Erstellt am: 13. 2. 2013 - 16:16 Uhr
Kein Wunschkonzert
- Alle Videos vom PSC 13 zum Nachsehen.
Zehn Jahre hat der Protestsongcontest mittlerweile auf dem Rücken und noch nie war er so spannend, wie an diesem Faschingsdienstag 2013. Kontroverse Diskussionen waren die Folge einer nicht für alle nachvollziehbaren Juryentscheidung: der beste Song, verdientermaßen gewonnen von Benedikta Manzano, siegt vor dem wahrhaftigen und berechtigten Protest der Flüchtlinge aus der Votivkirche.
Ein hochemotionaler Abend in Wort und Bild:
Christian Stipkovits/Radio FM4
Das bewährte Prozedere rahmt die Veranstaltung: eröffnet wird der Abend vom Arbeitersängerbund mit "Die Arbeiter von Wien". Das Lied ist die ernsthafte Basis einer über weite Teile vergnüglichen Angelegenheit und soll an die Geschehnisse des 12. Februars 1934 erinnern, als im Austrofaschismus der Bürgerkrieg ausgebrochen ist und auch im Rabenhof gekämpft wurde.
Danach übernimmt Moderator Dirk Stermann, der heuer das letzte Mal durch den Konzertreigen führt. Mit treffsicheren Spitzen gegen den Papst und die in die Jahre gekommene Jury, bestehend aus Skero, Miriam Unger, Martin Blumenau, Doris Knecht, Peter Paul Skrepek und Nina Weißensteiner, sorgt er für die ersten Lacher.
1.) Matatu - Guerrabanana
Matatu ist eine zehnköpfige Band aus Wien, die sich mit "Guerrabanana" gegen importierte exotische Früchte beziehungsweise für Fairtrade einsetzt. Der Background der Gruppe ist mulitkulturell und so klingen sie auch: sie machen Weltmusik in vielen verschiedenen Sprachen, eine gelungene Mischung aus Salsa, Ska, Reggae und Balkan Disko. Es ist ein tanzbarer Protest, der auch bei der Jury Anklang findet: Miriam Unger ortet Hitpotential von FM4 bis Krone Hit.
2.) Tiefsinntaucher – Vater Staat
Zwei junge Tirolerinnen sind auf der Suche nach dem tieferen Sinn im Hip Hop, deshalb nennen sie sich Tiefsinntaucher. Sabine Reiter und Bettina Filips machen erst seit letzten August gemeinsam Musik und klingen für diesen kurzen Zeitrahmen überraschend eingespielt und souverän. Flow, Skills, Synchronität, alles da. Protestiert wird in "Vater Staat" gegen unterschiedliche Themen: Politik, Gott und das prekäre, gesellschaftlich weitgehend geschmähte KünstlerInnendasein. Der Publikumsjubel setzt ein, bevor der letzte Ton verklungen ist und Skero lobt den Rap der beiden, der für ihn "durchaus an Fiva-Niveau herankommt".
3.) Johnny V-Ausschnitt - Rotzbremsen san wieder in
Hipster-Bashing beim Protestsongcontest. Das Balaton-Combo-Lookalike namens Johnny V-Ausschnitt protestiert gegen "Menschen, die blind jedem Trend hinterherlaufen und die Tatsache, dass dann alle gleich aussehen, aber glauben, sie sind so super individuell. Und die Tatsache, dass politischer Protest immer mehr auf Facebook auslagert wird und nach einem Gefällt-Mir-Klick war's das auch schon wieder". Hoffentlich ist dieser Beitrag der letzte Sargnagel in die mittlerweile mehr als leidig gewordene Diskussion rund um die Hornbebrillte-Super-Top-Checker-Generation. Blumenau findet Hipsters gut, weil sie Dinge neu sehen, warnt aber vor den Trittbrettfahrern, Doris Knecht wird nicht gefragt, obwohl sie einen gehäkelten Bart trägt und Nina Weißensteiner trumpft mit keinem Super-Top-Checker-Wissen auf, weil sie den Song als "Persiflage auf die Bobos versteht, was sie als Facebook-Verweigerin super findet".
4.) Wosisig – Finganäglbeissa
Politischer und punkiger Mundart-Pop, die Dresden Dolls aus Niederösterreich. Wosisig sind bereits zum fünften Mal beim Protestsongcontest dabei, dieses Mal mit einem Empowerment-Song gegen Feigheit. Die Band hat sich 2007 extra für den Protestsongcontest gegründet und Sängerin Sigi singt nicht nur über politisches Engagement, sondern ist als fraktionsloses ÖH-Mitglied auch selbst aktiv. Ihr Protestsong richtet sich auch gegen sie selbst, "weil man sich oft zu sehr anscheißt. Am liebsten wollte ich ja das Absperrband runter reißen (Anm.: welches das Publikum von der Jury trennt), aber ich habe mich nicht getraut, weil dann die Jury eventuell in Gefahr kommen würde und ich mir damit ins eigene Fleisch schneiden würde". Die Jury hat keine Angst vor Niemand, Skero reißt das Band runter und das Publikum ist scheu und brav und traut sich erst nach vor, als Sigi sie dazu aufruft, keine Angst vor der eigenen Freiheit zu haben. Geht doch.
5.) Linksabbiega – Dankbar
Hip Hop aus Vorarlberg, inspiriert von den Absoluten Beginnern und Blumentopf. Aber leider besteht der Protest der Linksabbiega zum größten Teil aus Worthülsen: "Und sie reden, und sie reden, und sie hören nicht auf. Sei dankbar". Wofür man dankbar sein soll, versteht Skero auch nicht und Peter Paul Skrepek warnt vor der Revolution in Österreich, weil sie bürokratisch nicht bewältigbar ist.
6.) Benedikta Manzano – Mehr Mitgefühl für Märkte
Das Schöne am diesjährigen Protestsongcontest war auch die Frauenquote, die mit 50% deutlich höher lag als in so manchen Testosteron-durchtränkten Jahren davor. Eine Grande Dame, die ganz alleine das Publikum und die Jury überzeugen konnte, ist Benedikta Manzano. Sie war bereits in den achtziger Jahren als Chansonsängerin und Liedermacherin in ganz Österreich unterwegs, in den neunziger Jahren wurde es wegen stimmlichen Problemen etwas stiller um sie. Deshalb hat sie sich in dem Schreiben gewidmet, der erste Roman ist in Arbeit und die Feder ist ihr Schwert, mit dem sie für mehr Mitgefühl für Märkte kämpft.
Dieses Element ist nicht mehr verfügbar
Im Brotberuf ist Benedikta Manzano Trainerin bei AMS- Weiterführungskursen und eine Klientin hat sie auf die Idee gebracht, beim Protestsongcontest mitzumachen und siehe da: sie hat verdient gewonnen! Gratulation! Schon bei der Vorentscheidung im Haus der Begegnung brandete nach jeder Strophe von "Mehr Mitgefühl für Märkte" tosender Applaus und im Rabenhoftheater war es nicht anders.
Benedikta Manzano überzeugt mit der Kunst der ironischen Überspitzung: sie spannt einen Rettungsschirm über das Finanzkapital und ergreift Partei für eine Gruppe, der es momentan sehr schlecht geht: die Märkte. In ihrem Song verdeutlicht sie mit viel Humor, dass jede Art von Herrschaft immer über Sprache transportiert wird. Mit dieser Botschaft und vor allem dank ihrer großartigen Performance begeistert sie die Jury: für Nina Weißensteiner ist sie ein weiblicher Max Raabe und Skero meint, dass Ironie immer die beste Waffe gegen Sprachlosigkeit sei.
7.) Birds in Trees – Ich hoff, du schläfst beschissen
Beware of Präpotenz! Birds in Trees kommen aus Niederösterreich, machen Singer-Songwriter-Folk-Pop und singen gegen Lobbyisten und präpotente Egoisten, die sich in der Politik und auf Wiens Straßen tummeln. Namen fallen keine, aber man auch so, wen die drei Frauen und zwei Männer in ihrem Protestsong meinen. Miriam Unger mag Bands mit Frauen am Schlagzeug und den eingängigen Refrain, Doris Knecht hat es nicht gefallen. Ihr war's zu lieb und kleingedacht.
8.) Fargo – I dram ned
Fargo sind vier Musiker aus Linz, die sich für ihre Performance beim Protestsongcontest noch 5 Mann Verstärkung geholt haben. In weißen Hemden und schwarzen Hosen mit schwarzen Hosenträgern präsentieren sie laut Eigenbeschreibung die österreichische Version von "Sympathy for the Devil", erzählt aus der Perspektive eines rücksichtslosen Bösewichts. Das geht dann so: "Mein Gewissen ist ein weißer Riese, unser Erfolg ist ihre Krise". Musikalisch orientieren sie sich an ihren Vorbildern Calexico, sie machen jazzige und bluesige Rockmusik mit Blasinstrumenten. Fargo haben beim Protestsongcontest mitgemacht, weil sie Moderator Dirk Stermann kennenlernen wollten, um die neue Willkommen-Österreich-Band zu werden. Aber ihr Protest richtet sich nicht gegen Russkaja, sondern gegen die Skrupellosigkeit und Bösartigkeiten in der österreichischen Politik, Privatwirtschaft und Gesellschaft. Martin Blumenau nennt sie die österreichischen Mumford & Sons und zeigt sich von der Entwicklung der Band von der Vorentscheidung bis zum Finale beeindruckt.
Christian Stipkovits/Radio FM4
9.) Anstaltskinda aka Kapitano Chaotico – Befrei Di
Anstaltskinda aka Kapitano Chaotico ist auch schon ein altbekannter Protestsongcontest-Teilnehmer und lieferte im Finale eine atemlose, schnelle und energetische Performance. Das musikalische Chamäleon kommt aus dem Punk, kann sich aber auch hörbar für Drum´n´Bass, Dancehall und Tekkno begeistern sowie das Publikum für sich. Sein Protest richtet sich am meisten gegen ihn selbst, was ihm Sympathie- und Ehrlichkeitspunkte bei der Jury bringt. Skero hat seine Wut und seinen Willen zur Veränderung gespürt und Nina Weißensteiner lobt die Totalvernichtung der Suderanten: "Wer vü sudat, wird ned pudert".
10.) refugees of the vienna refugee camp – "We love Vienna, je t'aime, Vienne"
Den wahrhaftigsten Protest, den der Protestsongcontest jemals erlebt hat, kam von Flüchtlingen aus der Votivkirche. ""We love Vienna, je t'aime, Vienne" tönte nicht nur von der Bühne, sondern auch aus dem Publikum. Zahlreiche refugees und UnterstützerInnen sind mit Schildern in den Rabenhof gekommen und haben lautstark ihre Freunde auf der Bühne unterstützt: "We demand: Our rights" skandierten sie minutenlang. Der ganze Saal ist ergriffen. Gänsehaut.
Vor und nach dem Song erklären die refugees, in welcher unfassbaren Situation sie sich befinden: Einige Band-Mitglieder, die noch bei der Vorentscheidung mit dabei waren, seien gerade im Gefängnis. Die refugees würden zu Kriminellen gemacht, weil sie von ihrer Grundversorgung, wenn sie denn überhaupt eine hätten, nicht leben könnten. Seit November 2012 harren sie hungerstreikend der Dinge in der Votivkirche, jetzt brauchen sie Unterstützung: Sie laden deshalb das Publikum zur Demo am Samstag um 14 Uhr beim Westbahnhof ein. Ein Sänger der refugees erinnert daran, dass Politik sich nicht von selbst ändert. Für Veränderung braucht es uns!
Christian Stipkovits/Radio FM4
Für Moderator Dirk Stermann, der seit 2004 durch den Protestsongcontest führt, war es der coolste Moment, den er je bei dieser Veranstaltungsreihe erlebt hat, quasi eine Conclusio der letzten zehn Jahre. Hier ist erstmals seine Frage "Wogegen richtet sich dieser Protestsong?" obsolet geworden.
Dennoch hat es für den Sieg nicht gereicht.
Jedes Jurymitglied vergibt ohne Absprache mit den anderen die Punkte. Neun Punkte für die refugees kommen von Martin Blumenau, Doris Knecht, Miriam Unger. Von Skero kommen fünf Punkte, quittiert mit dem unpassenden Kommentar: "Die refugees hätten echt mehr Zeit gehabt zum Proben". "Du Oaschloch"-Rufe sind die Folge. Nina Weißensteiner gibt vier Punkte und das Zünglein an der Waage ist Peter Paul Skrepek.
Protestsongcontest
Spannender hätte dieser Moment nicht sein können, der ganze Saal hält den Atem an als er seine Entscheidung erklärt, wer die neun Punkte bekommt. Er bezieht sich dabei auf folgende Aussage der refugees: "Wir danken allen, die uns helfen, aber wir erlauben niemanden, uns zu benutzen" und gibt seine neun Punkte an Benedikta Manzano. Null Punkte von Peter Paul Skrepek für die refugees sind ein hartes Urteil.
Die Stimmung im Saal kippt, Verwunderung, Buh-Rufe, Tränen.
Christian Stipkovits/Radio FM4
Der musikalische Wertekatalog war für einige Jurymitglieder wichtiger als der moralische und gesellschaftspolitische. Aber der Protestsongcontest ist kein Wunschkonzert, die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen, blieb ungenutzt. Mit einem einzigen Punkt Vorsprung gewinnt Benedikta Manzano mit ihrem Song "Mehr Mitgefühl für die Märkte".
Christian Stipkovits/Radio FM4
Benedikta Manzano bittet die refugees noch einmal zu sich auf die Bühne, umarmt sie und schließt sich deren Forderungen an, nach Aufenthaltsrecht, nach Arbeit, nach Legalisierung.