Erstellt am: 7. 3. 2013 - 16:01 Uhr
Journal '13. Eintrag 10.
Anschreiben gegen die sekundäre Stilldemenz: hier, in den nächsten Monaten im Journal '13, der regelmäßigen Web-Äußerung in ungeraden Jahren. Im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 heuer nicht täglich.
Inhaltlich bleibt alles wie im Twitter-Profil annonciert: "Martin Blumenau, Chief Coordinator bei Radio FM4, Moderator, Autor und Blogger zu den Themen Jugendkultur, Demokratie- und Medienpolitik, Musik und Fußball."
Heute mit einem Exkurs zum Thema Arbeit, Innovation und Reibung.
Siehe dazu auch:
Journal '03, neunterfebruar. Das Frau-Ida-Phänomen.
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Journal 2011. Eintrag 118. Drinnen/Draußen. Das Hannes-Eder-Axiom.
Kürzlich hat Marissa Mayer einen ordentlichen Backlash losgetreten. Frau Mayer ist die neue Chefin bei Yahoo und als eine ihrer ersten Amthandlungen hat sie die fortgeschrittene Home-Office-Kultur ihrer Firma zurück ins 20. Jahrhundert geholt: die Angestellten werden wieder ins Büro zurückbeordert. Zurück an den Schreibtisch.
Und zwar wegen der verbesserten Kreativität.
Jahrelang war die gegenteilige Ideologie en vogue: Auslagern der Arbeit in stressfreie Privat-Zonen, in denen Tüfteln, Probieren und hartnäckiges Dranbleiben deutlich leichter funktionieren als im Büro-Alltag mit seinen dutzenden Ablenkungen, klassischen Intrigen oder fehlgeleiteten Begehrlichkeiten von Vorgesetzten.
An sich ist das auch richtig gedacht.
Nur hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, dass das nur bei bereits klar abzugrenzenden, deutlich definierten und von Einzelnen bewältigbaren Problemstellungen funktioniert. Für die schnelle Reaktion innerhalb komplexer interaktiver Systeme hilft die Home-Office-Vereinzelung nichts. Für reaktive Innovation ist die schnelle (und oft auch zufällige) Kombination (oder Zusammenrottung) von gleichzeitig Anwesenden unabdingbar.
Zürück an den Schreibtisch, zurück zum Kaffeeschwatz
Das spricht für das System "Redaktion", an das ich immer dann umso dogmatischer glaube, wenn ich mich besuchsweise in einer klassischen aufgehalten habe.
Gestern untertags habe ich den Leiter einer sehr großen Redaktion erlebt, als er mit dramatischen Worten Rahmenbedingungen für genau die Kreativität, die schnelles Reagieren ermöglicht, eingefordert und als überlebenswichtig bezeichnet hat; nachdem einige Vertreter einer anderen sehr großen Abteilung, in der fast ausschließlich vereinzelt, trotz räumlicher Nähe privatim gearbeitet wird (weshalb ich mich sträube sie Redaktion zu nennen) minutenlang Belege für strukturelle Langsamkeit in den Raum gestellt hatten.
Gestern abend ist mir dann der Anfang einer dann doch sehr öden farokimäßigen Doku auf arte begegnet, die sich mit Arbeitsorgansisation befasste.
Zwar wollen da die Architekten Gebäude entwerfen, die die Menschen erst gar nicht dran erinnern sollen, dass hier drin gearbeitet werden soll - immerhin waren die angeführten Basics dann weniger verlogen. Nachdem das Büro mittlerweile sowohl hard- als auch softwaremäßig überflüssig geworden ist, bleibt nur noch der Kommunikations-Aspekt; und das ist vor allem der informelle Austausch Quell für Innovation. 80 % aller Informationen entstehen durch zufällige, ungeplante Kommunikation. Sagt eine MIT-Studie.
Listenabhaken, Zeitabsitzen, Kuscheln...
Eh klar, sagt der Hausverstand in uns allen.
Wissen wir, und nicht erst seit der Entdeckung des Frau Ida-Phänomens (Kurzversion: die Redakteure erzählen einander im Tratsch meist bessere Geschichten als den Lesern/Hörern/Usern). Wird aber kaum gelebt, weil dem genauso wichtigen Hannes Eder-Axiom (Kurzversion: nur wer raugeht, kriegt auch Input) auch keine Bedeutung zugestanden wird.
Wirklich gelebt in den allermeisten Redaktionen wird ein dröges Nine-to-Five-Prinzip, das wiederum den Copy-Paste-Journalismus und das Abhaken von Themenlisten fördert, nicht aber eine lebendige Herangehensweise, nicht aber kreative Prozesse, geschweige denn Innovationen.
Wer seine Zeit absitzt, anstatt sie zu nützen, bringt niemandem etwas, nicht einmal sich selber. Das, was Frau Mayer mit ihrer Maßnahme erreichen will, die soziale Reibung, aus der laut MIT dann erst was wirklich Neues entstehen kann, das lässt sich nicht dekretieren. Man kann Rahmenbedingungen schaffen, in denen sowas leichter geht; Bedingungen wie sie im Silicon Valley eh auch üblich sind, mit Mingle-Spaces und der Überbetonung von Meeting Points und Coffee-Corners.
Angst vor Auseinandersetzung verödet ganze Landstriche
Es braucht aber einen weiteren Treiber: nämlich die Lust auf Auseinandersetzung. Mit den Kollegen, mit den Vorgesetzten mit den Themen, mit den Geschichten, mit den Zugängen und noch einmal mit den Kollegen, auch denen aus dem Nachbarhaus. Das spielerische Durchkauen von Wichtigkeiten, das Ringen um Bedeutung, das Verhandeln von Begehrlich- und Wichtigkeiten.
Wo diese Lust einmal rausgetrieben wurde, kommt sie nur mit sehr viel Aufwand wieder. Wenn einstmals brummende Häuser innerhalb von ein paar Jahren geistig veröden, hilft nur der Umzug. Wenn Redaktionen den kuschelig-wohligen Umgang und das dadurch entstehende gute soziale Klima höher zu schätzen beginnen als die Qualität des Outputs, geht jeder Funke schnell aus. Wenn der Respekt fürs Freaktum der anderen einem an den Büro-Tugenden gewachsenen Allerwelts-Berufsbild geopfert wurde, kann nichts Ungewöhnliches entstehen.
Das ist als ob sich ein Programm mit Vertiefungsanspruch damit begnügte, die langweilige redundante Meinungsumfrage als Feigenblatt fürs Selberdenken einzusetzen.
Da kann Marissa Mayer dann auch nichts machen.