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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

12. 2. 2013 - 00:21

Grammys 2013

Warum der Erfolg von Indie-Bands bei der diesjährigen Verleihung der wichtigsten Musikpreise nicht unbedingt ein Anlass zum Jubeln ist.

Alljährlich wählt die National Academy of Recording Arts and Sciences mit Sitz in Kalifornien Gewinner in 78 Musikkatergorien. Die vollständige Liste findet ihr hier.

Aufmerksamkeit als moralischer Imperativ

Ich werde offensichtlich immer prüder. Als der diesjährige Grammys-Zeremonienmeister LL Cool J am Red Carpet zur Züchtigkeitsverordnung des ausstrahlenden Senders CBS befragt wurde, verteidigte der Rap-Veteran das an die Agenten der Künstler ergangene Memo. In dem Schreiben des TV-Networks wurden die (eher wohl weiblichen) Stars aufgefordert, bei der Verleihung der Musikpreise im Staples Center in LA nicht allzu viel nackte Haut zu zeigen. Immerhin sei das eine Familienveranstaltung zur besten Sendezeit, rechtfertigte LL Cool J die Bitte der Offiziellen.

Gotye

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Abräumer Gotye

Da ließe sich nun einiges dagegen einwenden. Andererseits muss man nicht wirklich prüde sein, brancheninternen Sexismus gutheißen oder sich um das keimfreie Wohlsein des Nachwuchses sorgen, um der Anstandsaufforderung durchaus Positives abzugewinnen. Ich halte jedenfalls die, nun ja, Durchsichtigkeit, mit der eine knallhart kalkulierende Geschäftsfrau wie etwa Jennifer Lopez ihre Roben von PR-Beauftragten in Richtung Skandälchen schneidern lässt, weder für sinnlich, originell oder gar der Emanzipation verpflichtet. Aber vielleicht sollte man als Mann dazu gar keine Meinung haben. Ich begnüge mich mit der persönlichen Verschwörungstheorie, dass die Erregung über potentielle Erreger bloß der Erregung der CBS-Publicity-Abteilung geschuldet sein konnte. Schließlich könnte man ohne publikumswirksame Aufreger im Vorfeld während der Awards Season relativ unbemerkt untergehen. Also her mit dem Sexthema.

Prompt konterte die stets aufmüpfige und doch so konventionell agierende Katty Perry den Ausschnittsbann mit tiefen Einblicken in ihr Dekoltee. TV-Talkerin Ellen Degeneres reagierte angemessen. Der eingefangene Kontrollblick sauste viral durchs Netz und dürfte so einige fest bezogene Positionen in der laufenden Sexismusdebatte erschüttern. Die Grammys 2013 präsentierten sich aber im Großen und Ganzen skandalfrei, familienfreudlich und staatstragend. Ein bisserl wie der diesjährige Opernball.

Die Gewinner

Geregnet hat es auch. Und zwar beim Auftritt der Indie-Band fun. Zuvor versprach die TV-Einspielung „unforgetable performances“. Indeed. Angeschütterter eine Popband nie wirkte! Ob der künstliche Regen auf der Bühne wohl als Statement gegen den Klimawandel zu verstehen war? Feuchtfröhlich ging es etwas später in den vorderen Sitzreihen weiter. Als fun. den Award für „Best Song“ („We Are Young“ feat. Janelle Monae) erhielten, gratulierte “Girls”-Star Lena Dunham mit einem dicken Schmatzer auf die Wangen von fun.-Gitarrist Jack Antonoff. Geheiratet wird laut Wikipedia(-Prank?) aber erst, wenn die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert wurde. Sachen gibt es.

fun.

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Abräumer fun.

Die Herzlichkeiten sollten sich noch einmal wiederholen, denn etwas später räumte die seit 12 Jahren existierende Band den logischen Preis für „Best New Artist“ ab. fun. hatten somit zwei der vier wichtigsten Trophäen des Abends in der Tasche. Sänger Nate Ruess erklärte in seiner Dankesrede, dass er dringend aufs Klo müsse. Die weiteren Gewinner der Top 4: „Best Album“ ging an Mumford & Sons für „Babel“. Für „Best Record“ bedankte sich Gotye feat. Kimbra, der auch in den nachrangigen Kategorien „Best Pop Duo/Group Performance“ und „Best Alternative Album“ gewann.

Auch in anderen Kategorien schien „alles indie“. Die Black Keys sammelten die meisten Goldenen Grammophone des Abends („Best Rock Song“, „Best Rock Album“, „Best Rock Performance“. Dan Auberbach wurde zusätzlich mit dem Preis für „Best Producer, Non-Classical“ausgezeichnet. In einer sonst auf Harmonie und Bescheidenheit getrimmten Zeremonie hackte einzig Jack White mit einer furios wilden Performance aus. Anschließend musste der Ex-White-Stripes-Frontmann ohne Trophäe (mit „Blunderbuss“ nominiert für „Album Of The Year“) zurück nach Nashville reiten. Nicht unbeding als Gewinner wird sich wohl auch R&B-Shootingstar Frank Ocean fühlen, obwohl das bei dem Riesenego des youngsters eigentlich kaum vorstellbar ist. Fast in allen wichtigen Kategorien genannt, musste sich Ocean mit zwei Nebenpreisen zufrieden geben („Best Urban Contemporary Album“, „Best Rap/Sung Collaboration“). Oceans Performance war visuell atemberaubend, stimmlich setzte der zu allen Höhenflügen fähige junge Mann jedoch auf Totalverweigerung, was nicht ganz unbeabsichtigt schien und Odd-Future-Spezi Tyler, The Creator im Publikum sichtbar Freude bereitete.

Black Keys

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Abräumer Black Keys

Der beste „R&B-Song“ ging an Miguel für „Adorn“.Von der Berichterstattung völlig ignoriert, jedoch umso erfreulicher war die Trophäe für „Best R&B-Album“. Sie wurde Robert Glasper für sein fantastisches „Black Radio“ zuteil. Beyoncé, die vergangene Woche über die Halftime-Show beim Super Bowl auf nationaler Ebene zum internationalen Superstar erklärt wurde, ging bescheiden mit einem Grammy nach Hause (Best „Traditional R&B Song“) während Ehemann Jay-Z drei dieser Dinger für seine Zusammenarbeit mit Kanye West („Watch The Throne“) ins gemeinschaftliche Trophäen-Regal stellen kann.

It’s Showtime. Oder: das System Adele

Der Showteil gab sich wie immer traditionsbewusst und künstlerisch gewinnorientiert. Hätte Adele nicht einen Grammy für „Best Solo Performance“ erhalten, hätte ihr die Industrie wohl für diese Verleihung einen Preis erfunden. Im vergangenen Jahr mit sechs Auszeichnungen bedacht, verkaufte sich Adeles Album „21“ auch 2012 am besten. Die stets zur aktuellen Erfolgsformel neigenden Branche zollte ihrem Soul-Pop mit stilistischer Aneignung Tribut. Also knödelten sich so ziemlich alle Performerinnen an diesem Abend durch Adele-typische Koloraturen. Am eindringlichsten schaffte das überraschenderweise die sonst die strenge Pop-Dominatrix gebende Rihanna.

EDM, der Hype-Sound der letztjährigen Verleihung, fand nur noch in den Werbepausen statt. Skrillex räumte in der Sparte Dance erneut groß ab, wurde aber in der TV-Übertragung nicht berücksichtigt. Auch sonst war Essig mit Bumm Bumm.

Stattdessen wurde am Klavier so manche Kerze ausgeblasen. In scharfem Kontrast zu den pompösen Larger-Than-Life-Inszenierungen der vergangenen (Krisen)Jahre übte sich eine ganze Branche in seltener bis seltsamer Demut. Man rückte demonstrativ zusammen am Lagerfeuer der musikständischen Behaglichkeit. Es scheint, als hätte die Industrie nach all den Jahren des Federn-Lassens wieder zu sich gefunden. In der neuen Poprealität sind die einstigen Gegensatzpaare Urban und Country, Indie und Mainstream, Tradition und Zukunft endgültig aufgelöst. Tatsächlich stellen die Auguren des Musikgeschäfts erstmals seit den späten 90er Jahren wieder steigende Gewinne aus dem Verkauf von Musik in Aussicht. Das Live-Geschäft boomt ohnehin seit geraumer Zeit, auch wenn sich das für immer weniger, selbst gut aufgestellte, Acts tatsächlich noch bezahlt macht.

Mumford & Sons

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Schöne neue Popwelt?

Trotz der demonstrativ zur Schau gestellten Verbrüder- und schwesterungen der Genres und Generationen wollte keine rechte Euphorie aufkommen im Staples Center. Lag es an der selbst verordneten Bescheidenheit, die sich vielleicht auch aus der Einsicht speist, dass Popmusik innerhalb der Entertainment-Industrie nicht nur an Strahlkraft und Einfluss verloren hat, sondern immer mehr in Abhängigkeit zu anderen Bereichen wie Film, Gaming oder Fernsehen gerät? Oder daran, dass die lukrativsten Deals für Musiker mittlerweile Werbedeals sind und hinter der Fassade der Community-Eintracht die wiedererstarkten Majors ihre alten Bully-Methoden praktizieren - vor allem in Sachen Digital, wo aktuell immer mehr unabhängige Künstler, Vertriebe und Labels aus dem Markt gedrängt werden und es immer unwichtiger wird, wer was warum macht, sondern ob der Sprung in die 1%-Elite gelingt oder nicht?

Oder vielleicht auch daran, dass die stilistische Flexibilität der heutigen Stars zwar die Realitäten einer sich diversifizierenden Pop(welt) widerspiegeln, der Versuch, die ausdifferenzierenden Publikumsinteressen über immer weniger emporgehobene Acts kurzzuschließen künstlerisch aber nur allzu oft auf den kleinsten gemeinsamen Nenner kommt. Augenfällig war das nicht nur beim vielseits ausgelobten „Comeback“ von Justin Timberlake. Hier wurde die in den Vorjahren bereits von Usher und Bruno Mars ausgereizte Crooner/Classic-Ästhetik noch einmal als Innovation und Neuerfindung eines Stars verkauft. Dabei war der Versuch, mit dem aufwendigen Act einen Pop-Bublé aus dem Zylinder zu zaubern so offensichtlich wie unoriginell.

Frank Ocean

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Teilabräumer Frank Ocean

Am deutlichsten wurde die Sehnsucht zur Durchschnittlichkeit jedoch in dem auch auf diesem Sender verhandelten Segment des alternativen Pop, Indie, Rock, Whatever. Diese ehemaligen Randzonen dominierten heuer die wichtigsten Grammy-Kategorien. Nicht etwa als Ausreißer wie die Jahre zuvor The Arcade Fire oder Bon Iver. Gotye, fun., die Black Keys und Mumford & Sons standen im Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit. All diese Acts mögen ja durchaus ihre jeweils spezifischen Qualitäten haben. Aus Branchensicht sind sie derzeit auch kommerziell sehr erfolgreich. Aber künstlerisch ergibt das in der Gesamtheit eine seltsam farblose Palette. Ich begebe mich jetzt kurz in Katy Perry-Terrain und verstoße zumindest verbal gegen das CBS-Sittlichkeitsgebot – aber das ist leider alles anderes als geil und hat weder Nippel noch Eier.

Die Black Keys, die bei Branchenauftrieben jahrelang mit den Black Eyed Peas verwechselt wurden, dürfen dabei als große Ausnahme gelten. Sie holten sich mit ihrem bisher geschliffensten Album „El Camino“ die längst überfälligen Statuen ab. Der Rest kam, ging und hinterließ keinen nenneswerten Eindruck. Dieser Familienindie benötigte wahrlich keine CBS-Zensur. Dass mit Frank Ocean die nicht unkomplizierte aber spannende Zukunft bei den Hauptpreisen leer ausging, schmerzte dann doch mehr, als eine Awards-Show eigentlich sollte.

Den musikalischen Schluss- und einen der wenigen Höhepunkte des Abends setzte ausgerechnet der neuerdings für CBS als Anstandswauauw agierende LL Cool J. Gemeinsam mit Chuck D von Public Enemy und Tom Morello von Rage Against The Machine demonstrierte LL mit einem furiosen Rap- und Scratchfeuerwerk ungenierte Altersagilität. Da hatten selbst die über den Abspann laufenden Werbedurchsagen keine Chance auf Gehör. Musik ab. Next stop Oscars. Vielleicht sind das ja mittlerweile auch die wichtigeren Musikpreise.