen, das zu kompensieren. Viele Glücksspielsüchtige geben den Automaten, mit denen sie am häufigsten spielen, Frauennamen. Der sagt dann: 'Heut geh ich zur Lisi.'"
Er habe sein Buch "Junkies wie wir" genannt, sagt Kurosch Yazdi, weil er ansprechen wolle, dass wir alle süchtig sind oder süchtig werden können. "Auch ich könnte davon betroffen sein". Der Psychiater plädiert dafür, Beziehungen in jedem Lebensbereich einen höheren Stellenwert zu geben. Das Schulsystem solle nicht sklavisch auf den Drill für das optimale PISA-Ergebnis ausgerichtet werden, sondern am finnischen Paradigma der Beziehungs-Früherziehung. Wir sollten wachsamer sein für unseren eigenen Hang zum Exzess und Sensoren für die Suchtfallen in den Lebenswelten unserer Kinder entwickeln. Yazdi plädiert auch für eine neue Wirtschaftsethik. So wie sich die Erkenntnis durchgesetzt habe, dass Alkohol und Zigaretten gesundheitsschädigende Produkte sind, müsse man auch Glücksspiel, Konsum und Onlineplattformen als potenziellen Auslöser schwerer Krankheiten anerkennen. Von der Weltgesundheitsorganisation werden substanzungebundene Süchte derzeit aber nur als "abnorme Gewohnheiten", und nicht als Krankheiten eingestuft – deshalb steht auch die Finanzierung der Behandlung von Verhaltenssüchten vorwiegend auf privaten Beinen.
FM4 Connected zum Nachhören
Psychiater Kurosch Yazdi war am Freitag, den 22. März für eine Stunde in FM4 Connected zu Gast. Ihr konntet ihm Fragen rund ums Thema Verhaltenssucht stellen. Das Gespräch gibt es für 7 Tage on Demand.
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