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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 3. 2013 - 21:53

Journal '13. Eintrag 9.

Der Bedeutungswandel des Taktik-Begriffs. Eine Bilanz der beiden Ski-Weltmeisterschaften und ihrer medialen Begleitung.

Anschreiben gegen die sekundäre Stilldemenz: hier, in den nächsten Monaten im Journal '13, der regelmäßigen Web-Äußerung in ungeraden Jahren. Im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 heuer nicht täglich.

Inhaltlich bleibt alles wie im Twitter-Profil annonciert: "Martin Blumenau, Chief Coordinator bei Radio FM4, Moderator, Autor und Blogger zu den Themen Jugendkultur, Demokratie- und Medienpolitik, Musik und Fußball."

Heute kommt ein wenig Skisport dazu.

Siehe dazu auch:
Journal '13. Eintrag 3: Alle, die vom Zuschauen beim Skispringen wegen zu vieler einflussnehmender Faktoren überfordert sind: ab in die Rente!

Natürlich ist der ÖSV Klasse, der beste Sportverband des Landes; straff organisiert, auf geschäftlichen Erfolg getrimmt, Natürlich sind die sportlichen Verantwortlichen des ÖSV aufgeschlossene Vorreiter, was Materialverbesserungen, Trainings-Methoden und Coaching betrifft. Und natürlich ist Taktik ein wichtiger Teil der Arbeit.

Interessanterweise war der Begriff noch nie so präsent wie bei den beiden absolvierten Weltmeisterschaften, vor allem bei den Nordischen, aber auch bei allen Teamwettbewerben.

Der eklatante Unterschied zum anderen bedeutenden Sportzweig Österreich: beim ÖSV wird der Begriff richtig eingesetzt. Im Gegensatz zum Fußball nämlich, dessen definitionsmächtige Taktik entweder als "überschätzt" oder als Zwangsjacke, von der sich der echte Instinktkicker befreien muss abtun, weiß man beim ÖSV: alles abseits der sportlichen Performance wird von Taktik bestimmt. Wer plant, vorausdenkt, antizipiert, Varianten durchdenkt, ist dem der sich allein auf das was auf der Piste passiert verlässt, überlegen. Wer derlei hanskranklmäßig als Taktisieren abtut, landet im Hintertreffen; der ÖSV hingegen befindet sich im Spitzenfeld.

Der ÖSV taktisierte durchaus weltmeisterlich...

Zumindest was die amerikanische Zählung betrifft. In den USA werden die Medaillen-Tableaus nämlich nach der Gesamtanzahl sortiert. So gesehen war der ÖSV Erster in Schladming und Dritter in Val di Fiemme. Nach der europäischen Zählweise ergab das nur die Ränge 2 und 6, weil eine Vielzahl von 2. und 3. Plätzen erreicht wurde und nur dreimal (und nur in einem einzigen Einzelbewerb) auch gewonnen wurde.

Weil die Möglichkeiten nicht optimal ausgeschöpft wurden; weil die diesmal zurecht vielbeschworene Taktik einigemale eben auch danebengegangen war.

Auf hohem Niveau, durchaus.
Trotzdem: die Fehlaufstellung in der Staffel der nordischen Kombinierer oder die überzogene Luken-Spekulation bei den Springern standen einer besseren Bilanz im Weg. Und dass bei den Nordischen im ÖSV in der Zusammenarbeit mit den (noch dazu österreichischen) Skiherstellern deutlich Luft nach oben besteht, wurde nach dem Eklat, den Scheiß-Mi-Nix Mario Stecher mit seinen Vorwürfen an Fischer auslöste, überdeutlich.

... wenn auch mit einigen überraschenden Schwächen

Bei den traditionell (aufgrund des Bewusstseins ihrer ökonomischen Bedeutung für Ski-Industrie und Tourismus) wesentlich selbstsichereren (und deshalb auch arroganteren und fehleranfälligeren) Alpinen sind die Probleme und Fehler nicht so augenfällig, weil ihre Arbeit medial nie so transparent (Stichwort Preiml, das Springerwunder der 70er) aufgearbeitet wurde wie die der nordischen Kollegen, sondern gern auf Haudrauf-Burschikosität (von Charly Kahr bis Annemarie Pröll) gesetzt wurde.

Allerdings ist die Nervosität, mit der der socialmedial bekanntgewordene Hirscher-Wunsch nach einem Super G-Start danach niedergedrückt wurde, ebenso ein Indikator für die vergleichsweise schwache Coaching-Leistung wie die Tatsache dass in der (ebenso hirscherlosen) Kombination gar nur drei Starter aufgestellt wurden (wann hat der ÖSV zuletzt ein Starter-Kontingent nicht genützt, zumal bei einer WM?).

Der schlimmste taktische Fehler hatte zumindest keine Folgen:
im prestigeträchtigen Teamwettbewerb hinter Marcel Hirscher und Philipp Schörghofer den jugendlichen No Name Marcel Mathis als Ersatzmann aufzustellen, ist ebenso dämlich wie im EM-Finale nicht die bestmögliche Ersatzbank, sondern die U19 zu nominieren, weil die so brav trainiert hatte. Hätte sich Hirscher ein Wehweh zugezogen - sein junger Einspringer wäre vor Heim-WM-Nervosität wohl von der Piste geflattert und das erlösende Team-Gold (das erst Hirschers finale Slalom-Leistung möglich gemacht hat) wäre verloren gewesen.

Taktische Fehler also allerorten. Erwähnenswert, wiewohl auf durchaus hohem Niveau. Wirkliche Probleme haben andere.

Die Medien müssten wachgerüttelt sein, schlafen aber weiter

Etwa auch Österreichs Sportjournalisten. Die sind vom Bedeutungswandel des Taktik-Begriffs hör- und lesbar überfordert. Das, was sie - schafbrav den Krankls dieser Szene nachplappern - in ihren zahnlosen Fußball-Berichten als überschätzt und zwangsjackenmäßig niederschreiben, hat plötzlich im Skisport echte Relevanz. Würde der Mainstream das was er tut, auch tatsächlich hin und wieder durchdenken, wäre er zu einem Paradigmenwechsel geradezu gezwungen.

Da man sich allerdings wohl auch weiter nur auf Stammtisch-Niveau bewegen will (und mehr traut sich diese Branche einfach nicht, sie wird sich solange an die Unterhaltung anbiedern, bis sie dort gelandet ist - und dann auch zurecht aus dem journalistischen KV ausgegliedert und der PR-Branche überantwortet werden kann) wird auch diese Chance ungenützt vorübergehen.

Oder hat einer von euch irgendwo eine Hintergrund-Geschichte zur Stecher/Fischer-Problematik, eine ernsthafte Analyse der ÖSV-Performance bei den beiden WMs, ein Stück Datenjournalismus zur Luken-Wahl bei den Springern oder irgendetwas über Stargetue und platten Patriotismus hinausgehendes gelesen oder gesehen?