Erstellt am: 10. 3. 2013 - 16:28 Uhr
Geschichte wiederholen?
"Where Are We Now?" ist also eine Art trojanisches Pferd gewesen. Die im Jänner aus dem Nichts erschienene Vorabsingle zu David Bowies neuem Album, die sehnsüchtige Ballade, die mit Nostalgie im Augenwinkel Bowies Berlin der späten 70er-Jahre besingt, hat mit dem Rest von "The Next Day", Bowies erstem Longplayer mit neuem Material seit zehn Jahren, kaum etwas zu tun. Auch das Cover von "The Next Day", das das Artwork von Bowies 77er-Album "'Heroes'" – auch unter Menschen, die keine explizit ausgewiesenen Bowie-Fans sind, ein universell anerkannter Meilenstein – nur notdürftig verfremdet übernommen hat, leitet – "natürlich" darf man anscheinend bei Bowie jetzt, immerhin für eine kurze Zeit, wieder sagen – dezent in die Irre.
Das Cover, auf dem der alte Titel "'Heroes'" einfach durchgestrichen und das ikonische, von den Gemälden von Erick Heckel inspirierte Foto von Bowie zu weiten Teilen schlicht mit einem weißen Quadrat überschrieben wurde, dockt einerseits in der Vergangenheit an und versucht im gleichen Atemzug selbige zu übertünchen, auszublenden. Soundtechnisch nimmt "The Next Day" aber nur kaum auf Bowies zwischen 1976 und 1979 erschienene Berlin-Trilogie - am allerwenigsten auf "'Heroes'" - Bezug – das wäre ja nur allzu einfach gewesen.
David Bowie
Hier gibt es kein Experimentieren mit enoesken Soundscapes, keine überdeutliche Verbeugung vor Krautrock, vor Kraftwerk und der Motorik von Neu!. "The Next Day" ist eine aufgekratzte Rockplatte, die Stücke sind allesamt knapp und knackig gehalten. Die Schwester im Geiste ist hier wohl am ehesten Bowies Album "Scary Monsters" aus dem Jahr 1980 oder, wenn schon Berlin, dann "Lodger", der Abschluss der Trilogie und gleichzeitig die, wenn auch großartig, konventionellste Platte der Reihe.
Mit "The Next Day" scheint Bowie sich nicht mehr abmühen zu müssen, sich die Gegenwart einzuverleiben, halbherzig mit Elektronik und Drum'n'Bass zu spielen, oder sich in die künstlerische Nähe von TV on the Radio und Trent Reznor begeben zu müssen, um in einem irgendwie "relevanten" Heute anzukommen – Reznor übrigens, ist ja selbst mittlerweile eine Art David Bowie geworden, der gerne vor allem durch das sinnvolle Kuratieren von Kollaborateuren neue Welten behauptet.
Bowie schöpft, wie's scheint, erleichtert und freigespielt, aus sich selbst. Auf dem sehr guten Album "The Next Day" sind viele sehr gute Songs zu finden: Das Titelstück "The Next Day" beispielsweise, das sich dann schon sehr stark an die von Bowie großzügig mitgestalteten Berlin-Alben von Iggy Pop anlehnt. Oder der schleppende, sexy Tanz von "Dirty Boys", inklusive schiefem Saxofongebläse von Steve Elson. Der ganz und gar meisterliche Funk aus Kunststoff, der die Nummer "Love is Lost" ist. Oder, fast ganz am Ende, das sehnsüchtig-euphorische "You Feel So Lonely You Could Die", das neben "Where Are We Now?" wohl als einzige Ballade des Albums durchgehen kann.
Hätte Bowie nach 13 feinen Stücken "The Next Day" mit diesem schönen Lied beendet – es wäre ein versöhnlicher Abschluss gewesen, ein wohliges Gefühl. Das will uns Bowie aber nicht gar so einfach schenken, ein bisschen Verstörung muss dann doch noch sein. So schließt "The Next Day" mit einer Nummer, die mit der Zickigkeit und Nervosität des Albums noch einmal komplett bricht, in all ihrer Reduktion vielleicht doch die abenteuerlichste ist, die hier vorzufinden ist – und die nicht zuletzt den Kreis in die Vergangenheit schließt.
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "Heat" macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Bowies Song "Heat" beruft sich überdeutlich auf das Jahrhundert-Stück "The Electrician" vom letzten Album der Walker Brothers, "Night Flight" aus dem Jahr 1978. Auf "Night Flight" waren die Walker Brothers als Band zerrüttet, die Hoffnung auf erneuten allzu großen finanziellen Erfolg hatte man fahren gelassen. So war die Platte, auf der die drei Mitglieder jeweils für ein Drittel des Albums allein verantwortlich zeichneten, die experimentellste der Gruppe. "The Electrician" stammt von Scott Walker – die gegenseitige Wertschätzung von Bowie und Walker über die Jahre ist in Interviews gut dokumentiert, nicht selten hat Bowie "The Electrician" als einen seiner Lieblingssongs ausgewiesen.
"Heat" und "The Electrician" sind minimalistische, spukhafte Mediationen, die sich da und dort gar richtig unangenehm im Körper fortpflanzen - in die sich dann aber doch noch relativ unerwartet wunderhübsche, glorreiche Streicher schleichen. In "Heat" gibt Bowie Rätsel auf: Er erwähnt den großen japanischen Schriftsteller Yukio Mishima, der zwischen tiefem Traditionsbewusstsein und höchstem Willen zur Modernisierung, zwischen Intellektualität und eisernem Körperkult ein Leben voller Widersprüche verbrachte und schließlich seinem Dasein 1970 – mithilfe seiner Privatarmee – durch rituelle Selbsttötung ein Ende setzte.
Bowie singt von Selbstzweifeln, Resignation und Schuldgefühlen. Wieder und wieder wiederholt er die Zeile "My Father Ran the Prison", und "I Don't Know who I Am". "But I Am a Seer, And I am a Liar", singt Bowie, "I Am A Liar”. Am Schluss verhallt die akustische Gitarre, ein mulmiges Gefühl bleibt zurück, und die beißende Vermutung, dass alles doch nur eine Konstruktion, eine Lüge, eine Behauptung, ein Hirngespinst ist.