Erstellt am: 18. 2. 2013 - 14:49 Uhr
"Smart Metering" ist Österreichern "wurscht"
Beim Start des Pilotprojekts der Wiener Stadtwerke am Freitag waren die 200 gesuchten Testanschlüsse binnen weniger Minuten vergeben. Daraus nun direkte Schlussfolgerungen auf das Interesse der Wiener oder gar der österreichischen Gesamtbevölkerung zu ziehen, wäre allerdings verfehlt.
Wie die seit 2011 von ORF.at laufend durchgeführten Umfragen bei verschiedenen österreichischen Stromversorgern ergeben, liegen die Zahlen der wirklich am Detailverbrauch ihres Haushalts Interessierten bei weniger als 20 Prozent. Der harte Kern der Stromsparfans umfasst maximal sieben Prozent der Abnehmer. Je nach Umfrageart variiert die Zahl der völlig Desinteressierten rund um die Hälfte aller Befragten.
CC
Rationale Gründe für Ignoranz
Daraus den Schluss zu ziehen, die angeblich so umweltbewussten Österreicher seien tatsächlich ein Haufen Umweltangeber und Ignoranten, wäre allerdings auch daneben. Ignoranten sind in dieser großen Bevölkerungsgruppe zwar durchaus enthalten, während die Mehrheit jedoch völlig rationale Gründe für ihr Desinteresse hat.
Laut Statistik Austria bestanden in Österreich 2011 3,6 Millionen Wohnungen (Hauptwohnsitze). Deren Inhaber können jedoch nur zu einem sehr geringen Prozentsatz Interesse an detaillierten Daten über ihren Stromverbrauch haben. In kleinen bis mittelgroßen Wohnungen, in denen Strom in erster Linie für Beleuchtung, Küche, Unterhaltungselektronik und Waschmaschine verbraucht wird, besteht dazu schlicht keine Alternative.
Stromsparen als Chimäre
Die Möglichkeiten, Strom einzusparen, sind in solchen Haushalten sehr begrenzt. Wer den Verbrauch jedes einzelnen Geräts genau wissen möchte, ist mit einem handelsüblichen, kleinen Wattmeter um 19,90 Euro weitaus besser bedient, als mit den Viertelstundenwerten des "schlauen Stromzählers" für den gesamten Haushalt.
Die in den Medien im Halbjahresrhythmus aufgedeckten "stillen Verbraucher" samt den Tipps, wie Geräte im Standbymodus stillzulegen sind, verbreiterten den "ökologischen Fußabdruck" des Haushalts eher noch. Wohlmeinende Verbraucher griffen dann zu "Stromspar"-Steckerleisten, sagte Franz Lehner, Stromexperte und Hardware-Hacker von Cybersecurity Austria zu ORF.at. Vor allem die billig ausgeführten Steckerleisten zögen oft gleich viel oder mehr Strom als die Geräte selbst.
Begrenzte Einschaltzyklen
Dazu komme ein in der Öffentlichkeit kaum bekannter, aber potenziell verheerender Effekt dieser gut gemeinten Maßnahme. Der Preiskampf bei der Unterhaltungselektronik habe dazu geführt, sagt Lehner, dass die Hersteller gerade bei den Netzgeräten von Flachbildschirmen, SAT-Receivern, Settop-Boxen etc. immer mehr Billigkomponenten verbaut haben.
Quer durch Österreich wurden an mehreren Orten Pilotprojekte eingerichtet. Die technischen Leiter der Projekte in Feldkirch (Vorarlberg) und Ferlach (Kärnten) über ihre teils langjährigen Erfahrungen beim Betrieb derart mit "Intelligenz" aufgerüsteter Stromnetze im Gespräch mit ORF.at.
Diese Geräte können, wenn Standby der Standardruhemodus ist, zwar durchaus lange halten. "Bei immer mehr davon ist aber bereits nach 2000 Ein- und Auschaltzyklen die Lebensdauer des eingebauten Netzteils überschritten", so Stromexperte Lehner.
Der Grund ist, dass ein Einschaltvorgang eine momentane Stromspitze im Gerät auslöst, während das Aufwachen aus dem Standbymodus weit weniger belastend für das Netzteil ist.
Störungen aus Billigsdorf
Genau hier können auch bei Einführung von "Smart Meters" in den Haushalten Störungen an Geräten auftreten, sagen von ORF.at befragte Experten übereinstimmend.
Das passiert nicht etwa, weil die neuen Stromzähler Störungsquellen sind, sondern weil billige Netzteile sehr oft nicht normgerecht gegen unerwünschte Impulse aus dem Stromnetz abgeschirmt sind.
Unerwünschte Effekte
Wenn die "Smart Meters" ab Mitternacht die Verbrauchswerte des Tages an den "Konzentrator" in der Trafostation übermitteln, kann es so zu einer Reihe von unerwünschten Effekten kommen.
Viel mehr, als dass Geräte ungeplant aus dem Standby erwachen, oder dass Billigdimmer unaufgefordert die Lichtverhältnisse ändern, ist hierzulande nach übereinstimmender Expertenansicht für Haushalte nicht zu erwarten.
USA kein Vorbild für Europa
In den USA, wo bereits an die 40 Millionen elektronische Stromzähler verbaut sind, treten seit Beginn des Roll-Out 2010 laufend Brände auf. Wenn nicht die Stromzähler selber Feuer fingen, so waren die Brandherde fast immer in deren unmittelbarer Umgebung. Derlei ist bei den "Smart Meters" in Österreich aber nicht zu befürchten.
http://www.stopsmartmetersbc.ca
Da die Netzspannung in den USA nur 120 Volt für Haushaltsstrom beträgt, in Europa aber 240 Volt, muss zur Bereitstellung derselben Leistung (Watt) für die angeschlossenen Geräte in den USA weitaus mehr Strom (Ampere) fließen.
Rustikale Installationen
Damit sind die Haushaltsleitungen dort auch weitaus mehr belastet, dazu kommen noch die Holzbauweise der Häuser und vor allem die nicht fachgerechte Installation der Zähler.
Wie aus den Berichten und Beschwerden im Netz hervorgeht, wurde die Umrüstung der obendrein an den Außenwänden frei montierten Zähler zumeist von angelernten Hilfskräften vorgenommen. Sehr oft geschah die Umstellung sogar in Abwesenheit der Hausbewohner.
"In Deutschland und in vielen anderen Regionen in Europa, wo seit den 1950er Jahren alle Haushalte standardmäßig durch ein Dreiphasenwechselstrom- Netz versorgt werden, ist die veraltete Einphasen-Dreileiternetzvariante ungebräuchlich und größtenteils unbekannt." so lautet der Eintrag in der Wikipedia über das US-Stromnetz
Die amerikanische Methode
Auch sonst ist die Situation in den USA ziemlich anders als in Österreich. Der Datenabtransport erfolgt in den USA zumeist direkt über Funk vom "Smart Meter" zum "Konzentrator", der die Daten sammelt und in das Netz des Stromversorgers weiterschickt
Die Daten werden dabei teilweise über WLAN-Frequenzen eingesammelt, zum Teil benutzt man den für Maschinenkommunikation vorgesehenen Bereich um 915 MHZ (ISM Band) aber auch Bänder für Schnurlostelefone (1900 MHz) werden benutzt.
Funkstation im Wohnzimmer
Diese Konzentratoren zum Absammeln der Daten wurden ebenfalls vielfach auf die - natürlich unabgeschirmten - Holzwände von privaten Wohnhäusern montiert, deren Bewohner plötzlich eine leistungsstarke Funkstation quasi mitten im Wohnzimmer stehen hatten.
Wie diese Sammlung von Vorfällen aus den USA und Kanada dokumentiert, kamen bei den Installationen der "Smart Meters" zum Teil Methoden zum Einsatz, bei denen nicht nur Elektrotechnikern die Haare zu Berge stehen.
Die Daten über Schmalband-Powerline, also den in Österreich und anderswo in Europa verwendeten Langwellenfunk über das Stromnetz einzusammeln, hat man bei den US-Stromversorgern anscheinend nicht einmal versucht. Angesichts des Zustands der US-Stromnetze ist das nicht verwunderlich.
Einphasen-Wechselstrom
Außerhalb der Ballungszentren wurde die in Europa seit den 50er Jahren durch das Dreiphasen-Wechelstromnetz abgelöste altmodische Verteilung mit Einphasen-Wechselstrom aus Kostengründen beibehalten.
CC http://en.wikipedia.org/wiki/User:Glogger
Dazu kommen jede Menge Störungen durch Elektromotoren - da die Häuser klimatisiert sind - in Blechbüchsen außen auf Strommasten montierte Transformatoren und Freileitungen von enormer Länge. Darüber irgendeinen Funkverkehr fahren zu wollen, ist aussichtslos.
Langwellensender auf Kollisionskurs
Die nicht nur in Österreich sondern auch in anderen Teilen Europas verwendete Übertragungsmethode im Langwellenbereich birgt aber eine Crux, zumal sie technisch auf Kollisionskurs mit einer lange eingeführten und sehr verbreiteten Datenübertragung unterwegs sind.
In demselben Langwellenband um die 80 KHz, in dem die "Smart Meters" in die Stromleitungen funken, arbeitet auch jener Langwellensender nahe Frankfurt, dessen Signale auf 77,5 KHz hunderttausende Funkwecker, Klimastationen, Armbanduhren aber auch Haussteuerungen, Bewässerungsanlagen, professionelle Messlabors usw. allein in Österreich synchronisiert.
Der Langwellensender DCF-77 wird von der deutschen Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Mainflingen bei Frankfurt betrieben. Mit einem Senderadіus von rund 2000 Kilometern synchronisiert DCF-77 nächtens Funkuhren von Dublin bis Istanbul und von Sizilien bis zum Nordkap.
Nach Mitternacht
"Diese Funkuhren made in China sind so programmiert, dass sie täglich um Mitternacht zur Synchronisation auf Empfang gehen" sagt Hardwarehacker Franz Lehner. Um diese Zeit ist das gesamte Funkspektrum generell viel "sauberer", da weitaus weniger Geräte aller Art im Stromnetz aktiv sind
Aus demselben Grund beginnen genau dann auch sämtliche "Smart Meters" im Netz eines Stromversorgers mit der Datenübertragung. Das kann schon mehrere Stunden dauern und rechtlich betrachtet ist hier durchaus Sprengstoff drin.
Zeitfenster, Funklizenzen==
Credits
Neben Franz Lehner haben Paul Karrer und Herbert Saurugg von Cybersecurity Austria Expertise beigetragen. Spezieller Dank auch an die "üblichen Verdächtigen", die Funkexperten Georg OE1DO und Hannes OE1JHB
Während die Zeitzeichenstation DCF-77 eine Sendelizenz innehat, auf 77 Khz mit 50 Kilowatt und mehr Leistung zu funken, verfügen die "Smart Meter"-Anlagen über keinerlei Lizenz, in diesem Bereich Funksignale in die Luft abzustrahlen. Das tun sie aber, denn die Stromleitungen sind nicht abgeschirmt und wirken daher als Antennen.
Viel Spielraum, hier Zeitfenster für den lizensierten Funk offenzuhalten haben die Stromversorger wiederum nicht. Die Daten müssen im Lauf der Nacht über Langwellendatenfunk regional eingesammelt und für den Abtransport neu geordnet werden, dann geht es weiter über GPRS oder Glasfaser bis sie beim Stromversorger landen.
Dort werden sie in Datenbanken eingepflegt, damit sie laut Verordnung interessierten Kunden ab 12 Uhr Mittag im Internet zur Verfügung stehen.