Erstellt am: 6. 2. 2013 - 20:56 Uhr
Zugriff der Heeresdienste auf Vorratsdaten
Keine drei Wochen nach der Entscheidung der österreichischen Zivilgesellschaft, ob das österreichische Bundesheer überhaupt in seiner derzeitigen Form weiterbesteht, ist ein Gesetzentwurf aufgetaucht, dem es an Brisanz nicht mangelt.
Das gerade erst in seiner Existenz bestätigte Heer meldet erweiterte Zugriffsbefugnisse auf die Kommunikationsdaten der Zivilgesellschaft an.
Das wurde nicht etwa öffentlich verlangt, angemeldet wurden die Ansprüche der Einfachheit halber gleich als Gesetzentwurf. Öffentlich wurden sie erst durch eine Analyse auf der Website Unwatched.org.
Update 2012 02 07 13:00
Auf Anfrage von ORF.at teilte das Verteidigungsministerium am Donnerstag mit, dass Verteidigungsminister Norbert Darabos nach Konsultation mit seinen Beamten entschieden habe, dass der Entwurf zur Neufassung von § 22 2a des Militärbefugnisgesetzes in toto zurückgezogen wurde.
"Wehrrechts-Begleitgesetz"
Bei dem legistischen Fundstück handelt sich um eine einzige Passage in einem "Wehrrecht-Begleitgesetz" des novellierten Verwaltungsgerichtsbarkeitsgesetzes, erklärter Zweck sind "Adaptierungen, Klarstellungen und legistische Verbesserungen". Die aber haben es in sich, weil auch das Militärbefugnisgesetz betroffen ist.
Unter einem Wust von meist winzigen Änderungen an vielen Paragrafen dieses Verwaltungsgesetzkonvoluts findet sich auch die "Adaptierung" des Paragrafen 22, Absatz 2a des Militärbefugnisgesetzes.
"Sonstige Diensteanbieter"
Darin wird das jetzt schon bestehende Auskunftsrecht, das "militärischen Organen" bei "Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste" Datenauskünfte einräumt, auf "sonstige Diensteanbieter" ausgeweitet. Präzisiert, welche Dienstanbieter damit gemeint sein könnten, wird das in den weiteren zugehörigen Absätzen jedoch nicht, im Gegenteil.
"Bundesgesetz, mit dem das Wehrgesetz 2001, das Heeresdisziplinargesetz 2002, das Heeresgebührengesetz 2001, das Auslandseinsatzgesetz 2001, das Militärbefugnisgesetz, das Sperrgebietsgesetz 2002, das Munitionslagergesetz 2003, das Militärauszeichnungsgesetz 2002, das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigen-Vorsorgegesetz sowie das Truppenaufenthaltsgesetz geändert werden (Verwaltungsgerichtsbarkeits-Begleitgesetz-Wehrrecht – VwGBG-W)"
Der Gesetzentwurf als PDF
Jeder einzelne Absatz wird ausgeweitet, präzise Definitionen werden nun grundsätzlich durch Verweise auf andere Gesetzespassagen und/oder durch Allgemeinplätze ersetzt.
"Im Bundesgesetz übertragene Aufgaben"
Waren Zugriffe auf Datensätze wie Name, Anschrift, Telefonnummer, IP-Adresse usw. auf den Zweck der "nachrichtendienstlichen Aufklärung oder Abwehr" beschränkt, so soll es nunmehr für alle "nach diesem Bundesgesetz übertragenen Aufgaben" (Abs. 1 neu) gültig sein. Diese Formulierung wird durchgehend beibehalten.
Die einleitenden Passagen sagen also: "Sonstige Anbieter" von Kommunikationsservices aller Art sind verpflichtet, die persönlichen Daten ihrer Kunden bis hin zu deren temporären IP-Adressen den Militärgeheimdiensten auf Anforderung auszufolgen. Und zwar dann, wenn sich die auf "im Bundesgesetz übertragene Aufgaben" berufen.
"Verwendung von Vorratsdaten erforderlich"
Viel allgemeiner lässt sich das nicht mehr formulieren und präzise wird der Gesetzentwurf immer nur dann, wenn es um ganz konkrete Begehrlichkeiten der Militärs, nämlich dem Zugriff auf Vorratsdaten geht.
Im dritten Absatz zum Paragraf 2a heißt es lapidar, falls die "Verwendung von Vorratsdaten erforderlich" sei, würden auch diese an die Militärgeheimdienste herausgegeben, falls dies eine "wesentliche Voraussetzung zur Erfüllung ihrer Aufgaben" darstelle.
Ein Szenario
Damit ist folgendes Szenario möglich: Der österreichische Betreiber eines Webforums wird von einer Heeresinstanz aufgefordert, die Datensätze samt IP-Adresse eines bestimmten pseudonymen Users auszufolgen.
Einzige dafür nötige Legitimation ist die Berufung auf die "im Bundesgesetz übertragenen Aufgaben". Ebensolches gilt dann auch für die Herausgabe der Vorratsdaten durch die Provider.
"Übertragene Aufgaben" statt Gerichtsbeschluss
Für Polizei und Justiz sind Vorratsdaten nur durch einen ordentlichen Gerichtsbeschluss zugänglich. Sämtliche Abfragen dieser Daten müssen eine dazwischen geschaltete Durchlaufstelle passieren, wobei jeder Zugriff protokolliert wird. Davon ist im Militärbefugnisgesetz keine Rede, vielmehr soll hier die Berufung auf nicht näher bezeichnete "gesetzliche Aufgaben" genügen.
All diese tiefen Eingriffe in die bürgerlichen Grundrechte sind im letzten Drittel von 27 Seiten gesellschaftspolitisch so gut wie irrelevanten Änderungen versteckt. Diese Vorgangsweise ist alles andere als ein Novum, sondern entspricht den hierzulande üblichen Gepflogenheiten im Umgang mit derartigen Gesetzen.
Handstreich 2002
Jene Passagen des Militärbefugnisgesetzes, die nunmehr geändert werden, wurden im Juni 2002 mittels eines parlamentarischen Handstreichs in selbiges Gesetz eingefügt. In einem parlamentarischen Abänderungsantrag knapp vor der Abstimmung wurden die entsprechenden Passagen mit der Mehrheit der damaligen Regierungsparteien ÖVP und FPÖ beschlossen.
Im Jahr 2002 war es ein "Reorganisations-Begleitgesetz", das auf das Militärbefugnisgesetz zugegriffen hatte. Der Vorstoß kam nicht von Aktiven aus dem Bundesheer, sondern von einem ehemaligen Brigadier beim Heeresnachrichtenamt (FPÖ) und einem vormaligen Oberst im Generalstab (ÖVP), die in die Politik gewechselt waren.
Davor hatte man mit der Opposition über eine anders lautende Textfassung diskutiert. Wie heute liefen die Änderungen von damals allesamt auf eine Erweiterung der bisherigen Befugnisse hinaus.
Tradition, Sicherheitspolizeigesetz
Der aktuelle Entwurf des Militärbefugnisgesetzes beruft sich im Begleittext auf eine "vergleichbare Regelung im § 53 Abs. 3a SPG", die bereits seit dem 1. Jänner 2008 in Kraft ist. Damit ist die Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz gemeint, die unter denselben für österreichische Verhältnisse eigentlich schon als "traditionell" zu bezeichnenden Umständen vor sich ging.
Anders als die handstreichartige Ausweitung der Militärbefugnisse 2002 verlief die nächste Ausweitung der Polizeibefugnisse als sprichwörtliche Nacht- und Nebelaktion.
Nacht und Nebel 2007
Die Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz war Anfang Dezember 2007 als letzter Punkt der Tagesordnung der letzten Sitzung vor der Weihnachtspause verabschiedet worden.
Der Wortlaut der Novelle war jedoch plötzlich anders als die vorher diskutierte Fassung, in der die Befugnisse deutlich enger und präziser definiert worden waren. Auch der Datenschutzrat hatte eine ganz andere Version begutachtet, als jene, die dann verabschiedet wurde. Unter anderem wurden unter dem Titel "Rettung verirrter Tourengeher" mobile Anlagen zur Handyüberwachung angeschafft.
Die Nacht- und Nebelaktion im Dezember 2007 hatte ein Verfahren zur Folge, das sich über alle Instanzen zum Verwaltungsgerichtshof zog. Am Ende landete es vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Die gesamte Entwicklung in etwa 70 FuZo-Stories
Unter dem Radar 2013
Nach den Methoden "Handstreich" bzw. "Nacht und Nebel" ist nun eine offenbar eine Art "Stealth"-Methode angesagt, wie etwa ein Jet unter Ausnutzen der umliegenden Geländeformationen im Tiefflug gegnerisches Radar unbemerkt passiert. In diesem Fall bot eine Unzahl gesellschaftlich irrelevanter Paragrafen rundum Tarnung durch Obskurität.
Was aus den Änderungen förmlich entgegenspringt, ist die durchgehend verwendete Formulierung "die im Bundesgesetz übertragenen Aufgaben", die auch "nachrichtendienstliche Aufklärung oder Abwehr" ersetzt.
"Cyber Defense"
Weil das aber die beiden bisherigen Kernaufgaben von Heeresnachrichtendienst bzw. Heeresabwehramt sind, lässt das nur die Schlussfolgerung zu, dass noch die eine oder andere Kernaufgabe dazu kommen wird.
Verteidigungsminister Norbert Darabos hat bereits im Frühjahr 2011 angekündigt, im Zug der Bundesheerreform den Bereich "Cyber Defenѕe" zu stärken und auf 1.600 Personen auszubauen.
Laut Bundesministerium für Justiz fallen die hier zitierten Passagen des Gesetzentwurfs in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport. Eine Anfrage von ORF.at im Verteidigungsministerium blieb bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels unbeantwortet.