Erstellt am: 19. 2. 2013 - 16:23 Uhr
Journal '13. Eintrag 8.
Das ist das Journal '13, die regelmäßige Äußerung in ungeraden Jahren. Im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 geht sich die gewohnte Täglichkeit heuer nicht aus.
Ansonsten bleibt alles wie im Twitter-Profil steht: "Martin Blumenau, Chief Coordinator bei Radio FM4, Moderator, Autor und Blogger zu den Themen Jugendkultur, Demokratie- und Medienpolitik, Musik und Fußball."
Dass die Fernsehserie das Leitmedium unserer Tage ist und das Kino aufgrund seiner seriellen Dichte und der möglichen epischen Konstruktion überflügelt hat, setze ich als bekannt voraus. Ebenso die - viel ältere - Binse, dass der Krimi an sich (egal in welcher Form) das perfekte Vehikel für Sozial- und Gesellschaftskritik ist.
Deshalb hat der Tatort seine Bedeutung. Und er nützt sie, wenn er etwa allen Nicht-Schweizern über den Umweg von kriminellen Taten in der Luzerner Fasnacht etwas über die gesellschaftliche Positionierung von Land und Stand erzählt. Und das klappt ganz gut, wenn jemand wie Dani Levy das macht.
Diesen Sonntag hat der österreichische Tatort (diesmal von Schnell-Erfinderin Verena Kurth und Kabarettfilm-Erfinder Harald Sicheritz) ähnliches versucht; und kam damit auch ganz gut an: das deutsche Feuilleton lobte die mangelnde politische Korrektheit und die gewagte Zuspitzung.
Der Tatort zwischen Sozialstudie und Holzschnitt
Das sehr Holzschnittartige der Figuren und das psychologisch Fahrige in ihrer Führung stört mich zunächst nicht sonderlich; daran hat man sich gewöhnt. Das passiert, wenn dramaturgisch nötig, auch in Qualitätsreihen und -filmen, wer will also päpstlicher sein als der Papst. Und wahrscheinlich finde ich Levys Schweiz auch deshalb subtil erzählter als Sicheritz' Österreich, weil ich von ihr halt deutlich weniger Ahnung habe.
Noch weniger Ahnung habe ich von Dänemark. Und trotzdem offenbart sich schon nach wenigen Minuten in der dritten Staffel der Kommissarin Lund (ich weiß, eigentlich heißt die Reihe Das Verbrechen) ein ganz zentraler Unterschied. Im auch diesmal von Politik und Wirtschaftsmächtigen durchzogenen Lund-Kosmos (der sein Vorbild in realistisch-epischen Gesellschafts-Dramen wie The Wire hat) sind nicht ganze Stände per se korrupt, kaputt und böse wie im Wiener Tatort, wo die gesamte Politik, die gesamte Beamtenschaft und die gesamte Führungsebene der Polizei einheitlich so dargestellt wird. Es sind vielmehr fast alle Figuren im Graubereich angesiedelt, unter strikter Vermeidung von Schwarz-Weiß-Charakterisierung.
Was denen Dänen an Differenziertheit alles einfällt
Aktuelles schönes US-Beispiel für differenzierte Figuren: Homeland.
Diese Subtilität hat eine klare Ursache: die Autoren haben sich mit ihrem Thema beschäftigt, haben nachgeforscht und mit Beteiligten der abgebildeten Systeme gesprochen. Jede Recherche muss zu einem solchen Resultat führen. Es gibt nämlich (zumindest in einer halbwegs funktionierenden demokratischen Grundordnung) kein völlig verderbtes System mit ausschließlich üblen oder vertrottelten Figuren, mit Tätern und Mitläufern.
Wer immer auch nur einmal in einen Bereich wie der Justiz, der Politik, einem Ministerium oder der Exekutive hinein recherchiert hat, findet innerhalb von kurzer Zeit überall Menschen, die gegen die erwarteten Klischees arbeiten, unter teilweise schwierigen Bedingungen als demokratiepolitische Stabilisatoren tätig sind, und das wirklich Schlimme, mit dem die Fiktion dann ihre Bücher füllt, in tagtäglicher Arbeit verhindern, und im Optimalfall sogar was bewirken können.
Wie gesagt: bei jeglicher Recherche finden sich Menschen, deren Geschichten die Vielfalt und Komplexität unserer Zeit auf das Beste illustrieren können.
Nicht die Klischees durch zuviel Recherche kaputtmachen!
Dass sich nun Journalisten von einer guten Recherche nicht die schon vorher zurechtgelegte schlagzeilenträchtige schwarz-weiß-orientierte These zusammenhauen lassen wollen, ist ein bekanntes (und in Österreich sehr sehr übliches) Phänomen. Dass das aktuell einzige Korrektiv eines schwächer werdenden Journalismus, der Bereich des Kabaretts, der Satire und der hochwertigen Fiktion - die einzigen, die sich das einstmals große Gut des Journalismus, die ausführliche Recherche, überhaupt noch leisten können - gerade jetzt, mitten im Niedergang des sogenannten Qualitätsjournalismus, da drauf verzichten, ist schön blöd.
Denn so gleicht sich etwa auch der aktuelle Tatort an die allgegenwärtige boulevardeske Vereinfachung an. Die Botschaft nämlich, dass alle Politiker Sautrotteln, alle Beamten korrupte Faschos und alle Polizisten Arschgeigen sind, unterscheidet sich recht wenig von den Krone- oder Österreich-Schlagzeilen - dort kommen dann halt noch Handtaschenräuber und Scheinasylanten dazu.
Es geht, das zeigt der Däne dann fünfzehn Minuten später, auch anders, realitätsnaher und deutlich interessanter. Schon in den bisherigen Lund-Staffeln gab es neben sinistren, dubiosen, widerlichen, duckmäuserischen und treudoofen Politikern, Beamten und Polizisten auch einzelne Standesvertreter mit einer gewissen Integrität, die - trotz dunkler Flecken auf jeder Seele - an der Aufgabe zu wachsen verstanden. Der dickliche, anfänglich als plumper Loser daherkommende Justizminister in Staffel 2 etwa oder der Bürgermeister-Kandidat in Staffel 1. Differenziert angelegte Figuren, die mit wenigen technischen Handgriffen (Textbuch, Kamera, Ausstattung...) aus einer einstündigen Folge anders rausgehen als sie reingekommen sind. Menschen eben, keine Abziehbilder.
Am Stammtisch der Selbstaufgeber und Schläger
Das geht auch in Österreich; dafür gibt es genug Beispiele, Vorbilder. Dass es der Tatort gar nicht mehr erst (oder nur anhand von Mini-Nebenfiguren wie dem Pathologen) probiert, sondern sich mit dem Durchjagen von Klischees begnügt, hat seine Ursache nicht nur im durchaus bequemen Verharren im Stammtisch-Milieu der Kaffeehaus-Verschwörungstheorie.
Es hat natürlich auch mit der österreichischen Innensicht auf viele Dinge zu tun: die ist - historisch berechtigterweise - düster bis hoffnungslos, apathisch bis schicksalsergeben. Rebellion äußert sich in Österreich zumeist ja wirklich nur in den effektlosen und selbstgefälligen Wut- und Gewalt-Auswürfen der Krassnitzer-Figur, in der sich dann die Folgen eines katholisch geprägten Patriarchats bis hin zu Fritzl widerspiegeln.
Diese permanente Sofort-Selbstaufgabe, das Zusammensacken, Herumgreinen und Ausschlagen ist Teil der österreichischen Identität; ich darf nur an die erste WM-Woche in Schladming erinnern. Die vorschnelle und billige Suche nach Schuld- und Sündenböcken findet ihr Ziel mittlerweile automatisch: Schuld ist die Politik, sind die Offiziellen, der Verband, Institutionen, die von den Medien mittlerweile als amorphe Masse anonymisiert und somit schlagfertig bereitgestellt sind.
Politiker/Beamte als anonymisierter Watschenmann
An einer ernsthaften Analyse des schlechten ÖSV-Abschneidens sind die Medien genausowenig interessiert wie das von den Schwarz/Weiß-Darstellungen bereits in einer Scheinwelt lebende Publikum. Detto in allen anderen öffentlich diskutierten Bereichen: an einer präzisen Untersuchung was wo wie falsch läuft und was wie besser zu machen wäre, besteht kein Bedarf. Punktuelles Aufheulen ersetzt systematische Beschäftigung. Populistisches Nachwassern ist geil, schürfendes Expertentum nur anstrengend.
Wenn nun auch die letzte hiesige Bastion, die Fiktion, die Satire auslässt, in die banalisierende Reduzierung von Menschen auf Klischees einstimmt, weiter die Unsinnigkeit von Verwaltung und Politik überbetont und sich einer differenzierten Darstellung verweigert, dann wird die nirgendwo mehr stattfinden.
Die Folgen einer solchen allumfassenden Simplifizierung setze ich übrigens ebenso als bekannt voraus.