Erstellt am: 28. 2. 2013 - 15:15 Uhr
Tatort Wirtshaus
"Wir alle gehen ab und zu einmal etwas trinken oder zum Essen in ein Restaurant. Was uns meistens nicht bewusst ist: Jedes zweite Mal befinden wir uns dabei an einem Tatort. In der Regel wird zwar niemand ermordet. Aber es geschieht Betrug, genauer gesagt Sozialbetrug." Julia Vazny-König ist Arbeitsrechts-Expertin bei der Kammer für Arbeiter und Angestellte. Zu ihr kommen Menschen, die im Gastgewerbe beschäftigt sind, meistens dann, wenn sie entlassen wurden.
CC BY 2.0 / Bernt Rostad
Folgenschwere Falschmeldungen
Der Arbeitsrechts-Expertin fiel in den letzten Jahren auf: Immer mehr ihrer Klienten waren teilzeitbeschäftigt, obwohl sie in Wirklichkeit viel mehr gearbeitet hatten. Vazny-König nahm das zum Anlass, die Branche genauer unter die Lupe zu nehmen. Fragebögen wurden verteilt, Daten gesammelt. Das Ergebnis: Von 371 untersuchten Arbeitsverhältnissen waren 45 Prozent falsch angemeldet – fast jedes zweite. Zum Vergleich: 18 Prozent sind es im Baugewerbe – bisher die Branche mit dem schlechtesten Ruf hinsichtlich Schwarzarbeit.
"Wir vermuten, dass die Arbeiternehmerinnen nicht wissen, welche Konsequenzen diese Falschmeldungen haben. Wir haben uns daher angesehen, was passiert, wenn jemand richtigerweise mit 1.800 Euro angemeldet werden müsste, aber nur mit 900 Euro angemeldet ist – das über zehn Jahre hinweg. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung der Arbeitnehmerin kommt man auf einen Pensionsschaden von 100.000 Euro."
Nachrechnen lohnt sich
Angestellte, die sich an die AK wenden, rechnen meist nur mit ein paar hundert Euro Nachzahlung, die sie vielleicht bekommen könnten – in der Praxis schulden ihnen die Unternehmer oft viel mehr. Alfred Schreiner von der AK Burgenland mit einem Beispiel aus der dortigen Beratungspraxis: "Vor kurzem war bei uns eine 40-jährige Kellnerin, die drei Jahre bei einem Unternehmen beschäftigt war. Sie war gekündigt worden und wollte bei uns ihre Endabrechnung anschauen lassen. Auf dieser Endabrechnung standen 400 Euro, die sie zum Schluss des Dienstverhältnisses noch zu bekommen hat. Wir haben nachgerechnet und sind draufgekommen, dass sie viel mehr gearbeitet hat, als gemeldet war. Sie war falsch eingestuft, hat kein Urlaubsgeld und kein Weihnachtsgeld bekommen. Aus den 400 Euro, von denen sie geglaubt hat, das könnte vielleicht um 50 oder 60 Euro zuwenig sein, wurde schlussendlich eine Nachzahlung von 14.500 Euro".
Ganze Gesellschaft zahlt drauf
Hauptbetroffene von Sozialbetrug im Gastgewerbe sind Frauen, und hier besonders Teilzeitbeschäftigte mit kurzen Arbeitsverhältnissen von drei Monaten oder weniger. Betroffen seien letztlich aber alle Steuerzahler in Österreich, sagt der Vizepräsident der AK Wien, Rudolf Kaske, denn der jährliche Abgabenschaden durch Falschmeldungen im Gastgewerbe betrage eine Milliarde Euro. "Jeder hinterzogene Euro an Steuern und Abgaben schädigt unseren Staatshaushalt. Und für die Arbeitnehmerin und den Arbeitnehmer sind diese unseriösen Praktiken lebensentscheidend. Sie rächen sich im Falle der Arbeitslosigkeit, des Krankenstandes und der Pension – Menschen rutschen deswegen in die Armut ab."
Kontrollen und Sanktionen
Die Arbeiterkammer fordert strengere Kontrollen. Außerdem sollten Arbeitnehmer ein Recht haben, dass der Arbeitgeber die Lohnabrechnung aushändigen muss. "Wenn es nicht getan wird, müsste es strengere Sanktionen geben". Ebenso fordert die AK, dass Arbeitgeber monatlich die Beitragsgrundlagen an die Sozialversicherung melden müssen. Beschäftigte sollten außerdem verpflichtend über An-, Ab- und Ummeldung der Sozialversicherung informiert werden. Die Verjährungsfrist für die Beitragseinhebung müsse von fünf auf zehn Jahre verlängert werden.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern empfiehlt die AK, stets genau zu prüfen, ob ihre Anmeldung bei der Gebietskrankenkasse korrekt ist – denn diese kann bei Falschmeldung nur fünf Jahre rückwirkend die fehlenden Beträge vom Arbeitgeber eintreiben. Bei länger zurückliegenden Falschmeldungen kann man einen Prozess auf Schadenersatz führen – der aber ist zeitaufwändig und teuer.