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Paul Pant

Politik und Wirtschaft

26. 2. 2013 - 16:31

Das Geschäft mit der Leiharbeit

LeiharbeiterInnen sind "de facto" den StammmitarbeiterInnen gleichgestellt, sagt die Wirtschaftskammer. Ist das wirklich so? Eine Bilanz aus Arbeitnehmersicht.

Leiharbeit ist nicht nur in Deutschland eine boomende Branche. Auch in Österreich erfreuen sich die flexibilisierten Arbeitskräfte großer Beliebtheit. Die heimische Firma Trenkwalder gilt als Pionier der Leiharbeit in Europa, die im letzten Jahrzehnt einen Aufschwung erlebt hat.

Der Fall Amazon:
Ein Lehrstück, wie sich Politik und Wirtschaft das "Bummerl" Leiharbeit gegenseitig zuschieben wollen und von der Arbeitslust und dem Wanderfrust

Dass jetzt mit dem Fall Amazon die ganze Leiharbeitsbranche in ein schiefes Licht gerückt wird, versteht die Österreichische Wirtschaftskammer (WKÖ) nicht. Die heimischen LeiharbeiterInnen würden korrekt behandelt und entlohnt und wären den StammarbeiterInnen beim Entgelt "de facto" gleichgestellt, sagt Erich Pichorner, Bundesvorsitzender der Personaldienstleister in der WKÖ gegenüber der APA. Während der Arbeit im Überlassungsbetrieb bekämen sie mindestens den dort geltenden kollektivvertraglichen Lohn, in ausgewählten Hochlohnbranchen sogar Zuschläge von bis zu 20 Prozent.

Mann an einer Kreissäge

APA/HERBERT PFARRHOFER

Eine Frage der Perspektive

Im Jahr 2012 hat es mehr überlassene Arbeitskräfte ( LeiharbeiterInnen, ZeitarbeiterInnen) gegeben als jemals zuvor. Seit 2000 ist ihre Anzahl um 160 Prozent gestiegen.

In der Arbeiterkammer (AK) kann man dieser Perspektive nicht viel abgewinnen. Die AK hat sich die Situation der aktuell rund 78.000 LeiharbeiterInnen immer wieder angesehen. Dabei zeige sich ein ernüchterndes Bild, sagt Walter Gagawczuk von der AK Wien. Studien hätten ergeben, dass LeiharbeiterInnen weniger verdienen, schlechtere Arbeitsbedingungen haben, schneller gefeuert werden, keine Arbeitsplatzsicherheit haben und knapp über oder unter der Armutsgrenze leben, so der Arbeitsrechtler.

Realität vs. "de facto"

"De facto" und Realität klaffen laut Walter Gagawzuk auseinander. Denn: es mag schon stimmen, dass den LeiharbeiterInnen der Kollektivvertrag bezahlt werde, der Unterschied beginne allerdings in der Einstufung der LeiharbeiterInnen. So zeige die Erfahrung, dass LeiharbeiterInnen oft für dieselbe Arbeit weniger Gehalt bekommen, weil sie nur zum kollektivvertraglichen Mindestlohn angestellt und nicht anhand ihrer Tätigkeit und Qualifikation eingestuft werden, sagt Gagawczuk. De facto bedeutet das natürlich Lohneinbußen.

Krank sein = arbeitslos sein

Bei Leiharbeitskräften gibt es ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen. Da die meisten Leiharbeitskräfte in den Sparten Industrie, Gewerbe und Handwerk arbeiten, sind Männer stärker davon betroffen.

Aber nicht nur bei der Einstufung wird getrickst. Die Arbeiterkammer Niederösterreich kritisiert, dass Leiharbeitsfirmen ihre Beschäftigten vermehrt dazu drängen, im Krankenstand ihren Dienstvertrag einvernehmlich aufzulösen. Oftmals werde sogar versucht, die Auflösung auf den Beginn des Krankenstands rückzudatieren. Dadurch würden Kosten auf die Krankenkassen abgewälzt.

Einvernehmlich rausgeworfen

Ein weiteres Problem seien die vielen einvernehmliche Arbeitsauflösung, die von den ArbeitnehmerInnen oft nicht ganz freiwillig unterschrieben werden. Dadurch würden Kündigungsfristen in der gelebten Praxis ausgehebelt, sagt Gagawczuk. Bei einer Befragung von 502 LeiharbeiterInnen im Auftrag der Arbeiterkammer Wien gaben 39 Prozent an, dass ihre Arbeitsauflösungen in den Überlassungsbetrieben "unter zweifelhaften Bedingungen durchgesetzt worden" sind. Das Druckmittel sei dabei oft, dass man ohne einvernehmliche Kündigung keine weiteren Aufträge mehr bekomme. Gagawczuk: "Wer nicht unterschreibt, bekommt keinen neuen Job".

"Keine Kündigungsanfechtungen"

Der Anteil der Leih-Arbeiterinnen, gemessen an allen überlassenen Arbeitskräften ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Waren 2002 noch rund 17 Prozent der LeiharbeiterInnen Frauen, sind es heute über 21 Prozent.

Die oben genannten Beispiele zeigen, dass trotz der rechtlichen "De-facto"-Gleichstellung mit fest angestellten MitarbeiterInnen nicht nur getrickst wird, sondern in der Realität auch geltende Arbeitsrechte verletzt werden. Die in der Theorie gleichen Spielregeln greifen in der Praxis nicht, beziehungsweise werden nicht unbedingt auf Punkt und Beistrich ausgelegt.

Dass aber auch manche Bestimmungen gar nicht greifen können, zeigt das Beispiel des Rechts auf Kündigungsanfechtung. Hier greift der allgemeine Kündigungsschutz erst nach sechs Monaten. Nur 29 Prozent der LeiharbeiterInnen arbeiten allerdings länger als sechs Monate in einem Überlassungsbetrieb. In der Praxis gibt es also keine Kündigungsanfechtungen, sagt Gagawczuk.

Fehlendes Wissen über Rechte

Ein weiterer Punkt in der Arbeiterkammer-Studie über Leiharbeit aus dem Jahr 2009 betrifft das fehlende Wissen über die eigenen Rechte von LeiharbeiterInnen. 35 Prozent der Befragten konnte nicht sagen, ob es im Überlassungsbetrieb einen Betriebsrat gibt. Mit der Zunahme der grenzüberschreitenden Arbeitsüberlassungen habe das Problem der Unkenntnis über die eigene Arbeitsrechte zugenommen, sagt Gagawczuk. Auch würden viele ArbeitnehmerInnen, die aus Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit kommen, bewusst in Kauf nehmen unter schlechteren Bedingungen zu arbeiten. Gagawczuk: "Die aktuellen Lohngefälle in Europa verstärken die Gefahr der Ausbeutung". Zu welchen Auswüchsen das führt sieht man am Beispiel Amazon.

System Leiharbeit

Dass nun in Deutschland wegen Amazon eine Debatte über Leiharbeit losgebrochen ist, sieht Gagawczuk in der Tatsache, dass es sich hier um eine große Firma handelt, mit der sehr viele Menschen auch als Kunden zu tun haben. Das "System Amazon" bzw. Leiharbeit ist aber ein Phänomen, das auch in Österreich grassiert. Bei uns sind es die Ungarn und Polen, die bei kleinen Baufirmen, in der Landwirtschaft oder im Transportwesen dem Lohn- und Sozialdumping oft ausgeliefert sind.

"Einmal Randbelegschaft, immer Randbelegschaft"

Dazu kommt, dass auch in den Überlassungsbetrieben die fixen Angestellten oft wegsehen. Die LeiharbeiterInnen würden nicht als gleichwertige ArbeiterInnen von den anderen MitarbeiterInnen wahrgenommen werden, zeigt eine Umfrage der Arbeiterkammer. Und zwei Drittel der LeiharbeiterInnen würden ein normales Beschäftigungsverhältnis bevorzugen. Allerdings gelte zunehmend die Regel: "Einmal Randbelegschaft, immer Randbelegschaft", sagt Gagawczuk.