Erstellt am: 13. 2. 2013 - 16:33 Uhr
Journal '13. Eintrag 7. Protest!
Das ist ein Protest-Eintrag. Ich bin nämlich ziemlich angesäuert. Und, ja, es geht um den Protestsong-Contest.
Das ist das Journal '13, die regelmäßige Äußerung in ungeraden Jahren. Im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 wird sich heuer - aus guten Gründen - keine Täglichkeit ausgehen.
Ansonsten bleibt alles wie im Twitter-Profil steht: "Martin Blumenau, Chief Coordinator bei Radio FM4, Moderator, Autor und Blogger zu den Themen Jugendkultur, Demokratie- und Medienpolitik, Musik und Fußball."
Willi Resetarits war ziemlich angesäuert. Ich hatte seiner Kunstfigur Ostbahn-Kurti Vorhaltungen gemacht, damals in den beginnenden Neunzigern, in einer Rezension. Mich hatte die gesellschaftspolitische Irrelevanz der allermeisten Stücke auf dem damals aktuellen Album gestört, nein geärgert.
Die beginnenden 90er waren politisch trügerisch; man wiegte sich in der Sicherheit der Insel der Seligen - tatsächlich wurden aber von den Nadelstreif-Sozialdemokraten dieser Phase die Grundlagen für die meisten heutigen Problemstellungen gelegt: soziale Wurschtigkeit, neoliberales Konkurrenzdenken, Abschaffung von Vision und Langfrist-Planung und vor allem das Abwirtschaften des Politikers als halbwegs honores Berufsbild. Dazu kam der von niemandem entgegnete Aufstieg des ultranationalen dritten Lagers, deren Ausgrenzungs-Themen von SP und VP angstvoll nachgewassert wurden.
Willi Resetarits stand gegen einige dieser Probleme auf und ein, dem Ostbahn-Kurti aber, der Gefühligkeiten ausformulieren und damit auch die Massen jenseits der bildungsbürgerlichen Citoyens erreichen konnte, war's wuascht.
Die Trennung der Identitäten war und ist im konkreten Fall total nachvollziehbar; nach sicher langer Überlegung so getroffen worden. Aber wie bei jeder Kritik, wie bei jedem Protest wollte ich mit meinem Einwurf eine Diskussion, ein nochmaliges Nachdenken in Gang setzen. Weil der Niedergang einer politischen Kultur noch nicht greif-, aber durchaus schon spürbar war. Und vielleicht aufhaltbar.
Die Trennung der Identitäten also...
Die Trennung der Identitäten, dieses Aufsplitten zwischen dem politischen Menschen und dem Musiker oder Künstler, das war vorher und ist seitdem ein Kern-Thema, das mich verfolgt, das ich verfolge. Und glaube als Parameter hernehmen zu können, für den Status der Zivilgesellschaft.
Die beiden Personen werden immer dann zusammengeführt, wenn es um "etwas geht", ein möglichst breites, am besten humanitäres, nicht allzu ideologisch besetztes Ding. Der Begriff "politisch", der vorher Aufmüpfigkeit signalisierte, galt nach 1990 als abgestanden, uncool.
Die Trennung der Identitäten bedeutet vor allem, dass man sich immer richtig positionieren kann, kein Risiko eingeht, nie etwas zu Hundertprozent vertreten muss.
Die meisten bleiben seither bei sehr allgemeinen Benefizen und maximal bei deutlichen Bühnenansagen hängen. Musik, die sich direkt einmischt, gar Partei ergreift, machen die allerwenigsten - Attwenger, Gustav, Naked Lunch...
Natürlich ist es in einer vergleichsweise stabilen und sicheren Demokratie westlicher Prägung, in einem Land, das zu den Top 20 weltweit gehört, nicht notwendig sich ständig zu erheben und gegen ganz konkrete Missstände zu protestieren. Ein bisserl Übung aber kann nicht schaden - zu einem Ungarn wird man nämlich recht schnell. Und Erregungs-Potential jenseits selbstgefälligen Bobo-Bashings existiert durchaus.
Der stimmengebende Protestsongcontest also...
Unter anderen deshalb gibt es seit zehn Jahren den Protestsongcontest: um derlei Anliegen öffentlich zu machen, als Tool zur Kanalisierung. Und dass derlei nötig ist, zeigt mir schon die Tatsache, dass es - mitten im modern-aufgeklärten Österreich, natürlich in von der Industrie finanzierten Medien - möglich ist, das feststehende Datum des Bewerb-Abends (den 12. Februar) euphemisch als Beginn irgendwelcher Februar-Unruhen zu bezeichnen, um den österreichischen Bürgerkrieg und den Beginn der austrofaschistischen Diktatur 1934 zu verharmlosen.
Am Protestsongcontest haben bereits öfters Aktivisten teilgenommen, die die Bühne nutzten um für ihre Sache, ihr Anliegen zu werben.
Legitim und sinnstiftend ist das.
So auch heuer: die asylsuchenden Flüchtlinge, die sich in der Votivkirche zu einem Refugee Camp zusammengeschlossen hatten, suchten über das Ausdrucksmittel Musik als "Refugees" eine öffentliche Stimme zu erlangen. Das sah beim Halbfinale Ende Jänner noch sehr wackelig und nicht von sich selbst überzeugt aus. Klar: es standen Laien aus diversen Weltgegenden gemeinsam mit etwas auf einer Bühne, mit dem sie zuvor noch nichts zu tun hatten. Und, ebenso klar: eine solche Aktion apelliert an das Mitgefühl aller, hier einen Authentizitäts-Bonus geltend zu machen. Und das wiederum bringt alle, die sich tatsächlich mehr, öfter und intensiver mit Musik und vor allem ihrer Musik beschäftigen, ins Hintertreffen.
Das Refugee-Camp aus der Votivkirche also...
- Alle Songs und die Juryentscheidung zum Nachsehen.
Die Wackeligkeit war am gestrigen Final-Abend einer freudeschenkenden Offensivität gewichen; der leicht erpresserische "ihr müsst für uns sein, sonst seid ihr keine guten Menschen"-Ansatz war verschwunden. Stattdessen haben wir eine Feier erlebt, eine Musik, Appell, Text und Performance gewordene Selbstermächtigung, eine gegen die Stereotypen und vor allem die Betroffenheitsmüdigkeit ankämpfende lebendige Äußerung, ja, eine Lebensäußerung. Etwas Wichtigeres kann es für Menschen, denen die Basis ihres Seins abgesprochen wird, nicht geben.
Genau dafür, hat einer der Erfinder des Contest mir nach der Entscheidung in den von Menschen brodelnden Rabenhof-Backstageräumen ins Ohr gebrüllt, genau dafür haben wir diese Veranstaltung doch gemacht. Für die lebendige politische Praxis, für die Veränderung, nicht fürs akademische Bewahren. Er hat deshalb gebrüllt, weil es so laut war, aber auch weil er so wütend war.
Ich war nicht wütend; ich war nur sauer.
Denn die Jury war dieser Intention der Veranstaltung nur teilweise gefolgt. Es waren in erster Linie die Musiker, die die musikalischen über die politischen Kriterien gestellt hatten. In diesem ihren Universum hatten sie recht. Zwar haben sich auch Frau Manzano und Herr Anstaltskind technische Fehler geleistet - aber natürlich war der vergleichsweise chaotische Massenauftritt der Refugees vom Musiklehrer-Standpunkt, sagen wir: ausbaufähig.
Der Musiklehrer-Standpunkt also...
Und es war der Musiklehrer-Standpunkt, der die beiden Musiker in der Jury leitete. Einer sprach es sogar offen aus, dass man vielleicht ein wenig mehr üben hätte können für diesen Auftritt.
Nachher kam Saladin, der Lead-Sänger/Sprecher der Refugees und entschuldigte sich bei Skero für seine schwache Performance. Weißt du, ich bin nicht im Vollbesitz meiner Kräfte, ich bin nämlich immer noch im Hungerstreik, sagte er.
Das war für mich der beschämendste Moment der gesamten Protestsongcontest-Geschichte. Ein Aktivist, dessen Existenz auf dem Spiel steht, dessen life on the line ist, entschuldigt sich bei einem Juror für seine weniger gute Auftritts-Leistung. Die seiner misslichen Lage, gegen die er anspielt, geschuldet ist. Weil die Jury - in Teilen - die akademische Fertigkeit über die Bedeutung der Musik gestellt hat
Natürlich ist das fein ziselierte, wunderbar ironische Chanson der Benedikta Manzano, das die zentralen Fragen zur Causa Prima stellt, textlich zielsicherer. Natürlich hat das treffsichere Fang-bei-dir-selber-an Empowerment des Anstaltskindes mehr musikalische Wucht.
Die entscheidende Frage bleibt aber: was ist wichtiger? Die Form oder das Resultat? Die Raffinesse oder die Wirkung? Und das bei einem dezidiert als politisch ausgeschriebenen Protestsongcontest.
Diese Fragen muss jede/r für sich beantworten und jede Entscheidung ist zu respektieren. Aber sie ist beredt.
Der Zustand der Zivilgesellschaft also...
Mir erzählt der traurige Ausgang des gestrigen Abends, dass sich der Zustand der Zivilgesellschaft seit den frühen 90ern nicht gebessert hat: mittlerweile hat die ursprünglich konservative Betroffenheits-Müdigkeit längst die Mitte und den Mainstream erreicht und ist auch schon ins Lager derer, die sich für Veränderung und Gerechtigkeit einsetzen, übergeschwappt.
Ich habe gestern ernsthaft das Argument gehört, dass man sich eben an Gesetze halten müsse, dass es keine (auch wieder irgendwie elitären) Ausnahmen geben dürfe.
Hmm. Solange schwule Paare nicht gleichgestellt sind, darf/soll und muss ich für eine Änderung des entsprechenden Gesetzes ankämpfen - alles andere ist würdelose Apathie; nur als Beispiel.
Warum und wie sich diese Entwicklung ganz logisch abgezeichnet hat, das ist einen eigenen Eintrag wert, das würde jetzt und hier wohl zu weit führen. Die Stichworte dafür wären in etwa: Alt-/Erwachsen-/Fadwerden der Popmusik, Erstarrung im Kunst-anspruch, Irrtum im Anspruch als gesellschaftspolitische Notwendigkeit; Verwechslung von Kunst-handwerk und Kunst etc...
Dass just die Musiker, die gern als Vorreiter für beredtes und beherztes Auftreten angesehen werden, wenn es um Engagement und Empowerment geht, waren/sind, die sich in diesem (durchaus entscheidenden) Moment auf ihr Muckertum, auf akademische Kriterien, auf das Beherrschen von Fertigkeiten zurückgezogen haben, macht nur eine langanhaltende Entwicklung offensichtlich. Nämlich den Rückzug ins ultrabequeme, einen brancheninternen Katalog, dessen Kriterien man selber bestimmt; während sich im echten Leben die Nutzer-Usancen drastisch davon wegentwickeln.
Die würdelose Aphathie also...
In Wahrheit hat Musik, auch Popmusik, auch und vor allem in Österreich, dem es-geht-euch-trotz-Suderei-viel-zu-gut-Land, inhaltlich nichts (okay: nur in Ausnahmefällen etwas) zu sagen. Das ist nicht ganz so neu.
Was mir diese Abstimmung neu erzählt ist, dass die Proponenten das eh auch gut so finden. Und in erster Linie für Bewahrung, Konservierung stehen. Diese Art der erstarrten Kunst (die das museal ausgerichtete Österreich eh schon meisterhaft beherrscht, vor allem im Klassik-Bereich) wird für niemanden einen Finger rühren, sie wird niemanden retten, vor allem sich selbst nicht.
So gesehen sind die Refugees, als radikale Wirkungstäter, die wahren Künstler. Auch wenn sie vielleicht nächstes Jahr nicht mehr am PSC teilnehmen können werden.