Erstellt am: 24. 2. 2013 - 13:32 Uhr
Heart Of Darkness
Ja, ja, ja, Djian-Fans haben das Buch längst gelesen. Letzten Herbst, als es in der deutschen Übersetzung veröffentlicht wurde, oder gleich die französische Version, die 2010 erschienen war. Für alle Nachzügler unter uns, oder Djian-NeuentdeckerInnen: "Die Rastlosen".
"Er dachte wieder an den Bruder, der ihm missgönnt gewesen war und der sicherlich verhindert hätte, dass es so weit kommen musste - damit angefangen, dass ihre Mutter nicht verrückt geworden wäre..."
Diogenes
"Die Rastlosen" von Philippe Djian ist in deutscher Übersetzung im Diogenes Verlag erschienen. Nach Michael Mosblech und zuletzt Uli Wittmann übersetzte nun Oliver Ilan Schulz Djian ins Deutsche.
Alle Romane von Philippe Djian können etwas, auch wenn man diesem französischen Literaturstar gerne mal vorwirft, inzwischen ein wenig erlahmt zu sein. Oder vielleicht ist es ja ohnehin bloß das Alter seiner Protagonisten, das für manche bereits ein gewisses "Erlahmen" darstellt.
Literaturprofessor Marc ist der Hauptprotagonist von "Die Rastlosen", einer, der schon etwas älter ist und einen Traum aufgegeben hat: ein erfolgreicher Schrifsteller zu werden. Also unterrichtet er, und zwar das Fach "Kreatives Schreiben". Die Nachfrage ist groß, das Potenzial unter denen, die begierig sind, das Schreiben zu erlernen, jedoch gering. Aber eine Studentin ist dabei, Barbara, die hat Talent. Und es wäre nicht Djian, wenn sich zwischen beiden Figuren nicht eine verhängnisvolle Affäre/Beziehung entwickeln würde.
"Er erinnerte sich, dass er sie den Weg vom Auto ins Bett fast hatte tragen müssen - sie war so munter gewesen wie ein Sack Kartoffeln und schien kurz davor, sich zu übergeben..."
Ein abgewrackter Literatur-Vortragender, seine Schwester, die Studentin, deren Mutter, das Haus im Wald, der Blick von Frankreich auf die Schweizer Alpen, usw. "Die Rastlosen" ist oft mehr Krimi als wilde Roman-Geschichte, samt Leiche in einer Felsspalte. Wer dennoch nicht sofort in die surreale Handlung von diesem Djian-Werk reinkippt, dem oder der bleibt ja immer noch "Betty Blue", jene Liebestragödie, mit der Philippe Djian in den 1980er Jahren international bekannt geworden war, spätestens als das Buch verfilmt wurde. Mit Beatrice Dalle in der Rolle der Betty, die in dieser "amour fou"-Story unbedingt möchte, dass ihr Boyfriend erfolgreicher Schriftsteller wird, als das aber einfach nicht zu gelingen scheint, am Leben verzweifelt. Schade, dass es das Graffiti "Betty et Zorg vous saluent" - Betty und Zorg grüßen euch - am Gruissan Plage in der Nähe von Narbonne im Süden von Frankreich nicht mehr gibt. Ewig schade darum. Dort, in jenem Badeort am Mittelmeer, spielte die Geschichte von Betty und Zorg.
Schreiben, schreiben, schreiben
Ein verwitweter Schriftsteller kommt in Djians 2002er Roman "Schwarze Tage, weiße Nächte" vor, und eine arrivierte Schreiberin findet sich in einem anderen Djian-Roman, in "Pas De Deux" aus den 1990er Jahren. Damals waren die Djian-Figuren schon am Sesshaft-Werden. Weniger Roadmovie als früher war nun in seinen Zeilen. Eigentlich wollte der in Paris geborene Philippe Djian ja Musiker werden, weil er aber auf einem Ohr taub ist, entschied er sich für das Schreiben, wollte so einen "Sound" umsetzen, den er im Kopf hatte.
"Wenn ich im Schreibprozess zwischen zwei Wörtern wählen muss, dann geht es nicht darum, das zu nehmen, welches vom Sinn her am besten geeignet ist, sondern das, was von der der Länge, von der Musikalität her besser in den Satz hinein passt. Deshalb malen Maler manchmal auch Gesichter blau oder grün. Nicht, weil sie tatsächlich so aussehen, sondern weil es gerade so stimmt", sagte Philippe Djian vor einigen Jahren einmal in einem Interview von Spiegel online.
Diogenes
Arzt hätte er gewissermaßen auch werden können, Pathologe, so wie Philippe Djian das Wesen seiner Figuren zerlegt und "obduziert".
Djian hatte - wie häufig auch seine Figuren - unzählige Jobs, etwa auf einer Autobahnraststätte, wo er neben der Arbeit schrieb. Ebensoviele Wohnsitze wie Jobs hatte Philippe Djian auch: Normandie, Südwestfrankreich, Lausanne, New York und Kolumbien, um nur einige zu nennen. Ein Rastloser, der täglich, so sagt er, acht Stunden schreibt, ein wenig wie Nick Cave, der auch von sich behauptet, morgens in sein "Büro" im Haus zu gehen um zu schreiben.
Als "Grandseigneur des französischen Porno" wurde Philippe Djian ob seines Schreibens, seiner Inhalte auch gern bezeichnet, gleichzeitig aber auch als "amerikanischster" der französischen Autoren - ist Philippe Djian doch stark beeinflusst von Schriftsteller-Klassikern wie Hemingway, J.D. Salinger, William Faulkner oder Raymond Carver. In seinem Buch "In der Kreide" (2004) ging es dann auch um seine Obession mit diesen legendären Schriftstellern.
Heart Of Darkness
Zurück zu "Die Rastlosen". Zurück in das Haus im Wald, wo Marc und seine Schwester Marianne leben. Als eine Art "Wiedergänger" von Hänsel und Gretel bezeichnet die Frankfurter Allgemeine in einer Rezension von "Die Rastlosen" Marc und seine kettenrauchende Schwester Marianne, weil die beiden ein Kindheitstrauma mit sich herumschleppen.
Du hast gestern nachts ordentlich Lärm gemacht, deutet Marianne gegenüber Marc an, in dieser bitteren Story, die den Originaltitel "Incidences" trägt. Das könnte auch Englisch sein und für "Zwischenfälle" stehen. Das französische "l´incidence" steht ja eher für "Lichteinfall" oder "die Wirkung". Pardon, mon francais ist nicht so gut. Wie auch immer, was ist passiert? Lest selbst. Vielleicht gleich das komplette Djian-Werk, oder zumindest in Teile davon schnuppern, man liest dann sowieso die ganze Nacht durch, etwa "Impardonnables", jenen Philippe-Djian-Vater-Tochter-Roman, der auf Deutsch "Die Leichtfertigen" heißt und - neben Joy Division - Patti Smith vorkommen lässt: "Ich hörte 'Pastime Paradise', Patti Smiths herrlich heisere, klagende Stimme..."