Erstellt am: 3. 3. 2013 - 16:13 Uhr
Der alte LKW, dein treuer Hund und du
Ein wenig befahrener Highway im mittleren Osten der USA. Ein Lieferant einer Antiquitätenhändlerin muss ein Paket in einer verlassenen Gegend abliefern, findet die genaue Adresse aber nicht. So beginnt eine mysteriöse interaktive Geschichte, von der kürzlich der erste von fünf Teilen erschienen ist. "Kentucky Route Zero" ist weniger Computerspiel denn wundersame Erzählung, die die alten Tugenden der Adventure-Games mit unkonventionellen Ideen neu mischt.
Das ewige Tuckern des alten LKWs, dein treuer Hund und du. Der Protagonist heißt Conway. Wie der Hund heißt, können wir im ersten Dialog mit dem alten Tankstellenbetreiber selbst bestimmen. Am linken Rand des Tankstellengebäudes thront ein riesiger Pferdekopf. Es gibt Probleme mit dem Strom, wir sollen doch mal diese Taschenlampe nehmen und in den Keller schauen. Wenn wir das Problem lösen, sagt der Alte, würde er uns zeigen, wie wir zu dieser Adresse finden.
"Kentucky Route Zero" ist stimmungsvoll und bedächtig. Die Grafik ist eine Mischung aus groben Polygonen und kleinen Details, es wirkt wie gezeichnet und dann mit einem digitalen Filter bearbeitet. Figuren und Schauplätze werden markant eingeführt, neben der Tankstelle gibt es später etwa auch eine alte Villa und eine stillgelegte Mine. Diese Orte sind zentral für die Geschichte, in der es um das Erkunden der verlassenen Umgebung und ihrer wenigen Bewohnerinnen und Bewohner geht. Dabei wird ein bekannter, aber bewährter dramaturgischer Trick angewandt, indem über abandoned places, also ausgestorbenen Gegenden, eine geheimnisvolle Stimmung erzeugt wird. Durch die eigenständige visuelle Ästhetik und die gut geschriebenen Texte wird diese Methode hier aber auf ein besonderes Niveau gehoben.
Wirkliche spielerische Herausforderungen, an denen man scheitern kann, bietet "Kentucky Route Zero" nicht. Das ist für ein Computerspiel befreiend, weil - ähnlich wie das brillante "Heavy Rain" vor drei Jahren - Spielerin und Spieler damit vom taktilen und intellektuellen Leistungsdruck befreit werden und sich komplett auf das interaktive Erlebnis konzentrieren können. Durch das rätselhafte Setting und die Dialoge, die zwischen banal und surreal-philosophisch pendeln, fühlt man sich bei "Kentucky Route Zero" zu keiner Zeit in Distanz zu den Figuren, sondern erzählt durch das Auswählen der Dialogoptionen und das Wechseln zwischen den Orten die Geschichte aktiv mit.
Cardboard Computer
Neben den grafisch dargestellten Hauptschauplätzen gibt es weitere beschriebene Orte auf der Landkarte, die man ebenfalls besuchen kann. Dort wird aber meist nur via Text und Geräusche erzählt, was gerade passiert, und zwischendurch werden Handlungsmöglichkeiten angeboten. So vermählt das Spiel in einer fließenden Art und Weise die Zugänglichkeit und die visuell geprägte Handschrift von Grafik-Adventures mit der ausschließlich erzählerisch geprägten Urform der Abenteuerspiele - den Textadventures. Wenn man von einem grafisch dargestellten Ort auf die in schwarz und weiß gehaltene Straßenkarte wechselt und dann ausschließlich durch Texteinblendungen und Töne etwa auf eine alte Kirche stößt, aus der gedimmtes Licht strömt und in der immer wieder dieselbe Chorzeile gesungen wird, merkt man mal wieder, wie stark die eigenen Imaginationsfähigkeiten sind, und dass totgeglaubte Spielegattungen möglicherweise wirtschaftlich unrentabel, aber kulturell nie obsolet werden.
Cardboard Computer
"Kentucky Route Zero" ist eine erwachsene, minimalistische Variation der alten LucasArts-Adventures. Statt buntem Comiclook und ulkigen Dialogen gibt es verträumte Grautöne und Gespräche mit weitgehend im Dunklen bleibenden Figuren auf der Suche nach sich selbst. Der erste von fünf Teilen ist für Windows, MacOS und Linux als Download erschienen, am zweiten Teil wird derzeit gearbeitet.