Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Frische Kunst aus Island: Ragnar Kjartansson"

Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

9. 3. 2013 - 11:01

Frische Kunst aus Island: Ragnar Kjartansson

Zwischen Rock'n'Roll und Wiener Sängerknaben: Der Isländische Video- und Performancekünstler Ragnar Kjartansson stellt gerade in Wien in der TBA21 aus. Und Vollbärte, Island und Sigur Rós - das geht immer.

Zehn Musiker, die drei Stunden lang jeden Tag vor sich hin tschicken, in ihre Instrumente hauen und ordentlich viel Bier dazu trinken. Vor zwei Jahren hat der isländische Performance- und Videokünstler Ragnar Kjartansson in der Wiener Bawag Contemporary diese Performance im Rahmen seiner Ausstellung "Take Me Here By the Dishwasher" mit einer Hand voll Musiker-KollegInnen abgehalten. Fast zwei Monate lang, jeden Tag.

Die Thyssen-Bornemisza Art Contemporary im Wiener Augarten.

Die TBA21 ist auch auf Facebook und hat eine ziemlich gute Seite.

Nun, zwei Jahr später, ist er in der Kunststiftung Thyssen-Bornemisza Art Contemporary – kurz TBA21 – mit einer aufwändigen Musikvideo-Installation wieder zu Gast. Und hat dafür gemeinsam mit Kjartan Sveinsson von Sigur Rós ein Stück für die Wiener Sängerknaben erarbeitet. Er ist einfach ein cooler isländischer Hund, um es einfach auszudrücken und außerdem besessen von den Sängerknaben. Mit denen eine Performance umzusetzen, ist ein wahrgewordener Kindheitstraum. Francesca von Habsburgs Kunststiftung, die Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, und ihre Kuratorin Daniela Zyman machten es möglich.

Ragnar Kjartansson mit Schallplatte

Ragnar Kjartansson

Das ist der Künstler Ragnar Kjartansson. Er ist besessen von den Wiener Sängerknaben, Prince, gebratenen Lammkeulen und Rock'n'Roll.

Wer ist dieser Kjartansson?

Der 36-jährige Künstler zählt zu den neuen Kunststars aus Island. 2009 hat er Island auf der Biennale in Venedig vertreten. Er arbeitet an der Schnittstelle von Performance, Theater und Popmusik und so ist es kein Wunder, dass Kapazunder wie Sigur Rós zu seinen Buddies zählen.

Der geborene Entertainer entspricht auch sonst dem, was man sich unter einem jungen und erfolgreichen Künstler vorstellt: Unkonventionell, exzentrisch und trotzdem schwer in Ordnung. Ein Vollbart im Gesicht, ein maßgeschneiderter Anzug am Leib. Ein isländischer Dandy ist das, der um das gelungene Spiel der Selbstinszenierung Bescheid weiß. Kein Zufall, denn in Ragnar Kjartanssons Familie sind alle KünstlerInnen oder SchauspielerInnen. Sein Großvater, ein Bildhauer und Keramiker, hat ihn zum Kunst-Machen inspiriert, "weil er und seine Kunstfreunde immer geraucht und getrunken haben und so viel Spaß dabei hatten."

Aufmerksam bin ich auf Ragnar Kjartansson geworden, weil er vor einigen Jahren eine gar wahnwitzige Kunstaktion abgehalten hat. Er hat monatelang in einem maroden, verlassenen isländischen Theater gelebt, inmitten der isländischen Pampa. Und dort hat er nichts anderes getan, als zu zeichnen. Ja, aber nicht irgendwas, fade Landschaftsbildchen oder so, sondern ausschließlich "Interpretationen" des Rolling-Stones-Logos, des Kussmundes mit Zunge. "Licks" nannte sich diese Arbeit. Schön durchgeknallt.

Ragnar Kjartansson Arbeit

Ragnar Kjartansson

Ragnar Kjartansson, "15 Licks", Island 2005

Die aktuelle Ausstellung: "The Visitors"

Und nun zeigt Francesca von Habsburgs Kunststiftung im Wiener Augarten seine aktuelle Videoinstallation "The Visitors". Auf neun riesigen Leinwänden sieht man Ragnar und zwei Hand voll isländischer MusikerInnen in einer edlen Farm in Upstate New York in einem Dauerloop ein Lied performen. Jeder für sich allein in einem anderen Teil des Hauses, synchronisiert und zusammengeführt durch die Leinwände. Ein trauriges Lied ist das, das von Liebe, Sehnsucht, Einsamkeit, Verlust und Abschied erzählt. Der Pressetext sagt, es ist ein "femininer-nihilistischer Gospel-Song".

Da kann man sich hineinsetzen in den Saal und sich kathartisch von der Traurigkeit, die einen umringt, wärmen lassen und seinem Weltschmerz freien Lauf lassen. Entwickelt hat der Künstler die Installation gemeinsam mit seiner Ex-Frau Ásdís Sif Gunnarsdottir, einer isländischen Performancekünstlerin. Als sie die Arbeit entworfen haben, haben sie gerade die Scheidung eingereicht. Dementsprechend emotional aufgeladen ist das alles auch. Sehr poetisch und fast etwas biedermeierhaft wirkt das Musizieren, aber durchaus schön anzusehen und -hören. Taschentücher bei der Begehung mitzunehmen kann übrigens kein Fehler sein.

Ausstellung Ragnar Kjartansson

Michael Strasser / TBA21, 2013

Inside the exhibition: Ragnar Kjartansson, "The Visitors", TBA21, Wien 2013

Zwischen Prunk und Punk

Auch gut: Man muss nicht unbedingt viel Theorie pauken und Kunstbücher lesen, um hier irgendwas zu kapieren. Man darf sich einfach eine ästhetisch ansprechende Arbeit anschauen. Das mag für den einen befreiend sein, für den anderen vielleicht zu banal daherkommen. Aber andererseits versteht es Francesca von Habsburg mit ihrer Kunststiftung einfach wirklich gut Kunst dort abzuholen, wo sie passiert. Junge Kunst zu supporten, die weg geht von gauer Theorie und der Konzeptkunst, die sowieso nur eine Hand voll studierte Seelen kapieren. Man soll sich hier amüsieren und nicht den Kopf zerbrechen.

lamm-kotlett

Das Lamm

Und hey, es gab den ganzen Eröffnungsabend lang freie Drinks! Es war wie im Parallelwelt-Schlaraffenland der Künste. Junge Männer haben isländische Fischsuppe und Berge an gebratenen Lammkeulen auf dem Silbertablett serviert. Viele schöne Menschen waren da. Zu Mitternacht gab's eine überraschende Rock'n'Roll Performance von Ragnar Kjartansson und seiner Band höchstpersönlich.

In Island hat er früher in der Electroclashband "Trabant" musiziert. Und das Kunstpublikum gröhlte heiter mit, als die Zugabe, eine rockige Interpretation von Whitney Houstons "I Will Always Love You", ertönt. Sämtliche Barrieren und Genregrenzen wurden niedergebrochen. Und nirgendwo eine Spur vom sonst beißenden Geruch des KünstlerInnen-Präkariats. Zwischen Prunk und Punk: Manche haben gar fantasiert, die Monarchie würde bald wieder eingeführt.

Michael Strasser / TBA21, 2013

"The Visitors", TBA21, Wien 2013

"Die Wiener Sängerknaben sind wie die Simpsons!"

Und so wurde im Rahmen der Ausstellung auch eine heitere Kollaboration möglich:

Ragnar Kjartansson konnte gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Kjartan Sveinsson von Sigur Rós und seinem Musikerbuddy David Por Jonsson ein Stück für die Wiener Sängerknaben erarbeiten, das dann am Eröffnungsabend uraufgeführt wurde. "Stars Exploding" nannte sich das Werk. Im Grunde haben die Sängerknaben für einige Minuten nichts anderes gemacht, als im Loop einen einzigen Satz in allen möglichen Variationen zu singen: "There are stars exploding around us and there is nothing we can do". Die destillierte Unschuld dieser vielstimmigen Performance ragte weit über die Wipfel der Augartenbäume hinaus und erzeugte Gänsehaut. Und der Moment war natürlich auch mit einer gewissen Komik gespickt, genauso wie das Statement des Künstlers Ragnar Kjartansson zur Performance:

"Wir saßen zu dritt am Tisch im Gasthaus und lachten selber bei dem Gedanken, dass wir ein Stück für die Sängerknaben arrangieren. Fuck Yeah! Früher dachte ich immer, die gibt es gar nicht wirklich. Die sind wie die Simpsons!"

Den Radiobeitrag zu Ragnar Kjartanssons Projekt im Wiener Augarten hört Ihr am Samstagnachmittag in FM4 Connected.

"The Visitors" ist eine Ausstellung, die man sich anschauen kann. Und zu den nächsten Eröffnungen der TBA21 kann man auch getrost hingehen, man wird sich amüsieren. Und Ragnar Kjartanssons Arbeiten sind im Allgemeinen auch empfehlenswert.

Seine Arbeit "Satan is Real" zum Beispiel: Wer sich bis zur Hüfte in Dreck eingräbt und mit der Akkustikgitarre ununterbrochen "Satan is real, and he's working for me" singt, hat alle meine Sympathien.

Die Sängerknaben

Michael Strasser / TBA21, 2013

Chapeau, ihr Knaben!