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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

7. 2. 2013 - 18:02

"Ich warte einfach"

Auch wenn man in einem angenehmen und gut organisierten Asylheim wie dem Haus St. Gabriel in Maria Enzersdorf wohnt, ist es schwierig den Tag mit Struktur zu füllen.

Ruzan und ihre Mutter wissen, dass ich komme. Ich klopfe an der roten Holztüre an und werde erwartungsvoll ins 20-Quadratmeter-Zimmer eingelassen. An der Wand stehen hintereinander zwei Einzelbetten, mit Decken abgedeckt und so zu Sitzgelegenheiten umfunktioniert. Vor dem einen Bett ein Couchtisch, zwei Teller auf denen sich Schokolade und getrocknete Früchte türmen. Ich werde gefragt, ob ich Kaffee möchte. Ich möchte nicht, habe gerade im Zug einen aus dem Pappbecher getrunken.

Sofa und Couchtisch

Irmi Wutscher

Auch sonst bin ich ein schlechter Gast, esse nichts, sondern frage nur Ruzan nach ihrem Alltag im Flüchtlingsheim St. Gabriel im niederösterreichischen Maria Enzersdorf aus: Seit fast zwei Jahren ist sie hier, mit ihren Eltern und ihrem Bruder aus Armenien gekommen. Am Anfang konnte sie überhaupt kein Deutsch, mittlerweile geht sie in HAK in Wiener Neustadt. Ihr Tagesablauf besteht aus Schule gehen, lernen, schlafen. Später würde sie gerne einmal in einer Bank arbeiten, sagt sie.

Tagesablauf

Ruzan ist eine von 75 AsylwerberInnen die im Haus St. Gabriel in Maria Enzersdorf untergebracht sind. Sie alle sind in der Grundversorgung, das heißt sie warten auf den Ausgang ihres laufenden Asylverfahrens. Im Rahmen der Grundversorgung sind sie krankenversichert und werden in einem Heim untergebracht. So es dort wie in St. Gabriel kein Essen gibt, bekommen sie 5,60 Euro pro Tag pro Person Essensgeld, zusätzlich dazu 40 Euro Taschengeld im Monat.

Das Kloster

Irimi Wutscher

St. Gabriel

Die Tagesabläufe im Heim sind unterschiedlich: "Ich putze mein Zimmer, mache Essen, gehe spazieren mit den Kindern", erzählt Zarema, sie hat vier Töchter. "Ich mache einen Deutschkurs, vielleicht repariere ich noch Computer für Freunde", sagt Yusup aus Russland. "Und jetzt bin ich angemeldet für die TU Wien - Technische Informatik!" Ein älterer Bewohner, den ich auf dem Gang treffe, sagt er ist hier schon seit über zehn Jahren: "Ich bin 65 Jahre alt - was soll ich machen? Schlafen, spazieren, ein bisschen langweilig!"

Johannes Jurka

Irimi Wutscher

Johannes Jurka, Leiter Haus St. Gabriel

Während die Kinder und Jugendlichen in die Schule gehen und die Frauen bzw. Mütter sich um Haushaltstätigkeiten kümmern, tun sich die Männer am schwersten den Tag mit Struktur zu füllen, sagt Leiter Johannes Jurka, oft sind sie es von ihren Herkunftsländer gewohnt, für die Familie das Geld zu verdienen. Das dürfen sie hier nicht. "Es gibt Deutschkurse, die wir hier im Haus anbieten. Soweit möglich, gibt es Freizeitaktivitäten mit Ehrenamtlichen, aber sonst ist es einfach auch viel nur Warten."

Platz im Kloster

Immerhin gibt es im Haus St. Gabriel halbwegs Platz: In einem Kloster untergebracht, bewohnen die AsylwerberInnen hier ehemalige Mönchszellen. Schlafsäle für acht bis zehn Menschen gibt es hier keine. Sondern Zweier- oder Familienzimmer, teilweise sogar Einzelzimmer. "Die sind aber trotzdem nicht mit normalen österreichischen Standards vergleichbar", meint Johannes Jurka "Ein Familienzimmer hat vielleicht 22 Quadratmeter, und da wohnen Vater, Mutter und Kind!" Bad und Klo sind bei fast allen Zimmern am Gang. Gekocht wird selbst und in großen Gemeinschaftsküchen. Was dazu führt, dass viele in ihrem Zimmer auch noch einen Kühlschrank, vielleicht sogar eine Mikrowelle aufgestellt haben.

Irimi Wutscher

Aber immerhin werden durch die Einzel- oder Zweierzimmer die größten Konflikte vermieden, sagt Johannes Jurka. Gewalt kommt ganz selten vor, es gibt im Haus St. Gabriel auch keine Securities. Aber natürlich ist das Wohnen auf engem Raum belastend.

Das Wohnen im Kloster hat immerhin den Vorteil, dass der Klostergarten mitgenutzt werden kann: Dort kann man spazieren gehen, es gibt es einen Spielplatz und Platz für Gemüsebeete, wo die BewohnerInnen selbst Gemüse anbauen können. "Auf mich wirkt es so, als hätte das schon eine beruhigende Wirkung", sagt Johannes Jurka. "Einerseits die ruhige Umgebung, gleichzeitig noch immer eine gute Verbindung nach Wien, eine gute Infrastruktur."

Gemüsegarten

Irimi Wutscher

Der Gemüsegarten, derzeit brachliegend

Anbindung an die Gemeinde

Was auch gut funktioniert ist die Integration in der Gemeinde Maria Enzersdorf: Seit 1992 sind in St. Gabriel Flüchtlinge untergebracht und seit damals bemüht man sich um Austausch mit den NachbarInnen: Freiwillige kommen ins Haus und spielen mit den Kindern oder geben Nachhilfeunterricht. Und es gibt ein Nachbarschaftsprojekt, das sehr gut ankommt, sagt Johannes Jurka: "Das ist ein therapeutisches Projekt, wo es darum geht, die Untätigkeit, die dadurch entsteht, dass sie nicht arbeiten dürfen, zu lindern." Konkret sieht das so aus, dass Leute aus der Umgebung sich für kleine Hilfstätigkeiten stundenweise Bewohner von St. Gabriel "ausborgen" können.

Die Leute aus St. Gabriel helfen unentgeltlich, es gibt ihnen eine Tagesstruktur, das positive Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Andererseits bringt es auch ein Stück Integration: Zwischen den HeimbewohnerInnen und den Leute aus Maria Enzersdorf entspinnen sich Kontakte, vielleicht sogar Freundschaften. Es gab dann auch schon Fälle, wo jemand über diese Kontakte, nach dem er einen positiven Asylbescheid bekommen hatte, eine Wohnung gefunden hat, berichtet Johannes Jurka.

So ist das Heim eben nicht abgeschottet von seiner Umgebung, sondern es gibt regen Austausch. "Auch die Bürgermeisterin kommt gerne vorbei", sagt Jurka "Und lässt sich auch gerne mit den BewohnerInnen fotografieren, das kommt in anderen Gemeinden glaube ich nicht vor. Insofern glaube ich, dass es hier gut funktioniert."

Auch die AsylwerberInnen sind gerne im Haus St. Gabriel - auch wenn sie nicht nur zum Spaß da sind: "Ich möchte da bleiben, weil zurück kann ich nicht", sagt Yusup "Ich warte jetzt einfach."