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Andreas Schindler

Geschichten vom Ende des Ölzeitalters. Wurm- und Mikrobenlobbyismus, permakulturelle Gedankenwut.

22. 2. 2013 - 16:52

Die Krux mit dem Billigfleisch

Die Frage, die man sich anlässlich des Pferdefleisch-Skandals stellen muss ist nicht "Pferd oder Schwein?", sondern: "Was kommt ins Schwein rein?!"

Jetzt trabt der Pferdefleisch-Skandal endgültig auch durch Österreich. Eine mediale Staubwolke nach sich ziehend, die allerdings den Blick aufs Wesentliche verstellt. Wenn Rind draufsteht, sollte kein Pferd drinnen sein. Common Sense. Der Verbraucher hat das Recht zu wissen, was in einem Produkt steckt. Alle nicken, auch "die Branche".

Die Lebensmittelbranche und ihre PR-Agenturen sind im Zuge des Skandals emsig darum bemüht "Vertrauen beim Kunden wiederherzustellen". Die Worte "Nachvollziehbarkeit" und "Transparenz" werden von Vertretern des Lebensmittelhandels gebetsmühlenartig wiederholt. Nur wie ist es um diese Transparenz tatsächlich bestellt? Wird ein Tier in Österreich geboren und geschlachtet gilt es als österreichisch. Und österreichisches Fleisch, meist mit dem rotweißroten AMA-Gütesiegel ausgestattet, gilt als "sauber". Werbeetats in Millionenhöhe suggerieren das.

Kebabfleisch

APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH

Dass in Mägen der von der Werbung dergestalt verstaatsbürgerten Schweine, Rinder und Hühner indirekt viel brasilianischer Regenwald gelangt, um in Rekordzeit vermeintlich "billiges" Fleisch auf den Markt werfen zu können, ist Verbrauchern kaum bewusst. Auch nicht, dass sie es sind, die für die Folgekosten einer fehlgeleiteten Fleischproduktion aufkommen müssen, während die Gewinne dieser ständig wachsenden Industrie wieder einmal an wenige "big-player" gehen.

Brasilianisches Soja in der Knackwurst

Massentierhaltung kennt Europa erst seit den späten 1950er Jahren. Fleisch wird seither zunehmend billiger und die Kühlregale der Lebensmittelketten entsprechend immer größer. Laut Angaben der Industriellenvereinigung musste ein österreichischer Arbeitnehmer / eine österreichische Arbeitnehmerin 1980 für ein Kilo Schweinefleisch 92,7 Minuten arbeiten, 2008 nur mehr 41 Minuten. Von 1961 bis 2000 ist die globale Fleischproduktion um mehr als 350 Prozent gestiegen. In Österreich ist der Fleischkonsum seit 1960 um fast 60 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist der Flächenverbrauch für die Futteranbauflächen sogar zurückgegangen.

Was wie ein biblisches Wunder klingt, ist tatsächlich Ausdruck einer folgenschweren Schieflage, die Konsumenten kaum bewusst ist. Und schon gar nicht bewusst gemacht wird. Wieso steht Österreich drauf, wo Brasilien drin steckt? Wer denkt beim Verzehr einer AMA-Gütesiegel-Knackwurst schon daran, dass er/sie gerade in weit gereistes, brasilianisches Soja beißt? Denn ohne importiertes Futter, das auf ehemaligen Tropenwaldflächen mit Raubbaumethoden angebaut wird, könnte die moderne Massentierhaltung heute schlicht nicht existieren.

Soja

APA

Kraftfutter aus Brasilien

Im Jahr 2011 wurden in Österreich insgesamt 5.601.000 Schweine, 615.000 Rinder, 73.300 Kälber, 288.000 Schafe und Lämmer, 53.900 Ziegen und Kitze sowie rund 1.000 Pferde, Fohlen und andere Einhufer geschlachtet. Um diese ungeheure Zahl an Tieren zu füttern, reichen die heimischen Futteranbauflächen längst nicht aus. Vor allem, weil die industrielle Massentierhaltung heute ganz anders füttert als früher: Ballaststoffreiches Futter wurde in den letzten Dekaden zusehends durch eiweißreiches ersetzt.

Getreide, Fischmehl und vor allem Soja garantieren eine möglichst rasche Gewichtszunahme und damit Schlachtreife. Diese Umstellung bei der Futterwahl hat dramatische Folgen, denn während beispielsweise Heu für den Menschen nicht verwertbar ist, stehen speziell gezüchtete Masttiere heute in direkter Nahrungskonkurrenz zu vielen hungernden Menschen. Die finden wir seltener in Europa, aber häufig in Brasilien, wo 42 Millionen mangel- bzw. unterernährt sind. Ausgerechnet von dort beziehen wir das "Kraftfutter" für unsere Tierfabriken.

Brasilien ist (nach den USA) der zweitgrößte Sojaproduzent der Welt. Fast die Hälfte der Anbaugebiete Brasiliens ist in Händen von gerade einmal einem Prozent der Bevölkerung. Die Vertreibung und Enteignung von Kleinbauern hat genauso System, wie der Hunger: 42 Millionen Brasilianer sind chronisch unter- bzw. mangelernährt. Mit Ausnahme einer brasilianischen Firma ist die Sojaproduktion fest in ausländischen Händen. Jährlich werden 10 bis 13 Millionen Hektar brasilianischer Tropenwald gerodet. Zum Vergleich: Österreich hat eine Größe von 8,4 Millionen Hektar.

Noch vor wenigen Jahrzehnten konnten Bauern nur so viele Tiere ernähren, wie sie Futter anbauen konnten. Die modernen Fleischfabriken der Gegenwart kaufen dagegen gigantische Mengen Getreide und Ölfrüchte (vor allem Soja) zu. Ein Drittel des weltweit angebauten Getreides wird als Kraftfutter für die Tiermast verwendet, 80 Prozent der globalen Sojaernte geht denselben Weg.

Futtermittel auf Soja-Basis

Die Kraftfutterindustrie fordert mehr, als die Natur ökologisch verkraften kann. Futtermittel auf Soja-Basis stammt meist aus Südamerika. Brasilien ist nach den USA der zweitgrößte Sojaproduzent der Welt und rodet für den Anbau dieses wichtigen Exportguts riesige Flächen tropischer Regenwälder. Das weiß mittlerweile jedes Kind; weniger oft wird bedacht, dass dieses Soja auch zu "österreichischem" Fleisch wird. Noch viel weniger wird kommuniziert, dass der globale Futtermittelhandel einen gravierenden Nährstoff-Transport mit sich bringt. Denn die Ausscheidungen der hier gemästeten Tiere gelangen ja nicht wieder zurück nach Südamerika, wo die abgeernteten Nährstoffe schmerzlich fehlen und durch teuren Kunstdünger ersetzt werden.

Diesseits des Atlantiks haben wird das gegenteilige Problem: Hier werden Millionen Tonnen Mist und Gülle aus der Massentierhaltung auf zu kleiner Fläche ausgebracht. Besonders die Gülle belastet unsere Böden, das Grundwasser, Flüsse und Seen schwer. Man kann sagen, dass ganz Europa heute überdüngt ist, was wiederum dramatische Folgen für die Artenvielfalt auf dem alten Kontinent hat: Wenige Arten schätzen so hohe Nährstoffkonzentrationen wie wir sie heute in der Natur finden. Und diese wenigen Profiteure der Überdüngung (Eutrophierung) verdrängen jene Arten, die auf nährstoffarme Lebensräume angewiesen sind.

Während die Industrie weniger als drei Prozent und der Verkehr weniger als zwei Prozent "schuld" am Rückgang von Säugetieren, Vögeln, Kriechtieren und Lurchen ist, ist die industrielle Landwirtschaft mit 78 Prozent mit Abstand der Artenkiller Nummer Eins. Längst sind große Städte um ein Vielfaches artenreicher als das Land, sind sie doch heute so etwas wie magere Inseln in einem Meer aus Dünger. (Reichholf 2004/2007)

Gleichzeitig verlieren wir mit dem Roden von tropischen Regenwäldern, zugunsten von Sojaanbaugebieten noch weit mehr Arten; vor allem auch solche, die wir noch gar nicht erfasst haben. Der Verlust der Wälder als extrem wertvolle CO2-Senke ist da noch gar nicht angesprochen, weil das jetzt wirklich den Rahmen sprengt. Jedenfalls kann festgestellt werden, dass wer heute konventionell produziertes Fleisch isst, dies nicht nur zum Schaden des hiesigen Grundwassers, der heimischen Böden und Artenvielfalt tut, sondern auch zum Nachteil eines Großteils der brasilianischen Bevölkerung und der Regenwälder.

Brennende Regenwälder in Brasilien

NASA Photostream

Wem zum Vorteil?

Eines der vom "Pferdefleischskandal" betroffenen und in Österreich gehandelten Produkte trägt den bezeichnenden Namen "Jeden Tag Lasagne Bolognese tiefgekühlt 400g". Würden wir auf die verheißungsvolle "Einladung" des Lasagne-Produzenten nicht eingehen und beispielsweise nur jeden zweiten Tag Lasagne Bolognese futtern, würden wir also wie anno 1960 nur halb so viel Fleisch wie heute verzehren, könnten wir vielleicht auch wieder ohne Ex-Regenwald-Soja auskommen und unsere Tiere mit heimischen Futtermittel versorgen. Wäre das wirklich so schlimm? Angeblich ist ja die Lebensqualität der Mitteleuropäer seit den 1960er Jahren nicht gestiegen. Billigfleisch macht insofern vielleicht gar nicht so glücklich, wie uns PR-Agenten des Handels glauben lassen wollen.

Apropos Handel: Der hat in der Zeit seit 1960 parallel zur Entwicklung der Massentierhaltung auch einige Wandlungen mitgemacht: Österreichweit gab es damals 23.859 Geschäfte, die umgerechnet 1,1 Milliarden Euro Umsatz erwirtschafteten. 2009 gab es im heimischen Lebensmitteleinzelhandel nur noch 5.833 Geschäfte. Mehr als 80 Prozent des mittlerweile 17 Milliarden Euro schweren Umsatzes wurden im Vorjahr von drei Handelsorganisationen erwirtschaftet, nämlich von Rewe (Billa, Merkur, Penny, Adeg), Spar (Spar, Eurospar, Interspar, Maximarkt) und der Aldi-Tochter Hofer.

Der Fleischer wurde erfolgreich in eine Nische gedrängt. Der Kleinbauer mit seinen paar Viechern sowieso. Wen kann ich heute in den neuen Supermärkten mit all ihren kennzeichnungspflichtigen Waren fragen, womit das zu Fleisch gewordene Tier gefüttert wurde, das ich vielleicht kaufen will? Warum steht das nicht auf dem Etikett?! Wo ist hier der Ausgang!?