Erstellt am: 7. 3. 2013 - 20:00 Uhr
Das ist unser Haus!
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Das Haus an der Müllerstraße 6 ist auf den ersten Blick alles andere als ein Schmuckstück. Kein Gründerzeit-Altbau mit hohen Decken, sondern ein Neubau aus den Fünfziger Jahren, wie sie in Städten, deren Bausubstanz im Zweiten Weltkrieg stark gelitten hat, häufig sind. Aber aufs zweite Hinsehen gewinnt das Haus nicht nur an architektonischem Charme. Auch die Lage macht es wertvoll: direkt zwischen Altstadt und Gärtnerplatzviertel, in einer Gegend, die seit langem als Schwulenviertel und seit ein paar Jahren auch als Szeneviertel Münchens gilt und durch das der Windstoß der Gentrifizierung gerade ganz besonders heftig weht.
Gärtnerplatz und Glockenbach
Rainer Werner Faßbinder hat hier Theater gemacht, Fußballer wie Bastian Schweinsteiger, denen das Reichenghetto Grünwald zu schnarchig ist, wohnen hier oder im angrenzenden Glockenbachviertel, die Sportfreunde Stiller sind schon vor ihren großen Erfolgen hergezogen. Aber hier leben eben auch noch jede Menge Menschen in unrenovierten Alt- und Neubauwohnungen, die noch nicht den Immobilien-Haien zum Opfer gefallen sind, von denen München seit den Achtziger Jahren heimgesucht wird.
Der Viktualienmarkt ist ums Eck und die Schrannenhalle, eine Art Lugner-City für Reiche, ebenso. Direkt hinter dem Haus an der Müllerstraße 6 liegt das Bürgerhaus Glockenbachwerkstatt, das trotz seines beschaulichen Namens neben Kindergarten und Jugendtreff auch Punk- und HipHop-Konzerte veranstaltet. Und das in seinem verwinkelten Hof einen Bolzplatz beherbergt, an dem sich die neueste Geschichte des Hauses Müllerstraße 6 entzündet hat.
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Das Haus gehört, wie die angrenzenden Gebäude, der Stadt München und die hat beschlossen, dort einen Neubau zu errichten, da das Ensemble unrenovierbar sei. Freilich hätte dafür der Bolzplatz der Glockenbachwerkstatt weichen müssen, und genau dagegen hat sich eine Bürgerinitiative stark gemacht, mit prominenter Unterstützung: die Sportfreunde Stiller, der Blumentopf, der Ex-Fußballer Mehmet Scholl, Rapperin Fiva, Kabarett-Doyen Dieter Hildebrandt oder der Filmregisseur Marcus H. Rosenmüller, um nur einige zu nennen.
Renovieren mit den Sportfreunden
Bei einer Hausbesichtigung haben die AktivistInnen dann entdeckt, dass in einer der angeblich dauerhaft unbewohnbaren Wohnungen ein Flüchtling untergebracht war - ganz offiziell vom Sozialreferat. Der wurde heimlich ausquartiert, und die Wohnung innerhalb von sechs Tagen renoviert. Mit Besen, Spachteln, Pinseln und nach eigenen Angaben nicht einmal 3.000 € Materialkosten machten die mehr und die weniger prominenten Gorillas aus einer Bruchbude ein Schmuckstück - mit Eichenparkett! Heute hat der Bewohner seine Wohnungsschlüssel wieder bekommen.
Am Montag ist ein Video dazu online gegangen und hat dermaßen viel Aufsehen erregt, dass der Münchner Oberbürgermeister (und ehemalige Mieteranwalt) Christian Ude die Causa zur Chefsache erklärt hat. Wohl vor allem, weil auch in Bayern Superwahljahr ist und Ude gern erster Bayerischer SPD-Ministerpräsident seit 1957 werden möchte.
Hinter dem Video steckt eine angebliche Immobilienfirma, die sich Goldgrund Immobilien Organisation nennt, und die auf ihrer Website mit genau den hohlen Immophrasen protzt, die in der Szene Standard sind.
Goldgrund Immobilien: Gentlefizierung
Goldgrund Immobilien ist eines der vielen Projekte von Tausendsassa Till Hofmann, der in München mehrere Kabarettbühnen und Kneipen und in Wien den Stadtsaal (mit)betreibt und nebenbei noch LaBrassBanda und Moop Mama managt. Als vor zwei Jahren die Kultkneipe Schwabinger 7 zusperren musste, weil ein Investor das Grundstück verwerten wollte, plakatierte Till Hofmann Pläne für ein angebliches Luxuswohnprojekt L'Arche de Munich mitten auf öffentlichem Grund: auf Schwabings zentralem Platz, der Münchner Freiheit, sollte eine Gated Community für Superreiche entstehen.
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"Da gab's eine Menge Leute, die das Projekt ernst genommen haben. Allein das zeigt, was die Leute in München schon alles für möglich halten", meint Hofmann. Bei der Müllerstraße 6 und den angrenzenden Gebäuden Müllerstraße 2-4, die eine hundert Jahre alte Bausubstanz haben, vermutet Hofmann städtische Spekulation – auch die städtische Immobilienholding sei ja angehalten, Gewinne zu erzielen. Im Laufe der letzten zehn Jahre seien die Wohnungen in den Häusern der Müllerstraße 2-6 sukzessive geleert worden - bis auf einzelne Wohnungen, in die eben junge Flüchtlinge einquartiert worden seien. "Das zeigt dann auch, wieviel einem Flüchtlinge wert sind", meint Till Hofmann, "wenn sie in die angeblich unbewohnbaren Wohnungen gesteckt werden."
Die Wohnungsmisere im Wahlkampf
So egal das Thema Wohnungsmisere den PolitikerInnen fast aller Lager Jahrzehnte lang war, so prominent ist es im heurigen Wahlkampf. Selbst die CSU, in der Vergangenheit stets Schutzherrin und politische Heimat für Spekulanten und Investoren, hat das Thema für sich entdeckt.
Jetzt könnte man meinen, die Debatte um Wohnungen oder Bolzplatz oder um Neubau oder Sanierung sei ein Streit um des Kaisers Bart. Mitnichten. Denn ein Neubau würde, nach Rechnung der AktivistInnen, mindestens 7 Millionen € kosten. Billig könnte Wohnraum in einem zu diesem Preis entstehenden Haus nicht sein - egal ob, wie angekündigt, auch ein paar Sozialwohnungen entstehen. Und es geht natürlich nicht nur um das Schaffen von Wohnraum, sondern auch um den Erhalt gewachsener Strukturen.
Inzwischen spricht die Stadt auf Initiative von Ude immerhin auch wieder über die Möglichkeit, die drei Gebäude und den Bolzplatz zu erhalten - wenn das auch nur eines von sieben möglichen Szenarien sei, so Hofmann. Christian Ude hat immerhin angekündigt, dass die Stadt auch die anderen Wohnungen renovieren wird, um sie zumindest bis 2015 zu nutzen, wenn Abriss oder Generalsanierung in Angriff genommen würden. Till Hofmann schlägt vor, die drei Häuser komplett zu renovieren und dann ein Integrationshaus nach Wiener Vorbild zu errichten. "Die Flüchtlinge könnten dann auch die Infrastruktur der Glockenbachwerkstatt nützen, das würde bei der Integration helfen." Das Gärtnerplatzviertel könnte einen solchen Gegenpol zur Gentrifizierung jedenfalls vertragen.