Erstellt am: 5. 3. 2013 - 11:57 Uhr
Überwachen und Strafen
Augen zu: Mit lautem Krachen fallen Stahltüren in ihre Schlösser, von fern hört man das Klappern von Geschirr und das Echo unzähliger Stimmen. Es ist der Sound großer, kahler Räume, das Geräusch von Gittertüren, von Schlüsselbunden, von Männerstimmen. Es ist, ganz ohne Zweifel, der Sound des Gefängnisses, der in "Prison Architect" unser Begleiter ist, und auch wenn die niedliche Cartoon-Grafik mit ihren emsig herumwuselnden orangen Häftlingen und blauen Gefängniswärtern den harmlosen Eindruck einer heiteren Abstraktion vermittelt, erinnert uns die nüchterne, realistische Soundkulisse mit ihrem hallverzerrten Stimmengewirr und ihrer latenten Drohkulisse daran, wo wir sind: im Gefängnis, an einem Ort der Autorität, des Freiheitsentzuges und der Gewalt.
Introversion
Logik der Sachzwänge
Introversion Software, die Macher der Gefängnis-Aufbausimulation "Prison Architect", sind ein Urgestein der Independent-Szene und genau die Richtigen, wenn es um kontroversielle Brüche zwischen Inhalt und Präsentation geht. Schon ihr Strategiespiel "Defcon" (2006) verpackte den Horror des globalen Atomkriegs in eine abstrakte Neonkulisse und schaffte es just durch diese unterkühlte Distanziertheit, den Irrsinn und die Logik eines drohenden thermonuklearen Schlagabtauschs erfahrbar zu machen. Mit "Prison Architect" zwingen uns die britischen Entwickler nun in die Rolle der lokal allmächtigen Autorität eines Gefängnisdirektors und überlassen uns die Verantwortung für Verwahrung, Kontrolle und Bestrafung seiner digitalen Insassen.
Wir beginnen auf einem leeren Grundstück, und nach unseren Vorstellungen errichten wir Zellenblöcke, Stromversorgung und Gebäude unseres Gefängnisses. Ersten Gefangenen folgen nach und nach immer mehr, immer gefährlichere Insassen, und auch die logistischen Anforderungen steigen: Ärzte, Psychologen und Verwaltungsbeamte wollen eingestellt werden, und früher oder später müssen wir uns mit Überbelegung, Aufständen, Bränden oder Ausbruchsversuchen herumärgern - die Vorbilder sind "Theme Hospital" und "Dungeon Keeper", aber auch der ewige Underground-Kult "Dwarf Fortress".
Gouvernementalität im Pixelknast
Wie in "Defcon" demonstriert uns auch das täuschend harmlos aussehende "Prison Architect" die Logik der Sachzwänge, wie sie Spielmechanismen so demonstrativ nachvollziehbar machen können: Mit immer zu knappen finanziellen Mitteln ausgestattet, mit im Vergleich zur Gefängnispopulation krass zahlenmäßig unterlegenem Personal und der für das Aufbauspielgenre originellen Ausgangssituation, dass der Feind nicht von außen kommt, sondern sozusagen ständig im Inneren lauert, stellt sich fast automatisch das repressive Mindset ein, das zu unserer Rolle passt.
Introversion
Achtung, Philosophie: Michel Foucaults gut lesbarer Klassiker "Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses" ist gerade in Zeiten erstarkender Überwachungssysteme und autoritärer Staatsmacht zeitlose Pflichtlektüre.
Ein Gefängnis ist ein Gefängnis ist ein Gefängnis; ob wir nun einen Horrorknast mit maximaler Unterdrückung und Ausbeutung der Insassen oder eine liberale Besserungsanstalt mit Parkanlagen und Bibliotheken managen wollen, bleibt uns, abgesehen von finanziellen Sachzwängen, zwar selbst überlassen, doch schon allein die Aufgabe zwingt uns in das, was man mit dem französischen Philosophen Michel Foucault als Gouvernementalität bezeichnen kann: eine Logik aus sich gegenseitig verstärkenden Mechanismen, die als Ziel ein perfekt ineinander greifendes System aus Kontrolle, Überwachung und Restriktion hat.
Sprich: Wer aus Kostengründen Kleinstzellen baut, muss bald mit unzufriedenen, revoltierenden Häftlingen rechnen, die den Einsatz von mehr Wachen oder Gewalt nahelegen; wer mehr Gewalt anwendet, muss mit größeren Aufständen rechnen, denen schon architektonisch vorgebeugt werden kann, und so weiter. Die Aufgabe des Spielers ist es, diesen ständig bedrohlich wackelnden Turm aus Bauklötzen durch Nachjustierungen und Improvisation am Einsturz zu hindern.
Introversion
Frühzugang im Alpha-Stadium
Wie konsequent "Prison Architect" diesen Spagat zwischen anschaulicher Systemabbildung und kreativer Spielerentscheidung letztlich bewältigen wird, ist derzeit noch etwas unklar, denn bislang ist das Spiel noch beileibe nicht fertig. Wie von "Minecraft", aber auch "Don't Starve" vorgemacht, bietet Introversion seit September aber die Möglichkeit an, sich im "Early Access" bereits während des Alphastadiums als Gefängnisdirektor zu versuchen. Über eine Million Dollar hat diese Vorgehensweise bereits in die Kassen der Briten gespült, nicht zuletzt auch wegen der bereits seit Anbeginn großen Spielbarkeit der Alpha-Version, die schon jetzt stundenlanges Experimentieren im Sandboxmodus bietet. Natürlich erhalten Alpha-Funder bei Erscheinen das vollständige Spiel, sie haben jetzt aber schon die Möglichkeit, den Entwicklern gleichsam live bei der Fertigstellung dieses faszinierenden Projekts über die Schulter schauen zu können.
"Prison Architect" ist derzeit im "Early Access" für Windows, Mac und Linux spielbar; der Mindestbeitrag beträgt ca. 23€, großzügigere Unterstützer werden z.B. im Spiel als Gefängnisinsassen verewigt.
"Prison Architect" ist trotz seiner täuschend niedlichen Cartoon-Oberfläche ein überraschend komplexer Ameisenhaufen, der durch seine Verknüpfung vieler, im Einzelnen simpler, in ihrem Zusammenwirken aber höchst komplex werdender Grundregeln das Kunststück fertigbringt, moralische Fragen in den Spieler selbst auszulagern, ohne selbst den Zeigefinger zu erheben - eine knifflige Aufgabe angesichts kontroversieller Details wie etwa der Todesstrafe, die später im Spiel gemeinsam mit einem handlungsintensiveren Kampagnenmodus zum Grübeln anregen soll.
"Prison Architect" ist aber schon jetzt ein höchst faszinierender Selbstversuch in Sachen Mechanismen und Architektur der Macht - und wer die Augen schließt und nur dem Sound lauscht, versteht schon jetzt, dass das niedliche Äußere täuscht.