Erstellt am: 20. 2. 2013 - 10:47 Uhr
Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf
Ungarn in den 1970er Jahren. Sechs alte Schulfreunde planen ein Wiedersehen, nachdem sie sich in den letzten 15 Jahren aus den Augen verloren haben. Sie sind Ärzte geworden, Apotheker oder Journalisten, einer von ihnen, Hauptmann Beke, ist als Polizist bei der Spionageabwehr gelandet. Dass sie sich regelmäßig treffen wollten, haben sie vernachlässigt. Jetzt soll ein Wochenende in einem abgelegenen Dorf ihrer Freundschaft wieder neues Leben einhauchen. Hinter dem scheinbar unschuldigen Wiedersehen stecken aber auch andere Motive, die die ProtagonistInnen voreinander verborgen halten.
Rowohlt Verlag
Mitten im Rollenspiel "Mörder und Detektiv", das die Schulfreunde und ihre Begleiterinnen spielen, passiert, was im Krimi-Genre passieren muss. Das Opfer des Spiels steht nicht mehr auf, sondern liegt erdrosselt am Boden des Salons, und es ist ausgerechnet jene Frau, die spontan zu dem Treffen eingeladen worden ist.
Whodunnit?
Das "Mörder und Detektiv"-Spiel hat sich in die Realität verlagert und mit Hauptmann Beke ist der Kommissar bereits vor Ort. Die Aufklärung des Falls gleicht nun einem Kammerspiel oder auch einem Agatha-Christie-Roman. In Einzelgesprächen versucht Beke den Mörder oder die Mörderin zu überführen, ganz altmodisch. Beke ist ein ungarischer Sherlock Holmes, der statt mit technischen Errungenschaften auf seinen Verstand, Kombinationsvermögen und Einfallsreichtum baut.
Schnell kommt er drauf, dass alle Anwesenden in ihren Verhören lügen und alle etwas zu verbergen haben, ob Verhältnisse, Ehekrisen, kleine Schmuggeleien oder Betrug am Staat und einer unter ihnen ist wohl ein Spion für eine ausländische Regierung. Doch jeder beschuldigt jemand anderen und es wird fleißig denunziert, wie soll man da die Wahrheit herausfinden?
Hochzeit des Gulaschkommunismus
Autor Szilárd Ruben spinnt ein enges Beziehungsnetz zwischen ProtagonistInnen, in dem sich auch Relikte aus der NS-Zeit und dem Ungarnaufstand finden. Wie Hauptmann Beke die Fäden dieses Netzes auftrennt ist fesselnd, noch interessanter für die heutige Zeit ist allerdings das Gesellschaftsbild, das der Autor vom Ungarn der 1970er Jahre zeichnet. Der "Gulaschkommunismus" ist gefestigt, die BürgerInnen begegnen dem entweder mit Systemtreue oder mit kleinen Tricks und Betrügereien, mit denen sie sich durchs Leben schlagen.
Es herrscht eine Atmosphäre des Misstrauens, die vom Ost-West-Konflikt noch überlagert wird. Prinzipiell jeder wird verdächtigt, für die Gegenseite zu arbeiten oder zu spionieren. "Die Wolfsgrube", der Roman, der im ungarischen Original schon 1973 erschienen ist, äußert keine offensichtliche Kritik am System oder an den Lebensumständen. Im Gegenteil, Hauptmann Beke, der Offizier der Spionageabwehr, der Vertreter des Regimes, wird als perfekter und makelloser Held dargestellt, wie es sie heute nicht mehr gibt, wie wir sie aber aus unzähligen alten Filmen und Romanen kennen. Seine Ermittlungsmethoden waren wohl schon damals antiquiert, aber genau das macht den Roman vielleicht auch zeitlos und ist mit ein Grund, warum er jetzt wieder neu entdeckt wird.
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Szilárd Rubin ist vor drei Jahren gestorben. Erst zu Ende seines Lebens hat er in Ungarn ein wenig Anerkennung für sein Werk bekommen. Innerhalb kürzester Zeit sind jetzt drei seiner Romane auch ins Deutsche übersetzt worden und alle mit guten Kritiken ausgezeichnet worden. "Die Wolfsgrube" ist Rubins einziger Ausflug ins Krimigenre. Zu Weltruhm wird es Rubin mit diesem Roman wohl nicht mehr bringen, aber für ein paar kurzweilige Lesestunden kann der handwerklich hervorragende Krimi mit Sicherheit sorgen.