Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Martin Kippenberger, Intensitätsmaschine"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

2. 3. 2013 - 09:12

Martin Kippenberger, Intensitätsmaschine

Berühmte und halbberühmte Berliner kamen zur Eröffnung von "Martin Kippenberger: sehr gut | very good". Der Künstler selbst wäre mittlerweile 60 Jahre alt.

Wie wir bereits berichteten, ist schon seit einiger Zeit in der deutschen Hauptstadt eine Sehnsucht nach dem alten Westberlin zu beobachteten. Man kann von einer regelrechten Renaissance Westberlins sprechen. Und die Zeichen mehren sich, die renommierte Fotogalerie c/o muss wie viele andere in Berlin Mitte einem Investor weichen – und zieht um nach Charlottenburg, das alte Herz Westberlins. Und man glaubt, dass andere folgen werden.

Dazu passt, dass im Hamburger Bahnhof letzte Woche die große Kippenberger Ausstellung eröffnet wurde. „Martin Kippenberger: sehr gut | very good“, so der Titel, will keine Retrospektive sein, sondern eine Annäherung an die private und öffentliche Person und den Künstler Martin Kippenberger. In einer großen Werkschau sind auf 3000 Quadratmetern rund 300 Arbeiten zu sehen - neben Bildern auch private Fotografien, Bücher, Plattencover und Filme. Die Skulptur des gekreuzigten Frosches „Zuerst die Füße“ (1990) wird gleich in vierfacher Ausfertigung gezeigt.

Intensitätsmaschine

Bild von Martin Kippenberger

Martin Kippenberger

Die Westberliner Paris Bar. Ein echter Kippenberger, angefertigt von einem Plakatmaler

Massen strömten dann auch letzte Woche zur Ausstellungseröffnung und zwischen den Tausenden, die sich durch die großen Hallen schoben, entdeckte man einige berühmte und halbberühmte Berliner, Rainald Goetz, Ben Becker, Daniel Richter standen da rum, dazu alle möglichen Gestalten, die Jägerhüte und andere ironische Kopfbedeckungen trugen, um sich als dem Kunstbetrieb zugehörig auszuweisen.

Junge Frauen tragen in dieser Szene wohl besonders gerne verfilzte Kinderstrickmützen, vielleicht, um damit ihren Trotz gegen das Establishment und gleichzeitig ihre kindliche Verletzlichkeit auszudrücken? Alles in allem ist bei solchen Gelegenheiten ja ein recht unsympathischer Menschenschlag unterwegs, aber auch ein paar echte Westberliner Nachtlebenskoryphäen waren da und man sprach darüber, wer Kippenberger eigentlich noch gekannt hatte.

Wir nach 1982 Zugezogenen mussten da leider passen, aber irgendwie drängte sich der Gedanke auf, dass dieser manische Künstler, wie so viele Künstler, wahrscheinlich doch gar nicht so ein feiner Kerl war, sondern ein exaltierter Künstleregoist, ein sexistischer Männerdarsteller, ein selbstverliebt-grandioser alkoholkranker Alleinunterhalter, den man gar nicht unbedingt persönlich kennen wollte. Aber das Publikum und der Medienbetrieb lieben ja diese Intensitätsmaschinen, Leute, die eine exzessiv-experimentelle Lebensführung an den Tag legen und so ganz in ihrer Kunst auf- und wenig später am wilden Leben zu Grunde gehen.

Dialog mit der Jugend

Bild von Martin Kippenberger

Martin Kippenberger

"Dialog mit der Jugend"

So wurde Kippenberger zur mythischen Westberliner Figur, obwohl er hier eigentlich nur drei Jahre (1978-1981) verbracht hatte. Um diese Zeit ranken sich hunderte Anekdoten und Legenden, lustige Begebenheiten wie die, als Kippenberger, zu jener Zeit Mitinhaber des Punkschuppens S0 36, wegen Erhöhung der Bierpreise von echten Kreuzberger Punks blutig geschlagen wurde. Eine Erfahrung, die er in vorbildlicher Künstlermanier in seiner Werkserie „Dialog mit der Jugend“ verarbeitete. Diese Geschichten lagern im kollektiven Berliner Gedächtnis – irgendwie war er halt der Andy Warhol aus Berlin, mit seinen Aktionen, seinem Factory-artigen Büro in Kreuzberg.

Mit seiner Serie "Lieber Maler, Male mir" (1981) untergrub er das Klischee des Malergenies, indem er die großformatigen Bilder bei einem Kinoplakatmaler bestellte.

Kippenberger reagierte auf die öffentlichen Empörungen, die er immer wieder verursachte, mit Arbeiten wie "Martin, ab in die Ecke und schäm dich" (1989). Am 7. März 2013 hätte Martin Kippenberger seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert, wäre er nicht nach einem exzessiven Leben bereits 1997 in Wien gestorben.