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Christian Pausch

Irrsinn, Island, Ingwer.

8. 3. 2013 - 12:36

Vergöttert und Verhasst

Mumford & Sons waren in Wien zu Gast und wurden von einer Masse jubelnder Fans gefeiert. Doch es gibt auch eine große Anzahl von Menschen, die diese Truppe förmlich hassen.

Dieser Artikel entstand mit Unterstützung von auchsuperwichtig

Auf meinem Weg zum Gasometer, wo gleich Mumford & Sons ihr erstes Wien-Konzert geben werden, sitze ich in der U-Bahn und versuche meine Gedanken zu ordnen, doch es gelingt mir nicht. Zu viele unterschiedliche Stimmen schwirren mir durch den Kopf: die Stimme meiner Freundin J., die Mumford & Sons hasst, aber den Grund dafür nur schwer in Worte fassen kann, die Stimme des Kollegen P., der die Band "gar nicht so schlimm" findet und die vielen Stimmen der Zuschauer_innen aus Live-Youtube-Videos, die bei jedem Song mitgröhlen und vor Begeisterung in die Hände klatschen, bis sie wund sind.

Quo vadis?

Zwei Tage vor dem Konzert gab es in meinem Facebook-Freundeskreis sogar Diskussionsrunden zur Band, in der sich die meisten tatsächlich gegen die britischen Folkrocker ausgesprochen haben. "Die neue Kelly Family für Hipster", zitiere ich P. "So wie Hollywoodfilme halt irgendwie: vollkommen daneben und am Ende unklar.", kritisierte A.

Inmitten all dieser Stimmen, durch den dunklen Dickdarm der Stadt rasend, sitze ich also und frage mich, wie dieser Abend ausgehen wird. Werde ich das bevorstehende Konzert als Fan verlassen, oder werde ich der Erste sein, der das Unwohlsein, das M&S bei so vielen auslöst, endlich verbalisieren kann?

Ich sag' es gleich: dieser Bericht wirft vielleicht mehr Fragen auf, als er (und somit eigentlich ich) jemals beantworten kann.

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Mona Hermann

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In meiner Vorstellung ist M&S vor allem eines: eine Pärchenkonzert-Band. Soll heißen, dass ich befürchte, keine Pogo tanzenden Massen vorzufinden, sondern eng umschlungene - im schlimmsten Fall sich abknutschende - Pärchen, die mir die Sicht verstellen. "Zwei Menschen, die wie Steine nebeneinander hocken, nennt man Pärchen.", zitiere ich aus meinem Gedächtnis (und daher schwammig) und aus einem Buch von Christiane Rösinger. Zumindest heute Abend im Gasometer trifft das nicht ganz zu: die Pärchen, die hier sind, hocken nicht neben-, sondern aufeinander. Das Auf-Der-Schulter-Sitzen erlebt anscheinend eine Renaissance. Zumindest bei M&S-Konzerten.

Doch das Phänomen, welches ich am häufigsten beobachte und an welches ich vorher in keinster Weise gedacht habe ist nicht das klassische Pärchen, sondern die männliche Junggesellengruppe. Überall im Raum sehe ich Gruppen von drei bis zehn zusammenstehenden Burschen, die sich dieses Konzert gemeinsam geben. Da kann man natürlich nichts dagegen sagen, das ist auch bei anderen Konzerten so und nun wirklich nichts M&S spezifisches.

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Bromance

"Glaubst du sind das romantische Menschen?", fragt mich meine Begleitung M. und meint die Band, die gerade unter Gejohle Aufstellung nimmt. "Wenn das keine Romantiker sind, sind sie zumindest gute Lügner.", wird M. später am Abend noch sagen. Und da geht es mir auf wie ein Stern über Betlehem: Nicht Romantik ist das gesuchte Wort, sondern Bromantik, Bromance - genau. Die vier Männer und ihre männlichen Mitmusiker auf der Bühne, die ihre Banjos shredden, spiegeln sich also im Publikum wieder.

Klar, jetzt sagen alle, dass auch Frauen im Publikum waren und zwar nicht wenige, es war sogar sehr ausgeglichen, aber ich glaube nun trotzdem zu wissen, dass M&S vor allem von ihren männlichen Fans getragen werden, weil diese die Band dringend brauchen. Bei M&S kann man nämlich endlich einmal schnulzige Sachen singen, aber so laut und so getrieben und übertönt von harten Gitarrenseiten und einer hämmernden Bassdrum, dass es fast schon wieder cool sein könnte.

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Guilty Pleasure

Am Ende des Abends sagt mir ein Zuschauer, dass er sich bei den ruhigen Teilen des Konzerts nicht ganz so wohl gefühlt hat. "Wenn man diese sanften Songs gerne mag, fühlt sich das schon fast so an wie ein Guilty Pleasure." und bestätigt meine Theorie somit ziemlich gut. Aber bringt mich das auf der Suche nach dem Grund für den verbreiteten M&S-Hass weiter? Muss man sich eigentlich für die Songs schämen und kann man nur durch die Lautstärke - und das von Freundin J. verwunschene Banjo - tatsächlich mitmachen beim M&S-Zirkus?

Mumford & Sons schreiben keine aufrüttelnden Songtexte, schon gar keine politischen. "Their lyrics are about so many things in life. Fantastic", sagt mir eine extra aus der Slowakei angereiste Fanin. Aber stimmt das? Ja klar, es geht um Liebe, ums Verlassen-Werden, ums auf den_die andere_n warten. Das sind Dinge aus dem Leben, da hat sie Recht. Aber wo sind da die Ecken und Kanten, die doch das Leben ausmachen? Ich finde sie nicht.

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Mona Hermann

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Sollte sich an dieser Stelle des Berichts schon ein hoher Wutpegel auf den Verfasser eingestellt haben, kann ich leicht beruhigen, denn all die Zweifel, die ich im Vorfeld und am Anfang der Show hatte, wurden in einem einzigen Moment weggeblasen, hinauf in die mit Heurigenlichtern behängte Gasometer-Decke: Die Katharsis kommt in Form eines Songs ("Little Lion Man"), bei dem ich plötzlich in die Hände klatsche und mitsinge und lieber springe, als wie zuvor cool an der Bar zu lehnen.

Ein bisschen Spaß muss sein?

Weil sie halt doch Spaß macht, die Musik von Mumford & Sons. Freundin J., die Kritikerin, meinte im Vorfeld: "Die Musik von M&S ist halt so ein bisschen simpel, naturverbunden, romantisch, grundsympathisch, das mögen die Leute halt in Zeiten der Krise." Und ja, ich verstehe auch warum, denn in einer Zeit voller Probleme, muss man da die Unebenheiten der Gesellschaft auch noch in den Texten, in der Musik von Bands suchen, auf deren Konzerte man geht?

Für mich persönlich lautet die Antwort: Ja, das muss man, das muss ich. Denn das macht für mich eine Band zur Lieblingsband: Musik und Botschaft, beides gut, beides unterstützenswert. Dennoch ist mein Verständnis für Mitgröhlen, Sich-gehen-lassen und Nicht-Nachdenken-Wollen (zumindest für einen Abend) durch dieses Konzert auf jeden Fall gewachsen, auch wenn ich nie ein Fan davon werden möchte.

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Mona Hermann

Man kann über Mumford & Sons nichts Böses sagen, sie sind eine sympathische Truppe, sie sind gute Musiker (der Sänger am Schlagzeug - ein Traum!), sie haben Erfolg, den man ihnen gönnen muss. Woran man sich stoßen kann, ist die Unreflektiertheit, die wie ein Rattenschwanz an den meisten von ihren Liedern hängt und die die Massen (für viele unverständlicherweise) dennoch in den Bann ziehen.

Das Gasometer war gestern Abend ein Ort voller fröhlicher und friedlicher Gesichter, in dem ich mich pudelwohl gefühlt habe. Das alles ist Mumford & Sons zu verdanken. Später hat man mir erzählt, dass es irgendwo im Raum und mitten während des Konzerts eine Schlägerei zwischen zwei Männergruppen gegeben habe, aber das kann ich mir kaum vorstellen...