Erstellt am: 18. 2. 2013 - 22:44 Uhr
Eloui in London
In London zu spielen, sagt Christoph Mateka mit zum Deckengewölbe gerichteten Rehaugen, sei "like flying to the moon". Eine förmlich fühlbare Wolke der Sympathie bildet sich über den aus hölzernen Gebetsstühlen hervorlugenden Köpfen des Publikums im durch die Spitzbogenfenster flutenden Nachmittagssonnenlicht und schwebt zurück in Richtung Bühne, wo Mateka seine Geige ans Kinn hebt.
Ich trage diesen traumartigen Moment immer noch in meinem Kopf herum, obwohl er schon über zwei Wochen zurück liegt. Was Mateka, der Eloui bei ihrem Londoner Debüt im Rahmen des Londoner Shhh... Festival auf dem Altarsockel der Baptist Church in Hampstead begleitet, so spontan in Worte fasst, ist ein gegenseitiges Gefühl.
Robert Rotifer
Eloui und Begleitung sind von einem anderen Stern angereist, das wird spätestens offensichtlich, als Franziska Abgottspon alias Eloui beim Soundcheck vor sich füllenden Reihen ein A capella-Lied in undurchdringlichem Schwyzerdütsch vorträgt.
Elouis Konzert wurde von der mit dem FM4 Soundpark verbündeten Initiative "Soundpark Austria" des Austrian Cultural Forum ermöglicht.
Bei ihrem Konzert wechselt sie dagegen in die Muttersprache des Publikums, abstrakt Gedachtes wird konkret und in ihrem leicht erstaunten Gesichtsausdruck spiegelt sich das Bewusstwerden dieser Transformation des Charakters eines Liedes durch die, die es hören.
Ihr erster Song "Tornado", gezupft und gesungen zu einem zugespielten Soundtrack aus Regenplätschern, kontrastiert auf dislozierende Weise mit besagtem Sonnenlicht. Die Bedachtheit, mit der Eloui aus diversen Geräuschen die Loops für ihren zweiten Song "Let You Do The Braiding" zusammenstellt, wirkt ein bisschen wie eine jener geduldig gedrehten Alltagsbeobachtungen aus einem alten Nouvelle-Vague-Film: Die Hauptdarstellerin, beim Herumräumen, nimmt einmal dies, dann jenes zur Hand, steigt zwischendurch aufs Loop-Pedal und beinahe unmerklich entsteht dabei das zarteste aller vorstellbaren Arrangements. Sobald dies sich vervollständigt hat, ist der Song auch schon wieder vorbei.
Robert Rotifer
Ukulele und Loop-Pedal, jene inflationären Gimmicks aller Solo-Auftritte der letzten fünf bis fünfzehn Jahre, sind nun bereits zur Verwendung gekommen, und dennoch ist da kein Hauch von Abgedroschenheit, Betulichkeit oder Handarbeitsbiederkeit in Elouis Performance. Ihre spröden elektronischen Sound-Manipulationen (wie heißt dieses Pad, auf dem sie eine Kugel balanciert, die im Rollen den Sound - halb zufällig, halb gesteuert - verzerrt?) wirken gerade in Verbindung mit ihrer raumfüllenden Stimme bzw. vor dem sakralen Hintergrund der Kirchenarchitektur besonders effektiv.
Und dazu noch die Erscheinung des eingangs erwähnten Christoph Mateka als fiedelnde lockige Engelsfigur mit gebrochenem Ringfinger, was ihn an jenem Tag dazu zwingt, auf sein gut geschultes Vibrato zu verzichten und stattdessen den John Cale in sich hervorzuholen - eigentlich eine gute Sache also, obwohl es sicher höllisch wehtut. Zwischendurch kommt dann noch der mitgereiste Ernst Tiefenthaler alias Ernesty International als Gast samt akustischer Gitarre auf die Bühne, und Ernst und Eloui singen zweistimmig sein Lied "40 Watt King". Die Botschaft, dass Eloui aus einer Welt kommt, in der es noch einiges mehr zu entdecken gibt, kommt an.
Robert Rotifer
Damit hier nicht der Verdacht der geschlechtlichen Stereotypisierung aufkommt, habe ich es mir übrigens bis zum zehnten Absatz aufgehoben, auf Elouis kariertes Bühnenkleid hinzuweisen. Dessen obere Hälfte muss irgendwann einmal in schwarze Textilfarbe getaucht worden sein. Das ist die prosaische Erklärung. Man könnte aber auch meinen, seine Trägerin sei auf der Suche nach ihren Liedern kopfüber ins Tintenmeer getaucht.
Die Briten unterhalten ja ein kompliziertes Verhältnis zu allem Fremden, ihren Reserven gegenüber dem unübersetzbaren, kontinentalen Unbekannten steht die Neugier auf das Exotische, ihrer natürlichen Aversion gegen jede durchschaubare Anbiederung an britische Normen eine Abwehrhaltung wider alles Unverständliche gegenüber. Welche Tendenz dabei gewinnt, ist oft schwer abzuschätzen.
Eloui jedenfalls wandelte an diesem Nachmittag in Hampstead schrittsicher auf der richtigen Seite der feinen Linie zwischen Entfremdung und Faszination. "Utterly charming", wie der ganz von ihr eingenommene Veranstalter nachher meinte. Es sieht so aus, als wollte London sie wiedersehen.