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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

4. 3. 2013 - 17:11

Headbangen mit dem Tod

Kantiger, verzerrter Indiepop über den Tod und das Leben. On An On liefert mit dem Debüt "Give In" schon jetzt eines der besten Alben 2013 und ist damit unser Artist Of the Week.

Ein winzig kleiner Schlagzeugbeat rollt durch den Raum. Dann setzen Gitarre und Bass ein. Die Harmonien der Single "Ghosts" erzeugen ein herzzerreißendes Sehnsuchtsgefühl. Die Stimme von Nate Eiesland mischt sich mit dem stark angezerrten Sound zu einer choralartigen Leidenshymne, die durch Mark und Bein geht. Ich rüttle an meinem Kopfhörerkabel, denn manchmal erklingen die flächigen Sounds im schmalen Monosound und plötzlich erfüllen sie wieder den ganzen Klangraum im Stereopanorama. Warum zerrt jetzt plötzlich wieder alles, um einige Sekunden darauf dann wieder geschmeidig durch die Gehörgänge zu schunkeln?

Die außergewöhnliche Soundästhetik und die eigenwillige Produktion macht das Debüt "Give In" von dem Trio On An On zum großen Hinhörer. Die Reaktionen sind unterschiedlich, aber nie emotionslos, wie Nate erklärt:

"Viele Leute haben uns gesagt, eure Platte klingt falsch! (lacht) Und das ist total okay für uns. Im Studio haben wir sehr instinktiv, fast wie Tiere gearbeitet. Und einige Sachen, die wir dort gemacht haben, sind vom technischen Standpunkt her wirklich nicht korrekt. Aber das passt gut zu unserer einzigartigen Qualität, nämlich dem Willen, als falsch wahrgenommen zu werden."

Wobei falsch ist an dieser Band gar nichts. Im Gegenteil. Sie schafft gleich mit ihrer ersten Platte etwas, was manche ihre ganze künstlerische Karriere vergeblich versuchen: einzigartig, abwechslungsreich zu klingen und dabei große Emotionen hervorzurufen.

Bandfoto ON AN ON

Kyle LaMere

Phönix aus der Asche

Nate Eiesland, Alissa Ricci und Ryne Estwing legen mit "Give In" zwar ihr erstes Album vor, allerdings haben sie schon jahrelang bei der Band Scattered Trees gespielt und dieser mehr als nur Zeit geopfert. Denn die Mitglieder der klassisch angelegten Indieband erhofften sich Erfolg und Ruhm. Für Nate war die plötzliche Auflösung der Scattered Trees umso mehr ein herber Schlag. Außerdem war schon die Studiozeit für ein neues Album mit Broken Social Scene Produzent Dave Newland gebucht. Also was tun?

On An On Albumcover "Give in"

On An On

Nate, Alissa und Ryne entschließen sich dazu, mit ein paar Songskizzen mit Produzent Newfeld trotzdem ins Studio zu gehen und unter anderem Namen einen Neuanfang zu wagen. Daher erklärt sich einerseits, dass die zehn Song sehr gereift und abwechslungsreich klingen, andererseits, dass On An On sich von Anfang an sich gegen polierte Pop-Songstrukturen und eine fette Kommerzproduktion gestellt haben. So kommen in Songs wie "Cops" ein seltsamer Hybrid aus elektronischen Drumcomputerbeats und verschrobener Liebesballade heraus. In "Bad Mythology" hingegen wird mit britischem Stadionrock gespielt und geschmackvoll mit zirpenden Synthesizern und coolen Gitarrenriffs umgesetzt. Und die wunderbare Liebeserklärung "Every Song" ist mit krachendem Schlagzeug, groovender Bassline und viel gesanglichem Pomp genau so geworden, wie es sich Snow Patrol wohl immer gewünscht hätten.

On An On Live in Österreich:

Headbangen mit dem Tod

"Give In" beschwört im wahrsten Sinne des Wortes die Geister der Toten herauf. Die Single "Ghosts" arbeitet sich an der Frage ab, ob wir als Geister in den Geschichten unserer Nachkommen weiterleben und was aus unseren Geschichten wird, wenn die zweite Generation einmal gestorben ist?

On An On verhandelt in den meisten Songs nicht weniger als die menschliche Existenz. Dabei spielen Tod, Trauer und Abschied die größte Rolle. "All The Horses" ist beispielsweise eine Hommage an Nates Vater. Es erzählt unter anderem davon, dass sein Familienbaum auf einer amerikanischen Farm durch einen Blitzeinschlag in zwei Hälften geteilt wurde und Nates Vater auch in der Mitte seines Lebens verstarb. Auch der Tod von Alissas Mutter wird in dem Lied thematisiert, das wohl einer der absoluten Höhepunkte des Albums ist und auch als Duett gesungen wird.

Bandfoto ON AN ON

Kyle LaMere

"War Is Gone" beschäftigt sich mit dem Tod als schmerzlindernde Erfahrung, wenn man nach langer und schwerer Krankheit im Kampf um das Leben aufgibt. Umgesetzt wird dieses traurige Bild mit einem hoffnungsvoll klingenden, federleichten Indie-Popsong, der trotz schöner Akkordwechsel eine geheimnisvolle Stimmung transportiert. Und "The Hunter" ist sogar nicht nur ein Song über, sondern aus Sicht des Todes. Der Sensenmann als ruhiger unsentimentaler Arbeiter, der leider die Menschen zu sich holen muss, auch wenn er es selbst gar nicht möchte. So ist nun mal sein Auftrag.

Die vielen Verluste von Familienmitgliedern von Nate, Alissa und Ryne haben diese andere, etwas neutralere Sicht auf das Sterben erst möglich gemacht. Dabei entsteht jedoch keine Depression oder düstere Verzweiflung, sondern vielmehr ein Annehmen des unausweichlichen Endes als etwas Tröstendes, nachdem es uns alle verbindet. Dass On An On nicht nur ernste Menschen sind, zeigt das Video zu "The Hunter", denn da könnte man meinen, die Todesboten würden von haareschwingenden Metallern repräsentiert.

Für mich zählt das Debüt "Give In" von On An On schon jetzt zu einem DER Alben des Jahre 2013. Schon lange hat mich eine ganze Platte nicht mehr so berührt und vom Sound her so begeistert. Innovativ, abwechslungsreich und absolut frisch sind nur Hilfsausdrücke für das, was diese Band bei mir heraufbeschwört. Ich kann den kommenden Frühling mit den Songs von On An On im Ohr kaum erwarten.